Früher waren die Rollen klar verteilt: Aufgabe einer Universität sind Forschung und theoretische Lehre, die der Fachhochschulen beschränken sich auf die praxisorientierte Lehre. Dabei durften nur die Universitäten als Forschungseinrichtungen Doktoranden ausbilden und Ihnen den begehrten Doktortitel verleihen. Im Zuge zahlreicher Bildungsreformen wurden jedoch die Studienabschlüsse beider Institutionen immer weiter angeglichen und der Forschungsauftrag der Fachhochschulen in jedem Bundesland fest ins Hochschulgesetz integriert. Für viele Fachhochschulen ist der nächste Schritt in diese Richtung – der Erhalt des Promotionsrechts, also die Möglichkeit Doktorgrade zu vergeben – nur die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Dieser Ansicht ist auch die schleswig-holsteinische Wissenschaftsministerin Prof. Waltraud Wende, die als erste den Fachhochschulen des Landes dieses Recht fest zusprechen möchte. Umgesetzt werden soll dies mit dem 2015 in Kraft tretenden Hochschulgesetz. Sie begründet das in einer Stellungnahme: „An Fachhochschulen wird genauso geforscht wie an Universitäten. Zwischen der eher anwendungsorientierten Forschung der FHs und der eher grundlagenorientierten Forschung der Unis gibt es keinen Relevanzunterschied. Für mich gibt es nur Forschung. Nicht Forschung erster und zweiter Klasse.“

Arbeiten hier auch bald Doktoranden an ihren Promotionen?

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Alleine ist sie mit diesem Vorschlag nicht. Im Koalitionsvertrag der hessischen Landesregierung gibt es ihn auch, ebenso hat Baden-Württemberg eine „Experimentierklausel“ geschaffen, der forschungsstarken Fachhochschulen in einem zeitlich und thematisch begrenzten Rahmen das Promotionsrecht zum Ausprobieren verleiht. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesrektorenkonferenz am 20. März im Schatten des Prozesses um eine gewisse Lübecker Ehrendoktorin den Plan vorgestellt, ein Graduiertenkolleg der Fachhochschulen mit eigenen Promotionen zu gründen.

Dr. Muriel Helbig, Dezernentin an der Bauhaus-Universität Weimar und ab August neue Präsidentin der Lübecker Fachhochschule, sagt dazu: „Ich halte das für einen interessanten Vorschlag. Es gibt durchaus forschungsstarke Fachhochschulen mit Professorinnen und Professoren, die eine Promotion sehr gut betreuen könnten. Und es gibt natürlich auch Absolventinnen und Absolventen an Fachhochschulen, die gerne promovieren möchten und das Zeug dazu hätten.“ Die Anzahl der promovierenden FH-Absolventen steigt stetig an, betrug aber zwischen 2009 und 2011 erst 1% der Gesamtpromotionen. Zurzeit führen vor allem zwei Wege den FH-Absolventen zum Doktortitel: Der Weg an die Universität, was in Lübeck durch enge Zusammenarbeit oft gelingt, für viele aber immer noch eine Odyssee aus Hürden und Ablehnungen darstellt, und der Weg zu Partnerhochschulen im Ausland. An diesen gelingt es oft eher an eine Promotionsstelle zu kommen. In beiden Fällen werden meist sehr gute Bachelor- und Master-Abschlüsse vorausgesetzt. Dr. Helbig sieht darin einen Missstand: „Hierfür an eine Universität wechseln, hat erstens nicht immer gut geklappt, und ist zweitens für die Fachhochschulen ein Verlust, die diese Personen gerne halten würden. Es wäre doch geradezu leichtfertig, dieses Potential nicht zu nutzen.“

Oft gibt es aber auch Vorbehalte über den Wissensstand. „Der Hauptunterschied ist, dass die Lehre an der FH deutlich weniger theorie- und forschungsorientiert ist und daher die Absolventen sowohl Defizite an Fachwissen aber auch an für die Forschung notwendigen Kompetenzen aufweisen, die durch die bei ihnen stark entwickelten Kompetenzen und Fähigkeiten in wirtschaftsnahen praktischen Bereichen nicht kompensiert werden. Universität und FH haben eben ihrer Aufgabe entsprechend unterschiedliche Bildungsziele.“, so Prof. Hartmann, Vizepräsident der Uni Lübeck, der selbst schon FH-Doktoranden betreut hat. Daher müsste seiner Ansicht nach ein möglicher FH-Doktorand in besonderem Maße die Fähigkeit einer schnellen Auffassungsgabe und einer selbstständigen Wissensaneignung besitzen, um in kürzester Zeit die fehlenden Kenntnisse erwerben zu können.

