Lukas Ruge | StudentenPACK.

Blutentnahmetablett am UKSH.


Zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass in einem Bielefelder Krankenhaus ein Student im Praktischen Jahr (PJ) eine Handlungsanweisung anders auffasste als sie gemeint war und es infolgedessen zum Tod eines Kindes kam: Der PJler spritzte ein Medikament intravenös, welches das Baby oral hätte einnehmen sollen. Dieses wäre vermeidbar gewesen.

Ein Jahr später verhängte das Bielefelder Amtsgericht gegen den betreffenden Medizinstudenten wegen fahrlässiger Tötung eine Geldstrafe von 1.800 Euro. Bundesweit warf diese Premiere – noch nie zuvor wurde in Deutschland ein PJler wegen eines Fehlers strafrechtlich verurteilt – unter Medizinstudenten die Frage „Was darf ich überhaupt?“ auf, die Unsicherheit war groß (das StudentenPACK berichtete). Bis August dieses Jahres lief das Berufungsverfahren, mittlerweile ist das Urteil des Landgerichts Bielefeld rechtskräftig. Auch in zweiter Instanz wurde der ehemalige PJler der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und auch die Höhe der zu zahlenden Geldstrafe blieb gleich. Geändert haben sich lediglich zwei Dinge: Zum einen ist das Strafmaß ein anderes, die „Zusammensetzung“ der 1.800 Euro hat sich also verändert. Zum anderen ermittelt die Staatsanwaltschaft jetzt auch gegen das Krankenhaus, in dem es zu diesem Vorfall kam.

Für den Verurteilten sind diese so unwichtig erscheinenden Änderungen allerdings sehr bedeutsam: Die in erster Instanz verhängte Strafe von 120 Tagessätzen hätte für die berufliche Zukunft des Verurteilten gravierende Folgen gehabt, da ein Vergehen mit einem solchen Strafmaß im polizeilichen Führungszeugnis auftaucht – und eben dieses muss ein Arzt vor der Einstellung dem Arbeitgeber vorlegen. Auch wenn ein Eintrag im Führungszeugnis kein gesetzlich festgeschriebenes Ausschlusskriterium für die Vergabe der Stelle an den betreffenden Bewerber ist, so wird der Fall dann doch genau hinsichtlich der Frage untersucht, inwiefern diese Einschränkung für den Arbeitsplatz relevant ist. Vom dafür zuständigen Lübecker Dezernat Personal des UKSH wird in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es durchaus einen Unterschied mache, ob ein Arzt mit direktem Patientenkontakt im Krankenhaus oder beispielsweise in der Anatomie arbeiten wolle.

Doch auch bis zum approbierten Arzt muss man es erst einmal bringen: Zur Beantragung der Approbation wird ebenfalls ein amtliches Führungszeugnis benötigt. Dieses müsse „absolut einwandfrei“ sein, „wenn da irgendwas drinsteht, können Sie die Approbation vergessen“, heißt es dazu aus dem Landesamt für soziale Dienste in Kiel. Für den verurteilten Medizinstudenten hätte das folglich geheißen, dass er sich nach den langen Jahren des Studiums einen anderen Job hätte suchen können – verständlich, dass er deswegen gegen das 2012 gefällte Urteil in Berufung ging.

Auch in zweiter Instanz befand Richter Wolfgang Lerch den ehemaligen PJler für schuldig, änderte jedoch das Strafmaß von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro auf 90 Tagessätze zu je 20 Euro – die vom Verurteilten zu zahlende Summe bleibt also gleich, seine Berufsaussichten verbessern sich dadurch jedoch bedeutend: Ins Führungszeugnis eingetragen wird eine Verurteilung nur, wenn das Strafmaß mindestens 91 Tagessätze beträgt. Dass die Anzahl der Tagessätze so entscheidend verringert wurde, lässt sich durch Lerchs andere Einschätzung der Umstände im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld erklären: Während vom Amtsgericht eine Teilschuld des Krankenhauses durch Organisationsmängel nicht in Betracht gezogen wurde, schätzt er die Gegebenheiten in der Bielefelder Klinik für Kinder- und Jugendmedizin so ein, dass eine „gefahrenträchtige Behandlungsmodalität gegeben“ gewesen sei, so die Urteilsbegründung.

Vermutlich wäre der Tod des Babys rein technisch vermeidbar gewesen: Die konkret als gefahrenträchtig bemängelte Verwendung des gleichen Spritzensystems für die orale und intravenöse Applikation von Medikamenten war nicht notwendig. Durch Verwechslungen hervorgerufene Todesfälle aus den USA waren bekannt und schon Jahre zuvor hatte Prof. Dr. Joachim Boos, selbst als Oberarzt in der pädiatrischen Onkologie tätig, darauf hingewiesen, dass es sicherer sei, verschiedene Spritzensysteme zu nutzen und alles zu beschriften. Dem in Bielefeld zuständigen Chefarzt zufolge war eine durchgängige Beschriftung aller Spritzen nicht üblich; die Unterscheidung von Spritzen mit oralen Medikamenten und intravenösen sollte darüber erfolgen, ob die Spritze mit einem Combi-Stopper verschlossen und nicht beschriftet beziehungsweise etikettiert und mit einer Nadel versehen war. Dass auch ein Kommilitone des Angeklagten mit dieser Vorgehensweise nicht vertraut war, wirkte sich für den Ex-PJler nun schuldmindernd aus.

In der Lübecker Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKSH werden, wie Chefarzt Prof. Dr. Egbert Herting erklärt, möglichst verwechslungssichere Systeme zur Verabreichung oraler und intravenöser Medikamente verwendet: Bei einem Messlöffel oder einer Pipette kommt der Gedanke, es könne sich um ein intravenöses Medikament handeln, gar nicht erst auf; des Weiteren gibt es spezielle Medikamentenspritzen.

Auch wenn dadurch ein Verwechslungsfall wie in Bielefeld in Lübeck unwahrscheinlicher scheint: Die Situation bleibt unbefriedigend. Wieder einmal musste erst etwas passieren, damit ein Problem ernstgenommen und etwas verändert wurde, andere Möglichkeiten für schwerwiegende Fehler gibt es gerade für Berufsanfänger zuhauf. Angesichts dessen lässt sich nur hoffen, dass in Zukunft die Rolle von Studenten im Krankenhausalltag überdacht und Hinweisen auf Risiken schneller nachgegangen wird, damit es nicht wieder zu Vorfällen wie dem in Bielefeld kommt.

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