Dedow

Oliver Dedow

StudentenPACK: Herr Dedow, schön dass sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Sie sind seit 2009 Mitglied der Lübecker Bürgerschaft, da war ja gar keine Wahl, wie kamen Sie denn dennoch in die Bürgerschaft?

Oliver Dedow: Beginnen wir mal am Anfang: Ich bin hier in Lübeck sehr tief verwurzelt, bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich habe dann sehr lange nach einer Partei gesucht, in der ich mich politisch engagieren konnte, habe aber nie die richtige gefunden. Mich haben überall die festen Strukturen abgeschreckt. Irgendwann hat sich dann ein Bürgerverband in Form einer Wählervereinigung gegründet, die BfL (Bürger für Lübeck), dort war ich Gründungsmitglied und habe mich für die Kommunalwahl aufstellen lassen. Ich hatte damals den achten Listenplatz. Eines der gewählten Mitglieder ist dann aufgrund eines Umzuges aus der Bürgerschaft ausgeschieden, woraufhin ich nachrücken konnte. Damals war ich in der BfL-Fraktion und nicht in der Piratenpartei. Ich konnte mich recht schnell mit der Politik vertraut machen, lernte die Gepflogenheiten kennen und wurde dann bald Fraktionsvorsitzender. Vor gut einem Jahr wechselte ich dann zu der Piratenpartei, weil ich hier noch die Hoffnung habe, meine Ideen verwirklichen zu können. Selbst in der BfL kamen bald diese starren Strukturen auf. „So wird Politik schon immer gemacht“ heißt es da. Genau das möchte ich ändern. An dieser Stelle hat die Piratenpartei eine sehr gute Ausgangsposition.

PACK: Was macht man eigentlich so in den fünf Jahren, für die man gewählt ist? Wie sieht der Alltag aus?

Dedow: Man besucht um die acht Sitzungen im Jahr, diese müssen natürlich vor- und nachbereitet werden. Was mich allerdings ärgert, ist, dass allein die derzeit 60 Mitglieder der Bürgerschaft eine viel zu große Entscheidungsmacht in allen Dingen haben. Ich möchte lieber, dass in den Fachausschüssen, wo die kompetenten Leute sitzen, die Entscheidungen gefällt werden. Dort sollten die Leute hingeschickt werden, die Ahnung haben, denen die Fraktionen vertrauen. Dort sollte viel mehr Entscheidungskompetenz liegen, da wird die Grundlagenarbeit gemacht. Nachher in der Bürgerschaft sollten diese Sachen einfach nur noch durchgewunken werden. Eine Fraktion sollte sich in der Bürgerschaft nicht anders entscheiden, als die eigenen Leute es vorher im Ausschuss getan haben. Ich habe ja als Mitglied der Bürgerschaft zum Glück die gleichen Rechte, die auch der Bürgermeister hat. Als Bürgerschaftsmitglied kann ich in die städtischen Betriebe hineinschauen, mir berichten lassen, um Missstände aufzudecken und dann den Finger in die Wunde legen, um einfach mal nachzuhaken. Dieses passiert aber von den anderen Fraktionenen erstaunlicher Weise viel zu wenig. Momentan bin ich Einzelkämpfer, aber auch die kleineren Fraktionen in Lübeck könnten sehr gut auf Probleme hinweisen und ihre Ideen einbringen.

PACK: Das ist interessant, die CDU beispielsweise hält diese Splittergruppen für kontraproduktiv, das sehen Sie ja nicht so?

Dedow: Nein als kleine Fraktion, oder auch als Parteiloser habe ich die Möglichkeit, auf eben Missstände aufmerksam zu machen, und kann Ideen einbringen. Die Piraten wollen ja viel viel mehr Bürgerbeteiligung. Wir wollen den Bürgerhaushalt einführen, damit sich die Bürger einbringen können. Es ärgert mich ungemein, dass die Bevölkerung so viele Ideen hat, die zwar zu Hause oder am Stammtisch formuliert werden, die aber nicht ins Rathaus gelangen, weil es dafür keine Plattform gibt. Genau diese Plattform wollen wir erstellen. Wir wollen, dass die Bürger den Haushalt mitbestimmen können, und ihre Ideen im Rathaus ankommen. Das beinhaltet auch die Einführung von Ortsbeiräten, da soll sich dann jeder engagieren, der meint, zu einem Thema eine Meinung, Fachkompetenz oder neue Ideen zu haben. Einen qualifizierten Antrag kann jede Fraktion stellen, dann erwarte ich aber auch von den anderen Fraktionen, dass sie sich mit der Sache grundsätzlich befassen und nicht aufgrund von Fraktionszwang abstimmen.

PACK: Sie sind Rechtsanwalt, bringen Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Wissen auch in die Politik ein, geht das überhaupt?

