Seit wenigen Wochen habe ich mein Referendariatszeugnis in der Hand. Ab sofort darf ich mich als Lehrerin für Informatik und Mathematik deutschlandweit an Gymnasien bewerben. Dabei habe ich nie auf Lehramt studiert. Es hat ganz anders als üblich angefangen: mit einem Informatikstudium. Als ich den Master in der Tasche hatte, zog es mich jedoch nicht in die nächste Firma oder zu einer Start-up-Gründung. Es zog mich in die Schule. Weil ich mit Informatik ein Mangelfach (korrekter: „Fach besonderen Bedarfs“) im Master grundständig studiert habe und zusätzlich ausreichend viele Inhalte für ein zweites Schulfach (Mathe) vorweisen konnte, durfte ich zum Beispiel in Niedersachsen einfach so, also ohne weitere Zwischenschritte, als sogenannter Quereinsteiger in das Referendariat starten. Nur noch ein halbstündiges Gespräch bei der Landesschulbehörde musste ich mit „geeignet“ bestehen und schon war ich zugelassen für das Referendariat, das mich heute nach meinem Bestehen jedem Gymnasiallehrer in Niedersachsen, der voll auf Lehramt studiert und dann das Referendariat bestanden hat, gleichstellt. Das heißt beispielsweise, dass auch ich im Schuldienst verbeamtet werden kann.

Warum ins Lehramt?

Die Idee, ins Lehramt zu gehen, kam in mir immer mal wieder auf, immer wieder bei meinen Hiwi-Jobs als Tutorin und ganz besonders dann, als ich an der Uni auch Schülerangebote wie das Informatik Summer Camp mit vorbereitete und betreute. Ich wollte meine eigene Begeisterung für das Fach gern weitergeben und bin an meiner Ausbildungsschule auf Schüler gestoßen, die sich begeistern lassen wollten. Vielleicht lag es an der Schule, vielleicht ist Informatik aber auch ein Fach, das polarisiert. Und da es, jedenfalls in Niedersachsen, kein Pflichtfach ist, kamen dann auch viele Hochinteressierte.

Unterrichten im Alltag

Von Tag eins des Referendariats an wurde ich den Schülern als Lehrer vorgesetzt – eine Einarbeitungszeit oder vorangegangene Hospitation gab es nicht. Man muss sich zunächst also selbst durchbeißen und stellt fest, dass die Verantwortungsbereiche nicht immer dort liegen, wo man sie erwartet hat. So hatte ich beispielsweise große Verantwortung für schöne, ordentliche Schulhefte – besonders in der sechsten Klasse. Nicht, dass mir selbst das immer so präsent gewesen wäre, aber insbesondere meine Schülerinnen erinnerten mich immer wieder mal liebevoll daran. Es fing an mit den Farben: “Frau Mielke! Ich habe aber gar keinen lila Stift dabei. Kann ich auch grün nehmen?” Während ich in den ersten Wochen noch dachte, dass es doch völlig schnuppe sei, welche Farbe nun, gingen meine Gedankengänge nach wenigen Monaten eher so:

Warum zum Kuckuck habe ich lila genommen?! Grün? Grün werden nachher die Nenner unterstrichen! Das geht nicht. Blau vielleicht… nein, zu tintenähnlich. Gelb? Sieht man kaum. Rot? Merksatzrahmenfarbe. Braun? Hässlich. Ratlosigkeit.

„Nimm einfach braun.“

„Hab ich auch nicht.“

Neben der sicherlich hochinteressanten Frage der geeigneten Farbe (die plane ich nun bereits im Voraus der Stunde!), war eine der ersten Fragen, die ich mir bereits vor Antritt des Referendariats stellte, eine Frage zu den Inhalten der Informatik: Kann man Schülern an der Schule überhaupt „echte“ Informatik beibringen oder geht es, wie früher häufig üblich, eigentlich um Word und Power Point?

Informatik an „meiner“ Schule

Wenn eine Schule Informatik anbietet, ist heutzutage – jedenfalls laut Lehrplan – auch so etwas wie Informatik drin. Und ich muss ehrlich gestehen, dass ich erstaunt war, was Schüler von heute an meiner Ausbildungsschule im Bereich Informatik so lernen konnten: In Klasse acht konnten diejenigen, die als projektartiges Wahlfach Informatik & Technik gewählt haben, mit Arduinos, also kleinen, programmierbaren Mikrocontrollern, Playmobilhäuser steuern. Sie haben LEDs, Lichtsensoren und Alarmanlagen eingebaut, verrückte Türöffnungskonstruktionen gebastelt und das Türöffnen über Bewegungsmelder ausgelöst. Sie haben Lego Mindstorms-Fahrzeuge auf Linien fahren lassen und Wettbewerbe durchgeführt, welches Fahrzeug zuerst die meisten Dosen umwirft. Und in Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag haben Elftklässler den Sechstklässlern Programmieren mit der visuellen Programmiersprache Scratch beigebracht.

