StudentenPACK: Seit wann sind Sie an der Universität und was hat Sie damals hergeführt?

Reinhard Eggers: Ich habe letztens in meinem Studienbuch nachgeschaut: Am 16. Oktober 1974, also genau vor vierzig Jahren, habe ich mich in Lübeck immatrikuliert. Vorher hatte ich in Bonn studiert und dort mein Physikum gemacht. Ich war in Bonn aufgewachsen, zur Schule gegangen, hatte dort mein Studium begonnen und wollte einen Studienplatzwechsel. Ich hatte Lübeck ein paar Jahre vorher kennengelernt und festgestellt: Hier kann man sehr gut leben, und hier möchte ich studieren. Die erstbeste Gelegenheit habe ich dann genutzt, um hierher zu gehen. Das war damals erst für die klinische Ausbildung möglich – die Vorklinik gab es ja noch nicht.

StudentenPACK: Welches sind die drei beeindruckendsten Erlebnisse in Ihrer Zeit hier?

Eggers: Eine Sache fand ich für uns Studenten sehr schön. Und zwar gab es in der Mensa, die damals noch in der Baracke, die jetzt gerade abgerissen worden ist, untergebracht war, zwei große Kannen mit Buttermilch zur freien Verfügung. Man konnte sich dort hinsetzen, Zeitung lesen und dazu kostenlos Buttermilch trinken. Das habe ich sehr gerne gemacht, denn Durst hatte ich immer. Ich fand es gemütlich, konnte mich dort mit den Kommilitonen treffen, in Ruhe lesen oder klönen und dazu Buttermilch trinken.

Was mich hier insgesamt sehr beeindruckt hat, war das Bestreben, Lübeck aufbauen zu wollen. Die Dozenten, die Verwaltungsleute und auch die Studenten wollten aus Lübeck etwas machen. Die damalige Medizinische Hochschule war schon auf einem guten Wege, aber es war natürlich noch viel zu tun. Der Wille zum Aufbau ist etwas ganz Besonderes, weil man sich gegenseitig helfen will. Das habe ich auch in späteren Jahren erlebt, als die Vorklinik gebaut wurde. Mein damaliger Chef, der Anatom Haug, war als Koordinator eingesetzt worden, und wir haben lange Zeit nur für diese Vorklinik gearbeitet. Es gab von allen Seiten Unterstützung, jeder versuchte zu helfen, wo es nur ging. Das hat mich sehr beeindruckt.

Leider ist, gerade auf der Verwaltungsseite, Vieles rigider geworden. Der Aufbau hat zu einem großen Apparat geführt, der sich selbst hemmt, zumindest habe ich zunehmend diesen Eindruck. Da passiert Vieles, was nicht gut ist.

StudentenPACK: Was hat sich hier denn am meisten verändert?

Eggers: Alles! Es sind unglaublich viele Studierende geworden, das ist gut so. Früher gab es nur die Medizin. Inzwischen gibt es viele andere Studiengänge und auch das ist gut, denn eine Uni muss wachsen, sonst lebt sie nicht.

StudentenPACK: Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Studentenzeit?

Eggers: Gar nichts. Ich fand die geringe Größe damals wunderbar, mir hat das Persönliche sehr gut gefallen. Es war aber auch etwas, das gut in die Zeit passte. Inzwischen hat sich vieles verändert, und es gibt wieder Menschen, die versuchen, etwas Gutes zu schaffen, was in diese Zeit passt. Ich wollte nicht unbedingt wieder die Möglichkeit haben, Buttermilch in der Mensa zu trinken.

StudentenPACK: In Ihrer Bewerbung zum Studierendenparlament 1975 beziehen Sie sich auf das „Aktionsprogramm für einen politischen AStA“. Wie politisch war der Campus damals?

