Hartmut Evermann sitzt am Holztisch und lacht: „Wenn im Freundeskreis jemand schwanger ist, sieht man plötzlich überall schwangere Frauen. Es gibt aber natürlich immer gleich viele schwangere Frauen. So ähnlich ist das bei uns auch, wir machen eigentlich immer gleich viel.“ (Das gesamte Interview mit Hartmut Evermann hier) Hartmut ist einer von zweieinhalb festen Mitarbeitern bei der Lübecker AIDS Hilfe (LAH). „Was wir machen, fällt einfach um den Welt-AIDS-Tag mehr auf. Dann kommen alle her und die Leute lesen es auch eher. Für unsere Arbeit ist aber jeder Tag ein AIDS-Tag.“ Auch ich bin kurz vor dem Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember gekommen, um mehr über die Arbeit der Lübecker AIDS Hilfe zu lernen.

„Wir machen hier in Lübeck 'ne richtig gute Arbeit“, sagt Hartmut Evermann von der Lübecker AIDS Hilfe.

„Wir machen hier in Lübeck ‘ne richtig gute Arbeit“, sagt Hartmut Evermann von der Lübecker AIDS Hilfe.

Lukas Ruge
Auf dem Campus der Uni Lübeck wachsen im November die Schnurrbärte. Im dritten Jahr in Folge organisiert die Fachschaft Medizin den „Movember“, um Spenden für die AIDS-Hilfe in Lübeck zu sammeln. Wer möchte, lässt sich den Bart stehen und andere „sponsern“ den Haarwuchs. Das gesammelte Geld – im letzten Jahr über 2000 Euro – geht am Ende an die LAH. Ich wollte mehr über die Organisation lernen, an die diese Spenden gehen. Hartmut, der mich in dem kleinen Haus in der Engelsgrube 16 empfängt, hat sich dieses Jahr ebenfalls ein Bart stehen lassen. Er arbeitet schon seit zwölf Jahren bei der AIDS-Hilfe, die in Lübeck 1986 gegründet wurde. „Es haben sich damals mehrere Leute zusammengetan, überwiegend Schwule, die gesehen haben, dass sie hängen gelassen wurden. Die Emanzipationsbewegung hatte ja gerade erst begonnen. Es drohte, eine neue Diskriminierungswelle gegenüber den Schwulen und Lesben.“

Einer der ersten, die von der AIDS-Hilfe in Lübeck betreut wurden, war Wolfgang Ebeling. Er starb 1987 und vermachte der Organisation sein Haus, das noch heute der Sitz der AIDS-Hilfe ist. „Es ist ein kleines Kuschelhaus, aber es ist sehr eng, es ist nicht barrierefrei und eigentlich als Beratungshaus nicht gut geeignet“, meint Hartmut. Einpersönliches Beratungsgespräch zu führen, ist in den engen Räumen tatsächlich schwierig. Das untere Geschoss ist eine Kombination aus Empfangsbereich, Wohnzimmer und Küche. An einem großen Holztisch kann man gemütlich sitzen, der Movemberkalender 2013 hängt an der Wand. Eine Treppe führt in das Büro der beiden pädagogischen Mitarbeiter im ersten Stock, wo Hartmut und seine Kollegin Sibylle Hasenbank arbeiten. Darüber ein kleines Beratungszimmer und im obersten Stock das Büro der Verwaltungskraft. Von hier aus planen und koordinieren die Mitarbeiter und die freiwilligen Helfer die Aktionen der LAH. Diese Aktivitäten haben sich über die Jahre verändert. „Es ging in den frühen Jahren auf der einen Seite darum, die Community zu über die Risiken aufzuklären und auf der anderen Seite natürlich auch darum, die Leute, die krank waren, die ausgegrenzt wurden zu unterstützen, für sie da zu sein und sie zu begleiten, bis sie sterben“, berichtet Hartmut, der studierter Sozialpädagoge ist. „Beratung, Betreuung und Unterstützung von Menschen mit HIV und AIDS findet nach wie vor statt und aus der Sterbebegleitung wurde eine Lebensbegleitung. . Früher war es ganz oft so, dass die Positiven oder die an AIDS Erkrankten von ihren Familien oder ihren Partnern ausgestoßen worden sind. Freiwillige, sogenannte Buddies, haben sich dann darum gekümmert, dass die Erkrankten noch ein lebenswürdiges Leben hatten, solange sie noch zu leben hatten. Jetzt entwickeln sich neue Formen der Buddy-Arbeit. Diese Arbeit wird sicherlich auch anspruchsvoller. Früher ging es darum, für den Menschen da zu sein, mit ihm einen Kaffee trinken, mit ihm irgendwo hingehen. Die Probleme sind jetzt vielfältiger und so wird die Buddy-Arbeit anspruchsvoller für die Ehrenamtlichen werden. Aber auch die zielgruppenspezifische Prävention, das heißt die Hauptrisikogruppen – insbesondere Männer, die Sex mit Männern haben – von HIV und AIDS über die Risiken und die Schutzmöglichkeiten aufzuklären ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Arbeit.“

