23889573479_9de4f33837_oLukas Ruge

Wir haben an unserer Uni ein Problem. Ein Problem, das viele von uns womöglich gar nicht wahrnehmen, weil sie das Glück haben, dass man es ihnen ansieht, in einem der wohlhabendsten und freiesten Länder der Welt geboren worden zu sein. Ein Umfrage im Sommer vergangenen Jahres, durchgeführt in Zusammenarbeit verschiedener Institutionen der Universität hatte das Ziel, die Ergebnisse einer früheren Erhebung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zu überprüfen. Leider mit ernüchterndem Ergebnis. Die Studie des DAAD von 2014 hatte ergeben, dass es in Lübeck überdurchschnittlich häufig zu schweren verbalen und physischen Attacken gegen ausländische Studierende oder solche mit Migrationshintergrund kommt. 15% aller ausländischen Studierenden oder Studierender mit Migrationshintergrund haben bereits schwere verbale Angriffe am eigenen Leib erfahren, 8% sogar physische. Die Resultate der jüngsten Umfrage bestätigen dies. Bundesweit sind es im Vergleich 8%, die verbale, und 3%, die physische Attacken erlebt haben. Auch das ist noch immer zu viel, im Vergleich zu Lübeck jedoch deutlich weniger. All diese Zahlen sind übrigens in den veröffentlichten Umfrageergebnissen nachzulesen.

Rassismus als Alltag

Auch die übrigen Zahlen sind erschreckend. 69% der insgesamt 115 befragten Studierenden mit Migrationshintergrund oder ausländischen Studierenden geben an, dass sie das Gefühl haben, dass ihnen wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer Religion bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, und noch immer die Hälfte fühlt sich aufgrund dessen anders behandelt als Studierende ohne Migrationshintergrund. Das bedauerliche hieran ist, dass solche Dinge oft nicht böse gemeint sind und häufig sogar unabsichtlich geschehen. Aber auch wenn man in einer Unterhaltung überlegt, ob man bestimmte Themen aus Rücksicht lieber vermeidet oder anders anspricht, ist dies noch immer durch ein Vorurteil bestimmt und wirkt auf das Gegenüber womöglich diskriminierend. Ein Klassiker ist auch die Frage „Wo kommt deine Familie eigentlich wirklich her?“. Viele Studierende beklagen auch, von ihren Kommilitonen gemieden zu werden und bei Gruppenarbeiten wegen ihrer vermeintlich schlechten Sprachkenntnisse nur schlecht Anschluss zu finden. Und manchmal sind es sogar positive Klischees, wie das des disziplinierten Chinesen oder des überpünktlichen Deutschen, die am meisten stören. Auch wenn diese gut oder scherzhaft gemeint sind, reduzieren sie die Betroffenen doch auf ihre Herkunft und Abstammung. Nicht jede Art des Rassismus ist aggressiv oder abweisend – ist und bleibt aber trotzdem rassistisch. Dies mag jetzt nach übermäßiger politischer Korrektheit klingen, aber oft sind es eben die kleinen Dinge, die den größten Ausschlag geben. Andere Formen des Alltagsrassismus sind wesentlich signifikanter. So berichten 38% der ausländischen Studierenden und 12% der deutschen Studierenden mit Migrationshintergrund von Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund ist es dagegen nur 1%. Einige dieser Fälle mögen auch auf rechtliche Unsicherheit zurückzuführen sein, weil beispielsweise unklar ist, wie das mit der Bürgschaft funktioniert. Allerdings sollte man die Situation nicht verharmlosen. So berichtet ein Studierender beispielsweise, dass eine potentielle Nachmieterin allein wegen ihres Nachnamens gar nicht erst zur Wohnungsbesichtigung geladen wurde. Einem anderen wurde aufgrund seiner Hautfarbe eine Wohnung verweigert und stattdessen eine in einem anderen Stadtteil angeboten. Dies passt zu Berichten, dass ausländische Studierende in Wohnheimen gezielt in dieselben WGs gesteckt werden. Auf diese Weise wird eine gute Integration kaum gelingen. Selbstverständlich sind die erschütternden Ergebnisse der Umfragen nicht ausschließlich auf diese Arten des Alltagsrassismus zurückzuführen, sonst würden kaum so viele von massiven verbalen oder gar physischen Attacken berichten. Die verbalen Angriffe reichen hierbei von flüchtigen Bemerkungen hin zu offenen Beschimpfungen und dem Beklagen mangelnder „Rassenreinheit“. Und nicht selten genug enden solche Konflikte dann in physischer Gewalt.

