Nach durchzechten Nächten sitzen Studierende gern in der letzten ReiheJulia Krüger

Nach durchzechten Nächten sitzen Studierende gern in der letzten Reihe

Einmal die Chance haben, als Dozierende das StudentenPACK zu gestalten, eine schöne Herausforderung in der vorlesungsfreien Zeit, die wir gerne angenommen haben. Nach einigem Überlegen hatten wir uns entschieden, dafür eine besonders zahlreiche und mysteriöse Subkultur des Hochschullebens genauer unter die Lupe zu nehmen: die Studierenden.

Die Gesundheit und insbesondere das Stresslevel der Studierenden standen ja in den letzten Jahren immer wieder im Fokus verschiedener Studien (siehe Infobox). Im Gegensatz zu diesen Studien verfolgten wir einen revolutionären neuen Ansatz und verzichteten gänzlich auf Repräsentativität, statistische Signifikanz und vorgefertigte Fragebögen. Kurz: wir wollten einfach nur quatschen und Kaffee trinken. Also, eine E-Mail über den Studentenverteiler gesendet und innerhalb von Stunden trudelten die ersten Rückmeldungen ein. Insgesamt 10 Studenten bekundeten Interesse an kostenlosem Kaffee und Kuchen und daraus sind dann 6 kurzweilige Interviews entstanden. Unsere Interviewpartner hatten alle eine interessante Geschichte zu erzählen, das ist für einen Campus mit fast 9000 Studierenden bestimmt nicht so ungewöhnlich, wir haben es aber als Kompliment verstanden, dass sie ihre Geschichten mit uns teilten.

Wieso Interviews mit Studierenden?

Wie gesagt: quatschen und Kaffee trinken. Ach ja, und nebenbei wollten wir diese Chance nutzen, um mit Studierenden außerhalb unserer Fachbereiche zu sprechen, um mal zu hören wie Studierende leben, wie es ist in Lübeck zu studieren. Wieso überhaupt studieren und wieso ausgerechnet in Lübeck? Was wollen sie mit einem Studium erreichen? Und natürlich auch was wir als Dozierende besser machen könnten. Aber vor allem: Wieso sitzen Studierende eigentlich so gerne in der letzten Reihe?

Unsere Interviewpartner waren eine bunte Mischung aus Medizin-, Informatik- und MLS-Studenten vom ersten bis zehnten Semester. Sogar einen nebenberuflichen Studierenden im Online-Studiengang Medieninformatik (ja, ja das gibt es) hatten wir dabei. Die Offenheit der Studierenden hat uns jedenfalls überrascht, die Diversität an Hintergründen und Motiven hat uns begeistert und wir haben zwar nicht auf alle Fragen eine umfassende Antwort bekommen, aber auf jeden Fall viel dazu gelernt.

Und warum machen die mit bei so einem Interview?

Im Nachhinein hat sich Kuchen von Café Junge als ungeeigneter Köder für Studierende herausgestellt – wir haben ihn allein gegessen. Stattdessen reichten die Motive der Teilnehmer von Neugier („Ich wollte mal sehen, was ihr so fragt.“) über Mitleid („Ich arbeite selber als Journalist und weiß wie schwer es ist Interviewpartner zu finden.“) bis hin zu konkreten Anliegen: „Ich glaube, dass die Vorstellung von Studenten und Dozenten was deren Alltag angeht ziemlich weit auseinander ist und deshalb ist es wichtig das jede Seite ein Vorstellung bekommt, was es überhaupt bedeutet, die jeweils andere Seite zu sein.“

Keiner der Studierenden hatte das Bedürfnis den Dozierenden mal so richtig die Meinung zu geigen, im Gegenteil, sie wirkten – trotz Kritik an einigen Stellen – recht zufrieden mit ihrem Studium und Leben.

Warum Studieren

Wir wollten gerne wissen, warum Studierende eigentlich angefangen haben zu studieren, warum sie sich für ihr jeweiliges Fach entschieden haben und was sie sich nach Studienabschluss erhoffen. Das durchschnittliche Alter indem Lübecker Medizinstudierende wissen, dass sie Arzt werden möchten, scheint bei 3 Jahren zu liegen. Von da an arbeiten sie entweder zielstrebig auf ihren zukünftigen Beruf hin und beginnen sofort nach dem Abitur ihr Studium, oder sie machen einige Schlenker über ein abgebrochenes Informatik-Studium (mit Nebenfach Medizin selbstverständlich) bis sie sich dann nach dem dritten Kind doch noch entscheiden Medizin zu studieren – sehr zur Erleichterung ihrer Partner: „Oh, Gott sei Dank, na endlich!“.

Die Entscheidung für ein anderes Studienfach scheint nicht so sehr auf frühkindlicher Prägung zu beruhen, sondern eher kurzentschlossen zu erfolgen – gern auch kurz vor Ende der Einschreibungsfrist oder obwohl parallel Zusagen anderer Studienfächer vorliegen. Ein Informatik-Student im 5. Semester sagte dazu: „Das war eher so ein Bauchgefühl, und es war jetzt genau die richtige Entscheidung“, merkte später jedoch noch an: „meine zweijährige Ausbildung nach der Schule hat enorm geholfen eine Entscheidung zu treffen, ich habe gelesen es gibt mittlerweile 17000 Studiengänge in Deutschland – wer blickt denn da noch durch?“ Auch Bauchgefühle brauchen eine gewisse Reifungszeit.

