Es war dieses Pharma-Seminar über die therapeutische Breite von Medikamenten, also den Dosisbereich zwischen Wirkbeginn und letaler Menge. Der Dozent nannte die Droge LSD als Beispiel für eine hochpotente Substanz, die schon in kleinen Dosen tödlich sein kann. Und er erzählte von Albert Hofmann, der die Substanz gefunden und im Selbstversuch ausprobiert hatte. Seine Erlebnisse damit hat Hofmann in seinem Buch „LSD – Mein Sorgenkind“ beschrieben.

Am Ende des Seminars wollte ich dieses Buch lesen. Doch es war beim Verlag vergriffen und gebraucht nicht aufzutreiben. Ein paar Jahre später führte ich eine Unterhaltung über Selbstversuche von Wissenschaftlern. Die Rede kam auf Hofmann und die Idee war zurück. Nach kurzer Recherche die erfreuliche Nachricht: Der Klett-Cotta-Verlag hat das Buch im vergangenen Jahr zum vierten Mal aufgelegt. Jetzt liegt es vor mir: handlich, 224 Seiten stark, eingeschlagen in rosa und schwarzes Leinen.

Jung geblieben: Albert Hofmann, der Entdecker des LSD, an seinem 100. Geburtstag

Jung geblieben: Albert Hofmann, der Entdecker des LSD, an seinem 100. Geburtstag. [media-credit name="Wikipedia-Nutzer Stepan, Bearbeitung: Albert Piek" align="aligncenter" width="645"]

Eine vermeintlich wirkungslose Substanz

Albert Hofmann war Chemiker in Diensten der pharmazeutischen Abteilung der damaligen Sandoz in Basel. Dort forschte er vor allem an Wirkstoffen von Arzneipflanzen, wie etwa den Digitalisglykosiden oder den Mutterkornalkaloiden. Er reinigte Stoffe auf, suchte deren Summenformel, experimentierte mit deren Wirkung.

Die Forschung am Mutterkorn brachte ihn zu seiner Droge: Für die synthetische Herstellung der Alkaloide benötigte er Lysergsäure, die aus Nebenprodukten eines portugiesischen Ergotamins extrahiert werden konnte. Er experimentierte weiter und stellte fest, dass es sich um neue Verbindungen handelte, „von denen […] auf Grund ihrer chemischen Struktur andersartige interessante pharmakologische Eigenschaften erwartet werden konnten.“ In einer Reihe von Versuchen – es war der 25. – entstand Lysergsäure-Diäthylamid. Oder wie Hofmann es weiter nennen sollte: LSD-25. Er wollte ein Atmungs- und Kreislaufstimulans herstellen – darauf ließ zumindest die Strukturformel hoffen. Allerdings stellte man lediglich fest, dass die Versuchstiere trotz Narkose nervös wurden. Eine weitere Wirkung war nicht zu bemerken, die Forschung wurde eingestellt.

Selbstversuch mit Überdosis

Doch das Thema ließ Hofmann nicht los. Fünf Jahre sollten vergehen, bis er seine Forschungen wieder aufnahm. Wieder synthetisierte er LSD-25, wurde dabei jedoch von „ungewöhnlichen Empfindungen“ gestört. Er beschreibt Unruhe, leichten Schwindel und einen „nicht unangenehmen rauschartigen Zustand“. Er will der Sache auf den Grund gehen und beschließt einen Selbstversuch. Um 16:20 Uhr nimmt er 0,25 mg der Substanz. Um 17 Uhr setzen erste Symptome ein: Schwindel, Angst, Lähmungen, Lachreiz. Von 18 bis 20 Uhr fährt er mit dem Fahrrad nach Hause, begleitet von seiner Assistentin. Zuhause verstärken sich die Symptome, er bekommt Wahnvorstellungen. Wie er später erfahren wird sind die Auswirkungen nur in seinem Inneren. Nach außen ist alles normal, bis auf seine geweiteten Pupillen.

Damit nimmt die Forschung Fahrt auf. Letale Dosen sollen im Tierversuch ermittelt werden. Diese sind schwer einzuschätzen und schon gar nicht auf den Menschen zu übertragen. Hofmann war dennoch klar: Seine Dosis war schon scharf an der Grenze. Die Tiere reagierten ganz unterschiedlich auf die Substanz: Die Mäuse bewegten sich gestört. Katzen begannen zu sabbern und sträubten das Fell, den Blick starr in die Luft gerichtet. Schimpansenfamilien wurden kollektiv nervös, wenn nur ein Mitglied LSD bekommen hatte. Aquariumsfische schwammen in ungewöhnlichen Stellungen. Und Spinnen webten fehlerhafte, unvollständige Netze.