Nicht wegsehen!

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie sich deutsche Studierende ohne Migrationshintergrund verhalten, wenn sie Zeugen solcher Ereignisse werden. 27% gaben an, diese Arten der offenen Diskriminierung bereits beobachtet zu haben, davon haben sich nur 43%, also weniger als die Hälfte, eingemischt. Die meisten davon haben versucht, verbal zu schlichten und die Situation zu deeskalieren, andere holten die Polizei und setzten die Täter sogar fest, bis diese eingetroffen ist. Mehr als die Hälfte der Befragten tat jedoch gar nichts. Sie ignorierten die Situation vollkommen oder gingen eilig weiter. Einige gaben an, dass die Situation nicht bedrohlich genug gewesen sei, um eine Einmischung nötig zu machen, oder dass es sich um eine Lappalie handelte. Aber selbst oder gerade dann ist es wichtig, sich deutlich zu positionieren und ein Signal zu senden, dass man so etwas nicht duldet. Einerseits, um das Opfer zu unterstützen, andererseits, damit der Täter das nächste Mal vielleicht besser überlegt, ob seine Äußerungen angebracht sind oder nicht. Die meisten, die nicht halfen, taten dies jedoch aus Angst. Aus Angst davor, selbst in den Fokus der Täter zu geraten oder physisch angegriffen zu werden. Dies mag in einigen Situationen ein gültiges Argument sein, zum Beispiel wenn man allein einer Gruppe gegenübersteht. Doch selbst dann könnte man noch immer die Polizei rufen. Im normalen Alltag jedoch, wenn ein Fahrgast den schwarzen Busfahrer beschimpft, ein Freund nicht in den Club gelassen oder ein Mensch mit Migrationshintergrund auf offener Straße beleidigt wird, gibt es kaum eine Entschuldigung, sich nicht einzumischen. Wenn wir in diesen Momenten nicht klar Stellung beziehen und den Opfern helfen, gibt es wenig Hoffnung, dass sich in naher Zukunft etwas bessern wird. Jeder sollte sich einmal selbst fragen, wie er oder sie in solchen Situationen handeln würde. Und dann überlegen, ob man mit der Antwort zufrieden ist.