Gefragt, warum sie überhaupt studieren, war nur für einen nebenberuflichen Online-Studenten das Lernen ein Selbstzweck. Für die meisten Interviewpartner standen die Berufsperspektiven im Vordergrund: „Ich hätte gern später Sicherheit im Beruf, dass ich sicher sein kann einen Job zu bekommen und dass der auch angemessen bezahlt wird.“ Nur eine interviewte Studentin bleibt (hoffentlich) der Uni erhalten: „Ich würde später gern Vorlesungen halten und Forschung an der Uni machen. Es macht mir Spaß anderen etwas beizubringen.“ – trotz unsicherer Berufsperspektiven und geringerer Vergütung als in der Industrie. Dem Wissenschaftler blutet das Herz: mehr Studierende können wir nicht für die Forschung begeistern?

In den Semesterferien überschwemmen Studierende die Strände unserer LieblingsurlaubszieleSandra van der Hulst

In den Semesterferien überschwemmen Studierende die Strände unserer Lieblingsurlaubsziele

Warum Lübeck

Lübeck wurde von alle Befragten sehr bewusst gewählt, Hauptgrund dafür ist die Größe bzw. die Kleine der Uni („Ich lege darauf Wert, dass ein Dozent, der mir etwas beibringt, auch da ist.“), gefolgt vom CHE-Ranking, den Reizen der Lübecker Altstadt und geografischen Faktoren. Die Nähe zu den Dozierenden und die ausreichende Anzahl von Plätzen für Seminare und Praktika wurden von den Interviewten positiv angemerkt. Selbst ein Medizin-Studium mit drei Kindern ist in Lübeck machbar, denn auf kurzen Wegen lässt sich vieles regeln – von der Bereitstellung eines Parkplatzes bis zur Vergabe von Kursplätzen an günstigen Terminen. Nicht so zufrieden waren die meisten Interviewpartner hingegen mit der Ausstattung der Bibliothek: zu wenig Lehrbücher und zu wenig Arbeitsplätze – „das war an meiner vorherigen Universität deutlich besser“.

Studentischer Alltag

Einen allgemeingültigen Studierendenalltag gibt es nicht, das wurde uns aus den Interviews klar. Die Herangehensweise an das Studium ist sehr unterschiedlich und reicht von „ich versuche an jeder Vorlesung teilzunehmen“ bis „eigentlich gehe ich nur zu Pflichtterminen und zur Anatomievorlesung“. Dementsprechend unterschiedlich war auch die Wahrnehmung der Selbstbestimmung im Studium. Eine Medizinstudentin im ersten Semester sagte, „ Mir war vorher nicht bewusst, dass man im Studium so viele Freiheiten hat. Man kann zu allen Vorlesungen gehen oder eben nicht, man kann die Fehltage bei Praktika nutzen oder man geht halt zu allen Terminen hin.“ Für eine MLS-Studentin mit Bachelorabschluss sieht das anders aus: „Es ist so viel, dass man eigentlich gar nicht mehr selbst bestimmen kann, wann man etwas macht. Man hat immer das Gefühl, man hat eh nie genug Zeit für alles.“ Trotzdem hatten fast alle Interviewte einen Nebenjob und einige noch zusätzliche Ehrenämter, z.B. beim Schachverband oder Heimwegtelefon, die zusammen mit Sport, Familie und sozialen Kontakten in das Studium integriert werden müssen. Diese gern zitierte Work-Life-Balance gelingt unterschiedlich gut und unser nicht repräsentativer Eindruck war, dass Studierende, die direkt nach der Schule beginnen, mehr Probleme damit haben. „Man kommt nach Hause und weiß, man muss nächste Woche den Übungszettel abgeben […] Man hat zwar etwas fertig, aber nie das Gefühl man kann jetzt mal entspannen und ohne schlechtes Gewissen ins Schwimmbad gehen. Das ist wie ein Kreislauf und man kommt nie da raus.“ Dieser Selbstdruck macht Dozierende etwas ratlos, denn natürlich möchte man gern möglichst viele Studierende in der eigenen Vorlesung haben, und die Veranstaltungen von Kollegen für Schwimmbadbesuche zu empfehlen wird auch nicht so gern gesehen. In einem Interview wurde aber recht treffend bemerkt: „Das schwierigste im Studium ist zu sortieren, wo man seine Prioritäten setzt und wo man sagt, ja ok, dann kann ich das halt nicht so.“

Doch obwohl sie es nicht als sonderlich entspannte Zeit betrachten, genießen die Interviewten ihr Studium und das studentische Leben.

