Südafrikanische Community Worker beim Erste-Hilfe-KursLisa-Marie Müller

Südafrikanische Community Worker beim Erste-Hilfe-Kurs

Zwölf Minuten. Die Worte schweben einen Moment im Raum. Es ist still. Man hört nur das Surren der zwei Ventilatoren. Ich schaue in die Gesichter. Zweifel. Immer? Mir fällt kein englisches Wort ein für Hilfsfrist. Ich sage, es gebe ein Gesetz. In dem Teil Deutschlands, in dem ich lebe, sind es zwölf Minuten. Zwölf Minuten bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Immer noch ist es still. Einige Blicke werden getauscht. Hlongiwe fragt: „Aber kommen sie denn auch?“ Ich nicke. Wenn man anruft, dann kommen sie. Manchmal in sechs Minuten, manchmal in zwölf, manchmal – in Ausnahmefällen – vielleicht in zwanzig. Aber sie kommen. Immer. Meine Stimme ist fest und ohne Zweifel. Ich sage es mit einer Gewissheit, die mir jetzt umso mehr bewusst wird, da ich hier sitze in einem der Räume des Isibani Community Centers in Winterton, in KwaZulu Natal, im ländlichen Südafrika. In dieser Gegend gibt es zwei öffentliche Krankenwagen.

Ich frage in die Runde, ob jemand schon einmal einen gerufen hat. Einige nicken. Ist er gekommen? Etwa die Hälfte sagt ja. Wann? Ein paar Zahlen werden genannt. Buhle erntet ein anerkennendes Nicken: Als ihre Mutter von einem Auto angefahren wurde, kam der Krankenwagen nach 40 Minuten. Sie nennt die niedrigste Zahl an diesem Nachmittag. Simpiwe meldet sich zu Wort. Er würde gleich versuchen selbst ein Auto aufzutreiben, ob ein Krankenwagen käme sei zu ungewiss. Ich kann ihm nicht widersprechen: 22 Minuten. So lange fährt man – laut Google-Maps – vom Gelände des Isibani Community Centers bis zum nächsten Krankenhaus in Emmaus. 22 gegen 40. Allerdings auch nur ohne vorherige Suche nach einem Auto, ohne Traktor, ohne Kühe auf der Straße, ohne Gewitter und ohne einen Zwischenstop an der Tankstelle. Und da ist es dann, dieses ungute Gefühl. Diese Unsicherheit, was ich sagen oder raten soll.

Vor fast vier Jahren absolvierte ich im Isibani Community Center in Winterton im Südosten Südafrikas einen einjährigen weltwärts-Freiwilligendienst. Direkt neben Winterton befindet sich das Township Khethani mit fast 10.000 Einwohnern. Dieser Gemeinde und den Bewohnern der vielen umliegenden Dörfer und Farmen bietet Isibani Unterstützung. Auf freiwilliger Basis arbeiten hier Einheimische und internationale Freiwillige in den verschiedenen Projekten. In den vergangenen Semesterferien war ich zu Besuch in Winterton. Während dieser Zeit habe ich einen halbtägigen Erste-Hilfe-Kurs organisiert und möchte mit euch ein paar Eindrücke teilen.

Das schwächste Glied?

In Deutschland wird in solchen Kursen meist mit der Darstellung der Rettungskette begonnen. Das schwächste Glied darin – der Ersthelfer – bestimmt die Stärke der ganzen Kette. Und Erste-Hilfe-Kurse können dabei helfen, dieses Glied stärker, effektiver zu machen – es ist fassbar, beeinflussbar. Was aber, wenn die Verbindung zwischen den einzelnen Gliedern der Kette wegfällt. Wenn die zwei öffentlichen Krankenwagen beschäftigt, die Wagen der privaten Krankenhäuser außer Reichweite sind und ein Auto unauffindbar ist? Wieviel Wert, wieviel Einfluss hat dann noch die Stärke der einzelnen Glieder? Wieviel Sinn macht ein solcher Kurs? Meine Motivation war hoch als Isibani mich zu Beginn meines Besuchs fragte ob ich Lust darauf hätte. Ein Erste-Hilfe-Kurs für interessierte Community Worker. Nur die Grundlagen, ein Nachmittag. In Lübeck bin ich seit einigen Semestern Teil der AG EH-MED. Diese AG – es gibt sie in vielen Unistädten – organisiert Erste-Hilfe-Kurse für Medizinstudenten. Die sind anspruchsvoll, möchten genaue Erklärungen für Ursache und Wirkung, wollen exakte Anleitung, viele Details. Trotzdem merke ich schon zu Beginn der Vorbereitung, dass mir das hier schwerer fällt. Was ist am Wichtigsten zu wissen für diese Menschen, für ihren Alltag, für ihr Umfeld? Was kann man weglassen, was muss angepasst werden an die Situation? Wie vermittle ich die Notwendigkeiten, die Erklärungen für bestimmte Methoden? Und wie lassen sich manche Techniken ohne Zubehör üben und richtig vermitteln? Die Fragen, das Gefühl der Unsicherheit finden einen, trotz allem Elan und aller Motivation doch irgendwann.