Nicht begeistert vom Vorschlag der Wissenschaftsministerin ist beispielsweise Prof. Westermann, Studiengangsleiter Medizin: „Ich halte davon nichts! Ich glaube, dass das Hauptaugenmerk darauf liegen muss, dass Promotionen eine hohe Qualität haben. Diese Qualität ist deswegen notwendig, weil Geld und zeitliche Ressourcen in die Promotionen fließen, was sich einfach bei niedriger Qualität nicht lohnt. Diese hohe Qualität ist an Strukturen gebunden, die oft über Jahre aufgebaut werden müssen. […] Diese Strukturen sind alle bei einer Fachhochschule nicht vorhanden. […] In erster Linie geht es auf Kosten derjenigen, die an der FH Doktorarbeit machen.“ Auch Prof. Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie, steht dem Gesetzentwurf ablehnend gegenüber: „Wir brauchen zukünftig mehr Exzellenz und Profilierung, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Der Vorschlag von Frau Ministerin Wende ist kontraproduktiv.“ Für Prof. Hartmann wäre das Promotionsrecht auch für die Fachhochschulen von Nachteil, da diese sich entweder „vertheoretisieren“ und dadurch ihr Profil verlieren müssten oder aber die Doktorarbeiten eine „Entwissenschaftlichung“ erführen. Beides wäre für den Wissenschaftsstandort Deutschland schlecht.

Sicherlich wird eine Fachhochschule nicht in dem gleichen Maße wie eine Universität Doktoranden ausbilden können. So müssen FH-Dozenten doppelt so viele Unterrichtsstunden wie ihre Kollegen an der Uni abhalten. Auch sind bei Fachhochschulen oft die finanziellen Ressourcen geringer. Dem statistischen Bundesamt zufolge warb 2011 ein Universitätsprofessor im Vergleich mit einem FH-Dozenten durchschnittlich das Zehnfache an nicht-öffentlichen Drittmitteln ein. Um die Fachhochschulen zu entlasten hat Prof. Wende hat ein Regelwerk entwickelt, in dem ein FH-Professor die Betreuung des Doktoranden übernimmt, während die Begutachtung einem Promotionsausschuss, der zum Großteil von Universitätsprofessoren gebildet wird, obliegt. „Das hat zwar auch Nachteile, würde aber auf einen Schlag viele Probleme lösen und ein deutliches Signal Richtung Qualitätssicherung senden. Auch für Promotionen an Universitäten könnte so ein Vorgehen durchaus sinnvoll sein.“, findet Dr. Helbig. Auch bestünde keine Promotionsverpflichtung, sondern vielmehr die Möglichkeit an besonders forschungsstarken Hochschulen zu promovieren, die auch über die notwendigen Ressourcen verfügen würden. So zum Beispiel an den Kompetenzzentren in Lübeck, die mit Drittmitteln bereits die notwendige Infrastruktur geschaffen hätten.

Für Prof. Hartmann ist wichtig, dass FH-Doktorarbeiten vor allem qualitativ mithalten können, da es sonst zu schwerwiegenden Problemen mit der Anerkennung deutscher Promotionsabschlüsse im In- und Ausland käme. Diese Qualität benötige jedoch ein Mindestmaß an „Über-den-Tellerrand-blicken“ in einer theoriegeprägten Forschungsumgebung, die von den FH-Instituten hohen personellen Freiraum und eine an universitäre Standards angepasste sachliche Ausstattung verlange. Dies sei weder bezahlbar noch bei dem aktuellen Fachkräftemangel zu leisten. Prof. Westermann ist ähnlicher Meinung: „Wenn die Struktur, die Kultur und das Geld fehlen, kann man sich noch so viel Mühe geben, die Qualität kann nicht so gut sein.“ Prof. Karl-Friedrich Klotz, Vorsitzender der Promotionskomission der Sektion Medizin, sieht das weniger drastisch: „Es ist sicher schwierig, wenn nicht unmöglich, Promotionsvorhaben in verschiedenen Fakultäten miteinander in ihrer Qualität und ihrem Niveau zu vergleichen. So gehe ich davon aus, dass es keinen grundsätzlichen systematischen Niveau-Unterschied zwischen den verschiedenen Hochschulen geben muss.“ Dennoch ist auch er der Meinung, die FH-Institute seien anders ausgestattet, als es für Promotionsvorhaben geeignet sei.

Ganz anders schätzt Dr. Helbig die Lage ein: „Das [diese Ressourcen] hat die FH Lübeck selbstverständlich. Formale Voraussetzungen und Strukturen wie Promotionsordnung, Graduiertenkommission, Promotionsurkunde lassen sich meiner Einschätzung nach rasch umsetzen. An vielen Universitäten gibt es aber weitere zentrale Angebote wie beispielsweise Stipendienformate, universitätsübergreifende Graduiertenakademien mit besonderen Angeboten und Ansprechpartnern, oder formale Optionen wie Cotutelle-Verfahren [binationale Promotion]. Das haben Fachhochschulen natürlich in diesem Umfang (noch) nicht. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass diese nach und nach nicht nur Bewährtes übernehmen, sondern auch neue, pfiffige Ideen speziell für Promovierende an Fachhochschulen entwickeln und umsetzen.“

Ihrer Ansicht nach würde auch die Universität profitieren. „Es wäre doch toll: An der Universität den Druck wegnehmen, dass jede (Grundlagen-)Forschung – ich übertreibe bewusst – sofort in ein patenfähiges, verwertbares Produkt überführt werden können muss. Promotionen mit Praxisnähe könnten mehr den Fachhochschulen überlassen werden.“

Sollten die Fachhochschulen das Promotionsrecht bekommen, ist es also an ihnen zu zeigen, dass sie damit umgehen können. Einen Versuch ist es allemal wert.

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