Dedow: Da gebe ich eine typische Politiker-Antwort: Ja und Nein! Das Gute ist, dass ich als Jurist weiß, wie die Strukturen der Verwaltung aussehen und auch wie man entsprechend Klagen tätigen kann im Verwaltungsbereich. Ich habe den Vorteil, dass ich einfach die rechtlichen Grundlagen sehr genau kenne. Als Rechtsanwalt habe ich mich allerdings auf Straf- und Verkehrsrecht konzentriert, sodass das Verwaltungsrecht nicht ganz mein Steckenpferd ist. Das Schöne ist aber, dass ich auf Datenbanken wie „Beck-Online“ oder „Juris“ zurückgreifen kann. Da habe ich meistens eine sehr gute Informationsquelle, da kann ich die eine oder andere Frage sehr gut klären.

PACK: Welche Themen sind überhaupt kommunal? Gibt es viele Themen, auf die Sie von Bürgern angesprochen werden, die keine kommunalen Themen sind?

Dedow: Das passiert sehr sehr häufig, das ist ein großer Unterschied zu dem, was wir in der Kommunalpolitik leider nur leisten können. Häufig machen wir bei Themen, die unseren Bereich überschreiten sogenannte Resolutionen. Wir sagen dann einfach, dass der Bürgermeister sich auf Landes- oder Bundesebene für diese spezielle Sache einsetzen soll. Das wiederum hält die Bürgerschaft allerdings von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Eine Resolution beinhaltet eigentlich nur, dass wir eine Erklärung oder einen Appell abgeben, weil wir uns für etwas einsetzen. In jeder Bürgerschaftssitzung verfassen wir mehrere Resolutionen.

Wir haben aber hier auf kommunaler Ebene schon Möglichkeiten. Insbesondere, was den Haushalt betrifft. Dieser ist zwar zu 90 Prozent vorgegeben, aber mit den letzten 10 Prozent kann man arbeiten. Gerade das ist wichtig. Was fördere ich, wie fördere ich das? Gerade was Schulen angeht, da sind wir für die Gebäude zuständig. Oder der Personennahverkehr, der liegt auch auf kommunaler Ebene. Sehr wichtig sind allerdings auch die Bauangelegenheiten. Der Bauausschuss tagt fast zwei oder drei Mal im Monat. Ich werde sehr häufig auf Angelegenheiten angesprochen, die in den Bereich Bauwesen fallen. Dazu gehören die Fahrradwege und die kommunalen Straßen. Da fallen sehr viele Themen an, da hat die Stadt auch die Möglichkeit, viele Dinge zu steuern.

PACK: Was war in den letzten fünf Jahren aus Ihrer Sicht wichtig in der Lübecker Bürgerschaft?

Dedow: Natürlich der Haushalt, der ist hier an allererster Stelle zu nennen. Dazu kommen auch bauliche Angelegenheiten, wie der Priwall. Travemünde ist sehr sehr wichtig, denn die Trave ist ein Zubringer für den Skandinavienkai und andere Häfen. Hier ist die Zwei-Wege-Schifffahrt nun nicht mehr möglich. Das bedeutet, es können sich keine zwei Fährschiffe in der Trave begegnen. Dafür hätte man die Trave entsprechend erweitern müssen. Da gibt es viele Themen.

Ein weiteres Thema ist natürlich immer der Flughafen, wo wir jetzt eine sehr gute Lösung gefunden haben. Allerdings muss man hier sagen, dass sich die Bürgerschaft leider nicht so verdient gemacht hat, sondern der externe Investor sich der Sache angenommen hat. Momentan ist dieser auf einem sehr guten Weg.

PACK: Was wird in den nächsten fünf Jahren wichtig? Was sind Ihre Themen, weshalb Sie erneut kandidieren?

Dedow: Wichtig ist und bleibt der Schuldensumpf. An der hohen Verschuldung von Lübeck muss etwas geändert werden. Juristisch ist es nämlich so, dass Gesellschaften und Privatpersonen eine Insolvenz eingehen können, Lübeck kann das nicht. Das ist eine rechtliche Vorgabe, vielleicht kann man da auf Bundesebene etwas ändern. Mein Ziel und das von den Piraten ist, dass mehr Informationen weitergegeben werden. Wir schreiben das dritte Jahrtausend, es gibt Internetplattformen, aber keiner kann den Haushalt vorher sehen. Warum werden die Bürgerschaftssitzungen nicht ins Internet übertragen, warum werden keine Aufnahmen gespeichert und mit entsprechenden Bookmarks zugänglich gemacht? Information ist ein ganz wichtiger Punkt, aber auch die Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen. Öffentlicher Personennahverkehr ist auch ein wichtiges Thema, wir wollen das umstrukturieren. Man liest zwar immer, dass wir ein fahrscheinloses System wollen, aber wir wollen nur eine andere Art der Finanzierung finden.

PACK: Wie würde eine solche Finanzierung aussehen?

Dedow: Das würde in die Richtung gehen, dass man Steuergelder hierfür verwendet oder den Kraftfahrzeugverkehr verteuert durch eine entsprechende Maut oder Parkgebühren. Die Arbeitgeber sollten etwas dazu geben, so auch die Anlieger. Auch die Orte wo man hinfährt sollen etwas dazu bezahlen, also der Einzelhandel, beispielsweise IKEA. Wenn wir das Geld, das wir für den Erhalt der Straßen ausgeben, in eine solche Lösung investieren würden, wäre das schon eine Menge. Wir wollen den Stadtverkehr ausbauen, damit es attraktiver wird. Das wäre für Umwelt und Stadt sehr erstrebenswert. Sidney, Perth, Hawaii und ander Orte haben eine derartige Lösung gefunden.