Ab Klasse 10, in der der projektartige Charakter abnimmt und Informatik als „normales“ Unterrichtsfach neben anderen gewählt und auch als Abiturfach belegt werden kann, geht es dann auch um Dinge wie Algorithmik (inklusive Rekursion), Modellierung (zum Beispiel Klassenentwurf, Datenstrukturen wie Schlangen und Stapel), Datenbanken, Sicherheit (ich habe auch RSA und den Diffie-Hellman-Schlüsselaustausch unterrichten können) und vieles mehr. Die Abiturempfehlungen für 2017 geben das vor. Dafür, dass in Klasse zehn nur 90 Minuten pro Woche und in Abiturkursen 180 Minuten pro Woche zur Verfügung stehen, enthalten die Vorgaben fürs Abitur einen erstaunlich umfangreichen Querschnitt durch die Studieninhalte.

Kann man sich als Lehrer, der eigentlich aus der „puren“ Informatik kommt, trotzdem langweilen? Unabhängig vom Unterrichtsfach kommt man inhaltlich im Unterricht natürlich nie so weit wie im Studium, dennoch fühle ich mich intellektuell alles andere als unterfordert. Im Lehrerberuf ist es häufig nicht das Problem, die Inhalte selbst zu verstehen, wobei es natürlich auch hier Ausnahmen geben kann. Das Problem ist, die Inhalte in der so kurzen zur Verfügung stehenden Zeit für Schüler zugänglich zu machen. Nun arbeiten Schüler etwas anders als Studenten. Sie machen zwar Hausaufgaben, aber in der Oberstufe darf ich für ein 180-Minuten-Fach grob eine Stunde pro Woche für Hausaufgaben „blockieren“, damit die Schüler nicht auf mehr als zwei Stunden pro Tag kommen. Einführen, Verstehen und Üben müssen also bereits Teil der Unterrichtsstunde sein. Eine Vorlesung zu halten und die Schüler zuhause weiterarbeiten zu lassen ist daher nicht drin. Für mich war das anfangs eine große Hürde, denn mir fehlten schlicht die Beispiele und meine eigene Schulzeit lag nun ein paar Jährchen zurück. Aber genau diese Denkleistung macht für mich das Unterrichten zu etwas besonders Anspruchsvollem und zu einer hoch kreativen Arbeit, in der ich entscheiden darf und muss, mit welchem Material, mit welchen Vereinfachungen oder Metaphern, mit wie viel Abstraktion und wie viel Beispiel und in welcher Arbeitsform ich die Schüler erreichen kann. Während des Referendariats steht auch genau das auf dem Prüfstand.

So ganz allein ist man als angehender Lehrer im Referendariat mit den neuen Aufgaben und Eindrücken allerdings nicht. Wöchentlich finden verpflichtende Seminarveranstaltungen statt, in denen neben der Pädagogik (also im Wesentlichen der Frage, wie man mit Schülern umgehen sollte) die Transformation von Inhalt in Unterricht thematisiert wird. In sogenannten Unterrichtsbesuchen wird man zusätzlich vom eigenen Pädagogen und den Fachleitern zum eigenen Unterricht beraten – und am Ende von ihnen bewertet.

Fast so etwas wie eine Einstellungsgarantie

Insgesamt war das Referendariat anstrengend, aber ich habe an keinem Tag bereut, diesen Weg gegangen zu sein. Ich hoffe, dass noch viele Andere diesen Weg für sich entdecken und mithelfen, die Informatik in die Schulen zu tragen. Die politischen Mühlen mahlen langsam. Vor kurzer Zeit wurde der Vorstoß gewagt, Informatik als Pflichtfach in Niedersachsen einzuführen. Auch in Schleswig-Holstein ist das immer wieder mal in der Diskussion. Die Einführung des Pflichtfachs in Niedersachsen wurde dann doch gebremst – mit der Begründung, es fehlten Informatiklehrer. Kein Wunder, schließlich werden kaum welche für den Schuldienst ausgebildet. Viele Schulen hoffen jedoch trotz der noch sehr informatikarmen Bildungslandschaft darauf, dass sie Informatik anbieten können, denn auch die Eltern und Schüler haben erkannt, dass diese sowohl im privaten Umfeld als auch allgemeinbildend zunehmend an Bedeutung gewinnt. Daher hat ein ausgebildeter Informatiklehrer zur Zeit auch fast so etwas wie eine Einstellungsgarantie.

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