Dr. Dummler an seinem Arbeitsplatz im Stadtarchiv

Dr. Dummler an seinem Arbeitsplatz im Stadtarchiv.[media-credit id="152" align="aligncenter" width="645"]

Eine Handvoll Fächer eines unscheinbaren Regals, darin reihen sich Plastikkästen mit Jahreszahlen versehen. Hinter diesem schlichten Aufbewahrungsort verbergen sich 700 Jahre Lübecker Münzgeschichte. Von den Anfängen als kleines Dorf auf einem Hügel, über die Ära als Königin der Hanse bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches und dem Beginn der französischen Herrschaft – die Lübecker Münzen waren immer dabei. Auf blauem Stoff in kleinen Fächern liegend, präsentieren sie sich dem Betrachter. Große Dukaten, erhaben, golden glänzend, neben blechernen, hauchdünnen Brakteaten. Schon bald wird man die Münzen hautnah erleben können: 2015 öffnet das Europäische Hansemuseum in Lübeck seine Pforten und wird seine Besucher mitnehmen auf eine Reise durch die Geschichte der Hanse – und untrennbar damit verknüpft – die Handels- und Münzgeschichte Lübecks. Wann und wie die begann und was mit den Münzen alles passierte, bis wir sie schließlich im Museum bestaunen können, ist tatsächlich eine spannende Geschichte.

Pfennige, Floren, Taler, Gulden, Schilling und nicht zuletzt die Mark, die bis 1549 geschlagen wurde – die Lübecker Münzgeschichte ist mit wenigen Zeilen nicht zu umreißen, zu groß ist die Zahl der verschiedenen Münzen, zu komplex ihre Entstehung und Bedeutung. Unbestritten aber ist, dass seit 1226 im Zuge der raschen Stadtvergrößerung das Geld für Stadt und Bürger immer wichtiger und schließlich existenziell wurde. Unabhängigkeit, Handelsneutralität und Reichtum gingen Hand in Hand. „Um seine Handelsneutralität zu wahren, hat Lübeck beispielsweise Fürsten, die gerade Krieg führten mit selbst geprägten Gulden unterstützt“, erklärt Dr. Dieter Dummler, Münzkenner und für viele Jahre passionierter Münzsammler.

Die Anfänge der Münzprägung

1159 ließ Heinrich der Löwe als Stadtherr von Lübeck die ersten Münzen, die Silberpfennige, prägen. Als herausragender Spiegel der politischen Situation kamen in den folgenden Jahrhunderten die unterschiedlichsten Motive und Münztypen zur Ausprägung. Allein von 1191 bis 1226, vornehmlich während der Herrschaft des dänischen Königs über Lübeck, existierten mindestens 60 verschiedene Münztypen.

Eine weitere Besonderheit: Ihr Materialwert entsprach ihrem Nennwert. Während im Europa des 21. Jahrhunderts ein Euro in Italien, den Niederlanden und Frankreich aus Silber hergestellt wird, die in der Bundesrepublik hergestellten 1-Euro-Münzen aber kein bisschen Silber enthalten, war im 13. Jahrhundert das, was draufstand auch drin. Durchaus praktisch, eröffnete es doch theoretisch die Möglichkeit zu spontanen Münzprägungen aus dem persönlichen Silberschatz: „Wenn den alten Kriegsherren auf langen Feldzügen das Geld ausging, prägten sie ihre Münzen einfach an Ort und Stelle, quasi zwischen den Schlachten. Die fachkundigen Handwerker und das nötige Silber hatten sie immer dabei“. Dr. Dieter Dummler weiß einiges über die Münzen und ihre Geschichte zu berichten. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs Lübecks hat der pensionierte Kieferorthopäde vier Jahre lang mehr als 2900 Lübecker Münzen, die sich in Besitz der Hansestadt Lübeck befinden und nun im Stadtarchiv gesammelt vorliegen, in mühevoller Kleinarbeit geordnet. Alles, was er dafür brauchte, waren eine Zahnbürste, eine Feinwaage und sein scheinbar unerschöpfliches Wissen. Das Ergebnis können Interessierte sogar von zu Hause aus bestaunen: Seit 2011 existiert eine Online-Münzdatenbank, in der jede Münze ihren eigenen Internet-Auftritt hat.