PACK: Was sind die für uns Studenten relevantesten Themen?

Dedow: Einerseits der Ausbau der Uni, die Umgestaltung der Uni war ja auch eine Frage. Wir wollen die Uni weiter fördern und besser in Lübeck integrieren, womit wir wieder beim Stadtverkehr wären. Wir müssen auch den Studenten eine Möglichkeit zu arbeiten geben, während des Studiums und insbesondere hinterher. Im Bereich Medizintechnik sind wir da schon sehr gut aufgestellt, aber andere Bereiche sind da noch nicht soweit. Wir wollen die guten Leute hier behalten und ihnen auch etwas bieten nach der Uni für den Start in das Berufsleben.

PACK: Haben Sie persönlich das Gefühl, dass die Bürger wissen, was im Rathaus passiert?

Dedow: Nein, das Gefühl habe ich überhaupt nicht. Das ist etwas, das wesentlich besser ausgebaut werden müsste. Momentan haben wir zwar das OK-Radio, das ist aber ein externer Radiosender, der etwas aus dem Rathaus überträgt. Das Rathaus selbst engagiert sich da nicht. Es gibt jetzt zwar das „ALLRIS“, das Bürger- und Ratsinformationssystem. Ich halte das allerdings nur für einen Stolperschritt in die richtige Richtung. Das muss ausgebaut werden. Wir Piraten wollen das gläserne Rathaus, damit man den Politikern ein bisschen über die Schulter gucken kann.

PACK: Sind Sie sich sicher, dass ein solches Angebot angenommen wird? Die Sitzungen sind ja bereits öffentlich und da gehen selten Besucher hin.

Dedow: Ich höre leider in der Bevölkerung eine Verbitterung gegenüber der Politik. Ich mag mich manchmal schon gar nicht outen als Politiker, es käme häufig besser an, wenn ich Sportler wäre. Ich bitte aber alle anderen, dort mitzumachen und ihre Ideen einzubringen. Der Politiker ist in Beliebtheitsrankings immer auf den hintersten Plätzen. Dabei ist das, was ich im Rathaus tue ein Ehrenamt, ich bereichere mich damit nicht und habe da auch sonst keine Vorteile von. Ich möchte gerne das Bild des Politikers wieder aufwerten.

PACK: Wird die Politik tatsächlich von der Bürgerschaft gemacht? Oder ziehen die Mitarbeiter der Verwaltung die Fäden?

Dedow: Ja leider immer noch, die Verwaltung und auch andere Leute. Das sind die politischen Machenschaften, die ich jetzt seit vier Jahren kennenlerne. Das ist eben einer der Gründe, weshalb ich Transparenz und Bürgerbeteiligung herstellen möchte. Damit auch andere Bürger oder Ortsbeiräte mitwirken können. Das ist mir sehr wichtig. Es ärgert mich, dass die Politik nicht objektiv genug ist. Viele Posten werden nach den jeweiligen Stimmmehrheiten in der Bürgerschaft und Parteizugehörigkeit der Kandidaten vergeben, nicht nach Qualifikation.

PACK: Wie viel Zeit verbringen Sie mit der Kommunalpolitik?

Dedow: Ich arbeite zwei Nachmittage in der Woche daran. Da gehört ja auch einiges dazu, nicht nur die Teilnahme an Sitzungen. Da ist auch viel drum herum. Man geht mal zu Bürgerverbänden, setzt sich in andere Ausschüsse oder recherchiert im Internet oder in Stadtteilen, z.B. in Travemünde. Momentan im Wahlkampf bin ich natürlich viel häufiger unterwegs.

PACK: Wie schätzen sie die Chancen der Piraten ein? Werden sie Fraktion?

Dedow: Ich hoffe, dass ich nicht ein Einzelkämpfer bleibe. Es würde mich sehr freuen, wenn weitere Piraten in die Bürgerschaft gewählt werden, die mit viel Enthusiasmus und Elan bei der Sache sind. Wenn wir Fraktionsstatus bekommen würden, würde das auch für uns die Sache einfacher machen, uns zu strukturieren, da wir dann ein Fraktionsbüro zur Verfügung gestellt bekommen würden und von da aus mit einem Geschäftsführer einige Angelegenheiten einfacher klären könnten.

Ein weitere Missstand, auf den ich hinweisen möchte, ist das Geld, das für die Fraktionen ausgegeben wird. Insgesamt wurden 770.000 Euro an die Fraktionen ausgegeben im letzten Jahr. Das ist zu viel, das sollte gekürzt werden. Die Fraktion der Piratenpartei im Landtag hat das Geld, das übrigblieb von dem erhaltenen Fraktionsgeld, an das Land zurückgegeben. Das kommt bei anderen Parteien nicht so häufig vor. Da wird lieber noch eine Ausfahrt geplant. Da muss etwas passieren.

PACK: Vielen Dank für das Gespräch.

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