Von Niedergeschlagenheit bis zum Studienabbruch

Studierende, die Opfer von solchen Attacken werden, sprechen nur selten darüber mit denjenigen, deren Aufgabe es wäre, dagegen vorzugehen. Nur etwas mehr als die Hälfte hat überhaupt mit jemandem über diese Erfahrungen gesprochen und dann meist mit Kommilitonen oder Freunden außerhalb der Uni und der Familie. Von den Befragten wandte sich keiner an das Dezernat für Chancengleichheit und Familie, die Studiengangsleitung, ihre Mentoren oder den Psychosozialen Dienst. Einer der Gründe hierfür ist wohl, dass viele dieser Einrichtungen undter den Studierenden kaum bekannt sind. Und bei den bekannten ist es zum Teil offenbar nicht klar, ob und wie diese helfen können. Hier ist ganz eindeutig die Uni gefragt, aktiv auf die Studierendenschaft zuzugehen und sich als Ansprechpartner anzubieten. Unabhängig davon, ob die Opfer über ihre Erlebnisse sprachen, haben diese jedoch oft unmittelbare Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden und sogar ihre Studienleistungen. Weit über die Hälfte, 64,9% gibt an, dass sich rassistische Erfahrungen auf ihr Befinden und Verhalten ausgewirkt haben. Die meisten grübelten viel über das Erlebte nach und fühlten sich niedergeschlagen. Andere vermieden bestimmte Orte und Situationen oder änderten ihre Lebensführung, womit der Rassismus, dem sie ausgesetzt waren, also direkt ihr freies Leben in unserem hoch geschätzten Land beeinträchtigt hat. Ein Teil fürchtete sogar massiv um die eigene Sicherheit. Weniger, aber noch immer ein knappes Drittel der Befragten, erzählt von negativen Folgen auf das eigene Studium. Aufgrund von Niedergeschlagenheit und Konzentrationsschwierigkeiten oder weil sie sogar bestimmte Lehrveranstaltungen gemieden haben, hat sich bei vielen die Leistung verschlechtert oder das Studium verzögert. Eine Person hat wegen ihrer negativen Erfahrungen sogar das Studienfach gewechselt. Auch hier ist es die Aufgabe der Universität und der Lehrenden, solche Probleme zu erkennen und ihnen rechtzeitig entgegenzuwirken. Aber nicht nur. Vor allem liegt es auch bei den Kommilitonen und Kommilitoninnen, ihren Mitstudierenden zu helfen und ihnen beizustehen, wenn sie bemerken, dass etwas nicht stimmt. An dieser Stelle sollte man sich erneut fragen, ob man mit seinem eigenen Verhalten uneingeschränkt zufrieden sein kann.

Ein einsamer Abend der Vielfalt

Welche Lehren wird die Universität aus all dem ziehen? Dass etwas getan werden muss, darin sind sich alle einig. Auch Präsident Hendrik Lehnert sieht den Handlungsbedarf groß. Erste Maßnahme war der Abend der Vielfalt am 2. Dezember letzten Jahres. Als ein Abend, der die breite Masse auf das Problem aufmerksam machen und zur Diskussion anregen sollte, hat dieser aber leider versagt. Der Hörsaal eins des Audimax war nicht einmal zur Hälfte gefüllt, und einen Großteil der studentischen Zuhörerschaft machte der Unichor aus. Das ist sehr schade, da der Vortrag von Hauptrednerin Noah Sow durchaus sehr interessant war und einige Aspekte angesprochen hat, über die bisher wohl nur die wenigsten nachgedacht hatten. Man kann der Uni auch nicht vorwerfen, zu wenig Werbung für diesen Abend gemacht zu haben. Vielmehr wäre ein wenig mehr Interesse und Engagement der Studierendenschaft wünschenswert gewesen. Aber auch die Universität macht in dieser Sache sicherlich noch nicht alles richtig. Unter anderem sprach Noah Sow von Signalen, die eine Institution wie eine Universität auch unterschwellig an ausländische Studenten oder solche mit Migrationshintergrund senden kann. Was für ein Signal beispielsweise ein Honorarprofessor sendet, der sich offen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ausspricht, den Sturz der Bundeskanzlerin fordert und ob der gestiegenen Zuwanderung die Verdrängung der christlich-abendländischen Kultur prophezeit kann sich einmal jeder selbst überlegen. Weitere von der Universität geplante Maßnahmen sind unter anderem ein neues Merkblatt für Erstsemester in dem beschrieben wird, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten sollte und an wen man sich wenden kann, Kurse zu interkulturellem Training und inter- und transkulturellem Lehren, sowie weitere Schritte, die derzeit noch dabei sind Gestalt anzunehmen. All das sind Schritte in die richtige Richtung, aber trotzdem darf man sich weder darauf ausruhen, noch die Verantwortung allein bei der Universitätsverwaltung sehen. Letztlich muss sich jeder selbst fragen, wie er oder sie zu einer Verbesserung der Situation beitragen kann. Dass über das Problem Rassismus offen gesprochen wird, ist dabei nur der erste Schritt.

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