Das Büro im ersten Stock des Ebeling-Hauses, von hier aus koordinieren sie die Arbeit der LAH.

Das Büro im ersten Stock des Ebeling-Hauses, von hier aus koordinieren sie die Arbeit der LAH.

Lukas Ruge
Individuelle Betreuung macht einen erheblichen Anteil der Arbeit aus. „Menschen, die mit HIV infiziert sind, sind die Menschen, die das Virus weitertragen können. In der Regel ist das auch so, dass die Menschen andere Menschen schützen wollen, aber wenn der Kopf voll ist mit Schulden, Familienproblemen, Druck auf der Arbeit oder ich-weiß-nicht-was hat Mancher einfach nicht die Kraft, in einem bestimmten Setting darauf zu bestehen, Sex nur mit Kondom zu haben. Wenn wir da helfen, dass sie den Kopf freikriegen, können die sich auf sowas konzentrieren“, begründet Hartmut diesen Fokus.

Neben der persönlichen Beratung bietet die LAH Vorträge zu vielen Themen an, darunter auch viele medizinische Vorträge. „Ich pflege immer zu sagen: Der Patient hat einen Feind im Körper und dieser Feind versucht den Körper tot zu machen. Um die Überhand über diesen Feind, den man noch nicht besiegen kann, zu behalten, muss man diesen Feind und seinen eigenen Körper sehr gut kennen.“

Hartmut ist merklich stolz auf das Angebot des Vereins. „Ich klopfe mir jetzt mal selbst auf die Schulter, wir machen hier in Lübeck ‘ne richtig gute Arbeit. Wir sind unglaublich gut vernetzwerkt und dadurch auch sehr effektiv in der Betreuung und Beratung. Für so eine kleine AIDS-Hilfe wie wir leisten wir richtig viel.“