Heilbringer als “Phantasticum”

Im Folgenden soll LSD eine Verwendung finden. Der Sohn von Hofmanns Institutsleiter ist Psychiater in Zürich. Er will dieses „Phantasticum“ testen. Er nimmt 0,06 mg im Selbstversuch. Plastisch sind seine Schilderungen der Halluzinationen. Was er sieht reicht von Farben und Formen bis hin zu komplexen Räumen und Gegenständen. Er fühlt sich großen Romantikern nah, findet sich in ihren Werken wieder, bis die Euphorie einer Panik weicht, bis hin zu Selbstmordgedanken. LSD wurde nun als Psychopharmakon geprüft. Man vermutete, dass die Wirkung nicht auf eine Vergiftung zurück zu führen sei, da die Versuchspersonen sich an ihre Trips im Detail erinnern konnten. Dies machte sich die Psychotherapie zu nutzen: Plötzlich wurden Patienten zugänglicher, kehrten ihr Innerstes nach außen. Albert Hofmann war stolz auf seine Entdeckung und die Aussicht auf ein neues, heilbringendes Medikament. Gleichzeitig plagte ihn die Sorge um die viel tiefer greifende Wirkung des LSDs als Droge.

Von Künstlern und Hippies

Denn nicht nur die Wissenschaft war auf Hofmanns Forschungen aufmerksam geworden. Künstler nahmen die Droge, um neue Kreativität zu finden, sogar eine eigene Stilrichtung entstand. Ein Journalist veröffentlichte seine Selbstversuche und die Drogenszene wuchs, vor allem in den USA. Dieser ungewollte Boom bedeutete für Hofmann vor allem eines: Arbeit! Sein Labor war plötzlich mit einer Reihe von Analysen betraut, im Auftrag von staatlichen Behörden.

Es waren vor allem die Hippies und ihr „Messias“ Timothy Leary. Unter dem Motto „Turn on. Tune in. Drop out.“ propagierte er den LSD-Konsum. Immer wieder wurde von Drogentoten berichtet, von Straftaten unter LSD-Einfluss. Denn der Trip, so beschreibt es Hofmann, bringe nicht nur Farben und Glücksgefühl, sondern ebenso Horror und Angst.

Neben den Selbstversuchen Hofmanns sind auch Berichte anderer Konsumenten abgedruckt. Von tanzenden Seelen im Wind wird geschrieben, von Visionen und automatenhaften Bewegungen. „Phosphoreszierende Wellen“, die durch Zimmer schwappen, kurz bevor ein „unheimlicher Prozess einer Fortschreitenden Selbstentfremdung“ beginnt.

Botanische Ausflüge

Albert Hofmann hat es nicht bei der Erforschung einer psychogenen Substanz belassen. In der zweiten Hälfte des Buches geht er auf „magic mushrooms“ ein, heilige Pilze der mexikanischen Naturvölker wie den „Teonanacatl“. Für einen Weißen ist es wohl gar nicht so leicht, an die heiligen Pilze zu kommen. Doch über Kontakte bekamen Hofmann und die Sandoz den Auftrag, den psychogenen Wirkstoff zu extrahieren. Der Chemiker opfert sich erneut und nimmt in einem weiteren Selbstversuch 32 Pilze zu sich. Die Halluzinationen, die er im Folgenden beschreibt, sind anders als beim LSD: Er sieht mexikanisch und indianisch anmutende Bilder. Es folgen Versuche mit Probanden. Der Wirkstoff Psilocybin wird entdeckt und hergestellt. Die Wirkung gleicht der von LSD, nur sind die Symptome schwächer, die Wirkdauer kürzer. Der Pilzexkurs wird abgeschlossen durch den ausführlichen Bericht über eine Forschungsreise, während der Hofmann zwei priesterlichen Zeremonien im Drogenrausch beiwohnen kann. Einer Heilpriesterin schenken sie dabei Psilocybin-Tabletten, was zu heller Freude führt: Mit der Tabletteneinnahme ist die Priesterin nicht weiter von den Jahreszeiten und dem Pilzwachstum abhängig.

LSD – Fluch und Segen zugleich

Der Abschluss des Buches regt zum Nachdenken und zur Diskussion an. In drei Kapiteln hat Hofmann Korrespondenzen mit den Schriftstellern Ernst Jünger, Aldous Huxley und Walter Vogt abgedruckt. Alle haben sie den Drogenkonsum in ihren Werken einfließen lassen. Jünger wird von Hofmann zum Selbstversuch eingeladen. Huxley sieht in der Bewusstseinserweiterung durch Drogen einen Weg zur besseren Nutzung von humanen Ressourcen bei Menschen mit höher entwickelten geistigen Fähigkeiten. Hofmann zeigt sich fasziniert von der Idee des breiten Drogenkonsums, warnt jedoch gleichzeitig vor dem Einfluss auf den freien Willen.

Mit „LSD – Mein Sorgenkind“ ist Hofmann eine Mischung aus wissenschaftlichem Bericht und unterhaltsamer Lektüre gelungen. Zwar muss man sich manchmal durch botanische Fachbegriffe und Auflistungen von Forschernamen mühen, doch wird man dafür mit plastischen Erzählungen und amüsanten Exkursen belohnt. Hofmann schreibt in der klaren Sprache eines Forschers und der höflichen Zurückhaltung eines Schweizers. Er berichtet von seiner Arbeit als Chemiker, ohne so tief ins Detail zu gehen, als dass man ihm nicht mehr folgen könnte. Nachdem ich den rosaroten Leineneinband wieder zugeschlagen habe kann ich nur sagen: Es ist gut, dass dieses Buch wieder aufgelegt wurde!

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