„Es gibt solche und solche Dozenten.“

Wir haben gefragt, was die Studierenden gern am Studium verändern würden und wie sie die Rolle der Dozierenden sehen. In fast allen Interviews – egal ob Medizin oder MINT – wurden die mangelnde Wahlfreiheit und die vorgegebenen Stundenpläne im Studium beklagt: „Ich muss sagen, dass Studium erinnert mich sehr an Schule. Seit ich an der Uni bin habe ich einen festen Stundenplan, an den ich mich halten muss.“ Weitere Kritikpunkte bezogen sich auf das Faktenwissen und Zeit für eigene Projekte: „Das reine Faktenwissen wird zuviel abgefragt. In der Schule gab es mehr Anforderungen, wo man mal selber denken musste, das fehlt mir im Studiengang – ich hoffe das kommt jetzt im Master mehr.“ „Ich hätte gern mehr Raum für eigene Projekte und mehr Zeit auch selbst in die Materie einzusteigen.“

Insbesondere die Medizinstudierenden waren insgesamt sehr zufrieden, wie sich die Dozierenden in der Lehre engagieren, aber „natürlich gibt es solche und solche Dozenten“. Bei MINT sieht es differenzierter aus. Die Aufgabe der Dozierenden wird darin gesehen, „die Studenten zum selbst lernen zu animieren“, und viele Dozierende schaffen das wohl auch. Allerdings klappt das nicht immer: „[..] habe ich auch das Gefühl, dass Dozenten gar nicht so die Lust haben sich um die Lehre zu kümmern [..] andererseits wenn man vor so einer Masse von Leuten steht, die alle mit ihrem Handy rumdödeln, dass man irgendwann als Dozent ein bisschen resigniert – das sehe ich auch ein.“ Schön, dass Studierende so verständnisvoll sind.

In diesem Zusammenhang haben wir auch nach der Lehrevaluation gefragt und festgestellt, dass diese bei Medizinstudierenden deutlich aggressiver beworben wird, als in den MINT-Fächern – wohl ein Ergebnis der lehrbezogenen Budgetierung. Die niedrigen Rücklaufquoten im MINT-Bereich liegen wohl einerseits daran, andererseits an fehlenden sichtbaren Auswirkungen für die Studierenden: „Ich mache immer bei der Evaluation mit, gerade bei der Studiengangsevaluation und habe dann das Gefühl, dass es aber wenig bewirkt.“

Warum sitzen Studierende so gern in der letzten Reihe?

Haben wir fundierte und belastbare Ergebnisse zur zentralen Frage unserer Studie bekommen? Nein. Die Meinungen der Befragten gingen auseinander, von „keine Ahnung, ich sitze immer in der Mitte“ bis „die Hinten wollen nur quatschen.“ Ein plausiblerer Erklärungsansatz ist die Gruppendynamik, weil „man gleich als Nerd gilt, wenn man etwas sagt.“ Eine weitere plausible Erklärung scheint „das ist die Grundangst vor 180 Leuten auf eine Frage mit Blödsinn zu antworten.“ Vielleicht sollte man als Dozierender nur noch die letzte Reihe befragen – als Konfrontationstherapie. Zumindest haben wir eine eindeutige Antwort auf die Frage, warum niemand in den ersten Reihen sitzt erhalten: „da kriegt man Nackenstarre“. Die Dozierenden können also aufhören Pfefferminzbonbons zu kauen, das hilft nicht.

Wie auch die übrigen Abbildungen, hat dieses Bild nichts mit dem Inhalt des Artikels und der Meinung der Autoren zu tun, sondern dient allein der grafischen Auflockerung.Jan Ehrhardt

Wie auch die übrigen Abbildungen, hat dieses Bild nichts mit dem Inhalt des Artikels und der Meinung der Autoren zu tun, sondern dient allein der grafischen Auflockerung.

Die Superman-Frage

Abschließend haben wir in allen Interviews die Superman-Frage gestellt: „Wenn du Superman wärst, was würdest du am Studium oder der Uni verändern?“ Erstaunlicherweise war weder „Noten abschaffen“ noch „weniger Klausuren“ noch die „studentische Weltherrschaft“ unter den genannten Antworten. Stattdessen rangierte ganz vorn ein Bibliotheksneubau und bessere Ausstattung für TÜFTL & Co, gefolgt von zusätzlichen Hörsälen und dem Wunsch, „dass man den Selber-Denk-Anteil im Studium erhöht, denn dafür ist es eine Uni.“

Uns haben die Gespräche sehr viel Spaß gemacht und wir hätten gern mit mehr Studierenden gesprochen, aber dazu fehlte die Zeit. Unser Ziel war, wie gesagt, nicht ein statistisch repräsentatives Bild zu bekommen, sondern ungezwungen mit Studierenden zu sprechen und neue Eindrücke zu sammeln. Von diesen Eindrücken konnten wir nur einen Bruchteil in diesem Artikel wiedergeben. Wir hoffen, dass es interessant zu lesen ist und vielleicht kann diese Idee irgendwann wieder aufgenommen werden. Abschließend möchten wir allen, die sich zu Interviews bereit erklärt haben, ganz herzlich danken und mit einem letzten Zitat enden: „Man sollte das Studium genießen [..], denn man hat schließlich nie wieder so viele Freiheiten im Leben.“ Zumindest bis zur Rente.

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