Asambeni

Sindi räuspert sich. Sie sitzt neben mir auf dem Stuhl, deutet auf die Uhr. Sagt: „Asambeni, Lisa.“ Auf geht’s. Genug Geschichten und Fragen. Fang an. Genau dasselbe hat sie mir auch gesagt, als ich sie bat mir bei der Ausarbeitung eines Leitfadens zu helfen. Sie ist Krankenschwester. Betreut Alte und Kranke in der Gemeinde. Ihre Kraft und Demut und Liebe waren schon damals, vor vier Jahren meine Inspiration. Und schon damals hat sie mich manches Mal daran erinnert, dass es im Angesicht von zu vielen Fragen und Zweifeln manchmal besser ist, einfach loszugehen. Sie hat wieder Recht. Ich fange an mit den drei „Goldenen Regeln“, dem roten Faden für diesen Nachmittag: „Safety First – Get Help – The Worst Thing You Can Do Is To Do Nothing.“ Als sich France dann nach einigem Bitten auf die vorbereitete Decke in der Mitte des Stuhlkreises legt, wir anfangen mit der stabilen Seitenlage, bleiben die Fragen und Zweifel zurück. Wir arbeiten uns langsam vor, gemeinsam. Die Reanimation wird am blauen Kinderball geübt. Ein Ring aus Papier hält ihn an Ort und Stelle. Jeder ist mal dran; damit man im Takt bleibt, singt bald der ganze Raum „Staying alive“. Wir diskutieren über Mund-zu-Mund-Beatmung und Ansteckungsgefahr, Tuberkulose und HIV. Irgendwann sagt jemand: „Lasst uns lieber weitermachen, wenn man sich unsicher ist, drückt man einfach durch.“ Zur Versorgung starker Blutungen habe ich etwas Verbandzeug mitgebracht. Wir üben es einmal damit und dann einmal mit einem Schal und einer geschlossenen Packung Taschentücher als Druckauflage. Sindi und ich haben Tipps für Verbrennungen und Schock vorbereitet. Und zum Rettungsgriff, Verschlucken und Beinbrüchen. Bei den Fragen zu Schlangenbissen muss ich passen. Zum Schluss verteilen wir eine kleine selbstgemachte Broschüre mit dem heute Gelernten. Einmal auf Englisch, einmal auf Zulu. Ein Wort für Reanimation gibt es im Alltags-Zulu nicht. „Macht nichts, sagt Sandile, der Übersetzer, wir nennen es: Lunge und Herz beim Arbeiten helfen. Das ist es doch, oder?“

Die Antwort

Eine Teilnehmerin bedankt sich. Sie habe viel gelernt und wolle es gleich ihrem Mann beibringen zu Hause. Aber sie habe noch eine Frage: „Wenn nun das Herz stehen bleibt und man wählt den Notruf, ruft nach Hilfe, was macht man dann, wenn keiner kommt, wenn man allein bleibt?“ Wieder ist es still. Nach kurzem Zögern sage ich, dass auch ich die richtige Antwort darauf nicht kenne. Dass ich mir dieselbe Frage gestellt habe. Und viele weitere. Was würdet ihr tun? Buhle räuspert sich: „Eigentlich gibt es nur eines, was man tun kann. Zu drücken wie wir es heute gelernt haben bis man nicht mehr kann und dann aufhören. Ein Murmeln geht durch den Raum. „Denkt an die Alternative!“, sagt Buhle. Nichts tun, hilflos daneben stehen. Das ist schlimmer. Sie wendet sich an mich: „Du hast es doch selbst gesagt „The worst thing you can do is to do nothing.“. Sie hat Recht, die Antwort auf meine Fragen hatte ich mir eigentlich schon selbst gegeben.

Interesse an der Arbeit von Isibani und Lust auf mehr Geschichten aus Südafrika und von nationalen und internationalen Freiwilligen? Einfach mal hier schauen: www.isibanicentre.org

Noch keine Kommentare, sei der Erste!