Tauschen oder Zahlen?

Für die jährliche Münzprägung mussten die Münzherren, die nach dem Erwerb des Münzrechts 1226 unabhängig vom Stadtherrn Geld prägen durften, 60 Mark Silber – also etwa 60 mal 233 Gramm – an ihren Kaiser entrichten. Dies entsprach etwa 28.000 Silberpfennigen. Damit sich die Münzprägung dennoch rentierte, ließen sie jährlich mindestens 100.000 Münzen prägen und in Umlauf bringen. Eine stattliche Summe, von der große Teile der immerhin über 10.000 Stadtbewohner keinen Pfennig zu Gesicht bekamen: „Denn fast 70 Prozent der Bevölkerung hatten überhaupt kein Geld“, erklärt Dr. Dummler. „Bei den durchschnittlichen Lübecker Bürgern sah der Alltag einfach aus: der eine baute einen Tisch für den Nachbarn und der gab ihm dafür etwas von seiner Ernte ab.“

Abenteuerlich mutet schließlich das Schicksal der Lübecker Münzen nach ihrer Sammlung an: Vor 250 Jahren begann der Kaufmann Ludolph Heinrich Müller sein Vermögen in Münzen anzulegen, deren Zahl über Jahrzehnte wuchs und die er schließlich dem Rat der Stadt vermachte. Nachdem diese Sammlung in den 1920er Jahren von der Bibliothek in das Stadtarchiv gekommen war, verbarg man sie während des Zweiten Weltkrieges zum Schutz in einem Salzbergwerk. Kaum war der Krieg beendet, wurden unter sowjetischer Besatzung fast 90 Prozent der Münzen geraubt. Ein Teil tauchte kurz darauf auf dem Schwarzmarkt in Berlin wieder auf. „Lübeck hat sofort zugeschlagen und den Schatz zurückgekauft – hätten wir es auf dem Rechtsweg versucht, hätten sich die Kanäle des Schwarzmarktes geschlossen und der Schatz wäre für immer verloren gewesen“, so Dummler.

Auf dem Grundstück der Musikhochschule Lübeck wurde 1984 bei Bauarbeiten der größte Münzschatz in der deutschen Geschichte gefunden.Flickr Foto "Lübeck" von hsivonen unter einer Creative Commons ( BY ) Lizenz

Auf dem Grundstück der Musikhochschule Lübeck wurde 1984 bei Bauarbeiten der größte Münzschatz in der deutschen Geschichte gefunden.

450 Jahre vergraben unter der Treppe

Wenngleich im Laufe der Jahrhunderte so manche Schätze abhanden gekommen sind, so ereigneten sich doch auch ganz unverhoffte, einmalige Schatzfunde: 1984, bei Abrissarbeiten auf dem Grundstück der Musikhochschule, grub ein Baggerführer plötzlich Gold- und Silbermünzen aus. Wie sich herausstellte, waren es genau 20.000 Silbermünzen und 300 Goldmünzen. Ein Kaufmann, der in den 1530er Jahren auf dem jetzigen Grundstück der Musikhochschule einen Speicher gemietet hatte, vergrub sein Vermögen dort unter der Haustreppe und hat es nie wieder hervorgeholt. Schließlich ging der Schatz an den Besitzer des Grundstückes, das Land Schleswig-Holstein. Der Baggerführer, immerhin Finder des größten Münzschatzes überhaupt auf deutschem Boden, wurde mit einer Viertel Million Mark abgefunden.

Ähnlich wie die Münzen dieses sagenhaften Schatzes, die aus Spanien, Skandinavien und dem Mittelmeerraum stammten, sind auch die Lübecker Münzen in der Welt herumgekommen: Als wäre es gestern, erinnert sich Dr. Dieter Dummler an seine Freude und Überraschung, als er während einer Argentinien-Reise in Buenos Aires einen kleinen Laden mit der Aufschrift „Moneta“ betrat und auf eine Sammlung von 60 unterschiedlichen Lübecker Münzen stieß. Offenbar gibt es auch am anderen Ende der Welt Menschen, die diese Begeisterung für Lübecker Münzen teilen. Dr. Dummler wundert das nicht: „Die Münzen sind wie eine Fiebererkrankung“, schmunzelt er. „Man bekommt nie genug und möchte immer mehr wissen.“

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