Das Angebot aufrecht zu erhalten wird schwieriger und das liegt in erster Linie am Geld: „Sicherstellen, dass die Knete reinkommt, hat wirklich überhandgenommen. Als ich hier vor zwölf Jahren anfing, war das überhaupt kein Thema gewesen, da ist das Geld gekommen, da mussten wir uns keine Gedanken machen. Das hat sich verändert. Realmüssen wir etwa15.000 bis 20.000 Euro pro Jahr selbst erwirtschaften , in das dazugehörige Fundraising muss verdammt viel Arbeit reingesteckt werden.“ Einen großen Anteil der Finanzierung übernehmen das Land und die Stadt Lübeck. Das Land steuert 80.000 Euro bei, , Lübeck 42.000 Euro. Alles andere muss die AIDS-Hilfe selbst erwirtschaften. Schon deshalb ist die LAH immer auf der Suche nach mehr freiwilligen Mitarbeitern, von denen derzeit ungefähr 15 aktiv sind. Doch warum ist es so schwer, an Geld zu kommen? Hat die Gesellschaft die AIDS-Hilfen vergessen oder glauben Menschen heute tatsächlich, dass AIDS kein Problem mehr ist? Vielleicht, schätzt Hartmut: „ Manche denken, man nimmt da jetzt halt eine Pille und gut ist.“ Aber es ist eben nicht so einfach. Die Therapiemöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert und so haben mit HIV infizierte Menschen heute eine annähernd normale Lebenserwartung. Diese Tatsache hat die Beratung natürlich stark verändert. „Früher haben wir den Menschen empfohlen sich nicht testen zu lassen, ein positives Testergebnis hätte ihnen nichts genutzt, aber viele Nachteile gebracht, wie Ausgrenzung, Stigmatisierung etc Aber der Vorteil, wenn man rechtzeitig um seine Infektion weiß und rechtzeitig mit der Therapie beginnen kann, ist heute so groß, dass wir trotz der Nachteile sagen, dass man sich auf jeden Fall testen lassen sollte.“ Ausgrenzung und Diskriminierung, so berichtet der Helfer, gibt es aber auch heute noch. „Menschen mit HIV können nach wie vor bestimmte Versicherungen nicht abschließen..“

Engelsgrube 16, das Ebeling-Haus.

Engelsgrube 16, das Ebeling-Haus.

Lukas Ruge
Die Frustration mit der anhaltenden Diskriminierung von Menschen mit HIV und AIDS ist Hartmut anzumerken und wenn er davon spricht, beginnt er zu gestikulieren. Er malt einen weiten Kreis auf den Tisch und sagt: „Die AIDS Hilfe Lübeck ist ja nicht nur für Lübeck zuständig, sondern für die umliegenden Kreise, und irgendwo in diesen umliegenden Kreisen oder in Lübeck gibt es einen Krankenpfleger, der auf der Arbeit zwangsgetestet wurde. Dessen Betriebsarzt hat die Schweigepflicht gebrochen und das positive Testergebniss dem Arbeitgeber gemeldet und nun wird dieser Pfleger unglaublich gemobbt und ist bereits degradiert worden.“ Es sei insbesondere die medizinische Community, von der viel Diskriminierung ausgehe, obwohl man dort eigentlich aufgeklärte Menschen erwarten würde, schüttelt Hartmut den Kopf. „Geschichten wie diese aus dem zahnmedizinschen Bereich, wenn dann der Arzt sowas sagt wie: ‚Wenn, dann können wir Sie nur als letzten Patienten des Tages nehmen, weil das Zimmer danach ordentlich desinfiziert werden muss.‘ Da fragt man sich natürlich, wie desinfiziert der denn sonst den Tag über? Was ist, wenn da einer mit Hepatitis-C ist? Was ist, wenn jemand gar nichts von seiner HIV-Infektion weiß? Zu so einem Zahnarzt gehe ich lieber nicht. Oder wenn eine Krankenschwester sagt: ‚Packen Sie Ihre AIDS-Binde nicht zu dem normalen Verbandsabfall, sondern entsorgen Sie die extra.‘ Und das auch noch vor anderen Patienten.“

Auch aus der Uniklinik in Lübeck gibt es unschöne Fälle: „Vor zwei Jahren gab es an der Klinik in Lübeck einen Vorfall, wo eine positive Mutter nach der Geburt ihr Kind nicht in den Arm nehmen durfte, wegen der Infektionsgefahr für das Kind.“

Um solche Vorfälle zu vermeiden, betreibt die LAH seit 1986 Aufklärung, wo immer sie kann. Das ganze Jahr über. Spätestens, wenn im November die Bärte wieder zu wachsen anfangen, werden wir auf dem Campus auch daran erinnert. Wer auch vor und nach dem November helfen möchte, kann dies mit einer Spende oder einer Mitgliedschaft im Verein Lübecker AIDS Hilfe e.V. tun oder, indem er selbst als freiwilliger Mitarbeiter aktiv wird.

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