Ein Applaus in die Kamera. Das Abschlussfoto des Workshops.Silke Franck

Ein Applaus in die Kamera. Das Abschlussfoto des Workshops.

Stell dir vor, die Welt um dich herum ist still. Du hörst nicht das Rauschen der Bäume, das Prasseln des Regens gegen die Fenster oder das Heulen des Windes um die Ecken. Einfach nichts. Aus dem Augenwinkel nimmst du eine Person wahr, die dir zuwinkt. Du drehst dich zu ihr und ein paar Sekunden später seid ihr in einem buchstäblich handfesten Gespräch – in Gebärdensprache.

Genau damit beschäftigt sich das bundesweite bvmd-Projekt Breaking the Silence. Mit der Kultur, Sprache und Lebensweise von gehörlosen Menschen, aber auch mit der Kommunikation zwischen Hörenden und Gehörlosen sowie vorhandenen (Sprach-)Barrieren. Das Ziel ist, hörende Menschen auf die besonderen Bedürfnisse Gehörloser aufmerksam zu machen und gerade auch zukünftige Mediziner zu sensibilisieren.

Im Zuge dessen fand Anfang November in Lübeck ein Workshop statt, der Zweite nach der Premiere im Mai 2017. Etwa zwanzig Studierende aus verschiedenen Studiengängen haben sich dabei mit unterschiedlichen Aspekten zum Thema Gehörlosigkeit auseinandergesetzt. Los ging es mit ein paar Warm-up-Spielen: Lippen lesen und Wörter erraten war angesagt. Im Endeffekt gar nicht so einfach, auch wenn es mit ein wenig Übung schon deutlich besser funktioniert als am Anfang. Nachdem die Runde so ein wenig aufgelockert war, versuchten wir uns alle zusammen an dem deutschen Fingeralphabet (ja, jedes Land hat ein eigenes Fingeralphabet, es gibt sogar innerhalb Deutschlands regionale Unterschiede). Beim Buchstabieren des eigenen Namens bekam der eine oder andere schon einen kleinen Knoten in den Fingern, aber auch hier macht Übung den Meister. Zum Abschluss des ersten Tages lernten wir erste, einfache Gebärden, angefangen mit dem Wort „Gebärde“ und den Zahlen.

Am zweiten Tag beschäftigten wir uns mit den Pros und Contras der Hörschädigung. Schon nach kurzer Zeit standen auf der Pro-Seite Argumente wie die Ästhetik der Sprache, Geheimsprache oder geschärfte Sinne, während nach der Auswertung auf der Contra-Seite viele Argumente auf Diskriminierung von der „hörenden Welt“ gegenüber Gehörlosen hinausliefen. Denn auch heute, wo Inklusion das magische Wort in der Bildungspolitik zu sein scheint, gibt es immer noch wenige Schulen für Gehörlose oder fehlende Finanzierung von Dolmetschern, die zum Beispiel den Besuch an einer „normalen“ Uni zumindest etwas vereinfachen könnten.

Nach dieser anregenden Diskussion kam wieder ein praktischer Teil. Hierbei zeigte uns Silke Franck, eine Dozentin für Gebärdensprache, verschiedene Gebärden, die Anwendung im klinischen Alltag etwa bei einem Anamnesegespräch finden. Von „krank“ über „Arzt“ bis zum „Bluthochdruck“ war eine ganze Palette nützlicher Wörter dabei. Bis jetzt in Erinnerung ist mir die Gebärde für Diabetes mellitus geblieben. Sie setzt sich zusammen aus dem Wort „Zucker“ und dem Wort „krank“. Es ist so unheimlich beeindruckend, wie direkt und bildlich diese Sprache ist und wie verschachtelt im Vergleich dazu die deutsche Sprache manchmal sein kann.

Nach einer Mittagspause bekamen wir Besuch von zwei Gehörlosen aus Lübeck samt einem Dolmetscher und hatten so das Glück, die beiden eine Stunde lang mit allen Fragen zu bombardieren, die uns in den Sinn kamen. So erfuhren wir etwas über die Gehörlosenschule in Hamburg, den Gehörlosenverein Lübeck und schlichtweg etwas über die Meisterung des Alltags mit Vibrationsweckern und Lichtklingeln.

Am Ende informierten wir uns über das Cochlea-Implantat, hörten uns Hörbeispiele an und diskutierten darüber, ob ein Arzt ohne Kontakte zur Gehörlosengemeinschaft überhaupt objektiv beraten könne und nicht einfach eine Lösung eines Problems sehe. Denn muss Gehörlosigkeit überhaupt ein Problem sein? Mit solchen Gedanken und vielen Gebärden in meinem Kopf ging ich am Ende dieses langen und doch so interessanten Tages nach Hause.

Der Workshop war nur der Anfang der Lokalgruppe von Lübeck. Wir haben vor, aufbauende Workshops, Themenabende oder Gebärdensprach-Kurse zu realisieren, auch größere Ausflüge in Kooperationen mit anderen Lokalgruppen sind in Planung. Wenn wir euer Interesse geweckt haben oder ihr eine coole Idee habt, die unbedingt umgesetzt werden sollte, könnt ihr uns gerne ein E-Mail an luebeck@breakingthesilence.de schreiben. Wir freuen uns auf euch!

Noch keine Kommentare, sei der Erste!