Eggers: Die Studenten in Lübeck waren nie sehr politisch. Vorher in Bonn war es ganz anders. Dort sind Vorlesungen häufig boykottiert und stattdessen Sit-ins veranstaltet worden. Wenn ein Dozent etwas Unliebsames von sich gab, wurde dies sofort mit lautem Zischen begleitet oder man verließ aus Protest den Hörsaal. Auch in Bonn geschah das in der Medizin viel seltener als in anderen Fakultäten; hier in Lübeck gab es das so gut wie gar nicht. Hier wurde auch diskutiert und argumentiert, aber auf einem vergleichsweise freundlichen Niveau. Man merkte, dass alle an einem Strang ziehen wollten, der für Lübeck gut war.

StudentenPACK: Sehen Sie darin heute eine Veränderung verglichen mit früher?

Eggers: Eine politische Auseinandersetzung findet an der Universität kaum noch statt. Manchmal habe ich das Gefühl, man müsste deutlicher sagen, was nicht gut läuft. Damals prangerten Studenten politische Verhältnisse im Ausland an, demonstrierten und diskutierten. Da schien Nicaragua näher als Kiel. Ein ideologisch geprägtes Engagement passt nicht mehr in unsere Zeit. Wir müssen uns um unsere Welt kümmern, aber nicht auf die theoretische Weise, wie es damals gemacht wurde.

StudentenPACK: Damals studierte man ja auch noch an der innerdeutschen Grenze. Wie viel hat man davon mitbekommen?

Eggers: Die Grenze war natürlich sehr nahe. Im Grunde liefen wir jeden Tag dagegen, wenn wir versuchten, auf Spaziergängen oder Radtouren weiter nach Osten zu kommen. Wir sahen die Holunderblüten jenseits der Grenze, aber die Früchte konnten wir für den Punsch nicht ernten. Es war ein unglaubliches Erleben, als die Grenze geöffnet wurde und ein riesiger Teil Deutschlands plötzlich erlaufbar und mit dem Rad erkundbar wurde, anstatt von einem Zaun abgetrennt zu sein.

StudentenPACK: Hat die Grenzöffnung auch den Campus merklich verändert?

Eggers: Lübeck ist insgesamt offener geworden. Früher lag es wirklich in Zonenrandlage und jetzt ist es wieder mittendrin im Ostseeraum. Für Lübeck und die Uni ist es gut, dass wir nicht mehr am Rande leben. Die Bereitschaft von guten Wissenschaftlern, hierher zu kommen, ist durch die zentralere Lage größer geworden. Durch die Ostsee liegt Lübeck zwar immer noch am Rand Deutschlands, aber nicht mehr im hintersten Eck.

StudentenPACK: Wie geht es Ihrer Meinung nach mit der Universität weiter?

Eggers: Wenn ich mir ansehe, wie sich die Uni Lübeck entwickelt hat, kann ich mir gut vorstellen, dass diese Entwicklung so weitergeht. Vieles, was geplant war, ist ja erreicht, aber in einigen Bereichen scheint es noch Bedarf zu geben. Ich denke, dass Lübeck immer die kleinere, feinere Universität in Schleswig-Holstein sein wird und nicht den Ausbau zur großen Volluniversität machen wird. Die Überführung in eine Stiftungsuniversität bietet große Chancen, diese Entwicklung mit mehr Geld zu unterstützen, und ich hoffe, dass diese Chancen auch genutzt werden.

StudentenPACK: Möchten Sie zum Schluss noch ein Statement zum Ehrendoktortitel von Frau Schavan abgeben?

Eggers: Die Zeit von „Lübeck kämpft!“ war eine entscheidende für Lübeck. Es sah ja wirklich so aus, als ob Lübeck begraben würde. Frau Schavan hat damals eine Möglichkeit gefunden, Lübeck durch finanzielle Hilfe zu retten. Ich bin sicher, dass sie den Ehrendoktortitel wirklich zu Recht verliehen bekommen hat, denn hier wurde nicht eine wissenschaftliche, sondern eine politische Leistung honoriert, die sie unzweifelhaft erbracht hat.

StudentenPACK: Vielen Dank für das Gespräch!

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