Ein Horde Orks und ein Drache kommen in eine Bank. So beginnt „Halting State“ von Charles Stross, das erste Buch einer Science-Fiction-Thriller-Reihe, die Stross 2011 mit Rule 34 weiterführte und deren dritter Teil 2014 erscheinen soll.

„There was something flaky going down in one of the realms […] in the prestige-level central bank for Avalon Four. There was a guild of Orcs – in a no-PVP area – and a goddamn dragon, and they cleaned out the bank.“

Weder die Orks noch der Drache oder die Bank existieren, was sie stehlen hat jedoch einen realen Wert. Sie stehlen Items. Der Raub geschieht in einem MMORPG, einem Massive Multiplayer Online Role Playing Game, fast wie jene, die schon heute gespielt werden, zum Beispiel „World of Warcraft“, und würde man aufschreiben, was tatsächlich geschieht, müsste man auf viel weniger farbige Begriffe ausweichen. Hacker entwenden signierte Datensätze aus einer Datenbank. Es ist die nahe Zukunft, vielleicht zehn Jahre entfernt, und Onlinespiele haben ein Ausmaß erreicht, dass die Items, welche Spieler in den jeweiligen Spielen sammeln können, wirtschaftliche Bedeutung auch in der echten Welt haben. Um diesen Wert zu verwalten, haben sich Firmen gegründet, welche spielübergreifende virtuelle Bankhäuser führen, und genau so eine Firma hat es erwischt. Eine Horde Orks und ein Drache rauben eine Bank aus.

Die vergnügliche Vermischung zwischen Digitalem und Realem ist einer der vielen geschickten Griffe in „Halting State“, welcher die Ermittlungen von Versicherung und Polizei zu dem Raub in der virtuellen Bank beschreibt. Dabei ist dies kein Science-Fiction-Buch, wie man es meist zu fassen kriegt. Anders als so viele Science-Fiction Autoren verzichtet Stross auf die üblichen Verdächtigen wie Raumschiffe, Roboter, unbegreifliche künstliche Intelligenz, Zeitreisen und nicht zu vergessen: Außerirdische. Das Edinburgh, in welchem Charles Stross’ „Halting State“ und „Rule 34“ spielen, ist keine solche Welt, sie ist überhaupt nicht weit weg, sie ist gefühlt übermorgen. Dies ist die größte Faszination seiner Bücher. Die ökonomische Bedeutung von Onlinespielen kann schon heute nicht mehr geleugnet werden und so bildet sie den Rahmen eines Krimis, welcher nahezu nebenher aktuelle Entwicklungen im Interaktionsdesign, in der Kommunikationstechnologie aber auch Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt, im Verkehr und in der Freizeitgestaltung ein paar Jahre weiter denkt. Das Spektakulärste daran ist fast, dass Stross nicht für einen Leser im Jahr 2007 oder 2013 zu schreiben scheint, sondern für einen Leser in jener Zeit, in der die Geschichte spielt. So verwendet er denkbar wenig Zeit, um die Welt zu erklären, und lässt seine Leser einfach darin leben, die Zusammenhänge ergeben sich geschickt genau dann, wenn man sie benötigt.

Auf ähnlichem Territorium bewegt sich Stross mit dem Nachfolgeroman „Rule 34“, welcher die Arbeit einer auf Memes und andere Internetaktivität ausgelegten Polizei-Einheit beschreibt. Auch hier liegt der Ausgangspunkt in ganz aktuellen Entwicklungen, der verschwimmenden Grenze zwischen sich schnell ausbreitenden Gerüchten und Verhaltensweisen im Netz und tatsächlichen Aktionen auf den Straßen der Stadt. „Rule 34“, ein aus dem Internet der Gegenwart stammender Scherz („If it exists, there is porn of it. No exceptions.”) wird zur Basis der Polizeiarbeit dieser fiktionalen Welt

„Sooner or later you have to ask, is whatever is depicted here happening on my beat? [This] isn’t about porn […] so much as it’s about Internet memes-random clumps of bed headmeat that have climbed out of skulls to go walkabout on the web. Often they are harmless – a craze for silly captions on cute photographs – but sometimes they’re horrendous: And fuckwits see this stuff and think it’s cool, so they imitate it.“

Stross denkt weiter und bündelt Entwicklungen im Bereich der 3D-Drucker oder des Bloggens zu einem ausgefeilten Thriller, bei dem der Leser lange im dunklen tappt.

Die Beschreibung der Zukunft ist im zweiten Roman weniger mutig und ganz explizit wird an manchen Stellen die Entwicklung, beginnend im Jahr 2011, nachgezeichnet, um sie dem Leser zu verdeutlichen. Dies wirkt manchmal hölzern, verlangsamt die Handlung und ist unnötig.

Stross macht in seinen Büchern vieles richtig, auch wenn beide Bücher länger sind, als sie hätten sein müssen, aber darüber kann man hinweg sehen. Das Verhältnis zwischen Krimi-Handlung und Technobabble ist ausgewogen und so bleibt das Buch meist spannend und für den technisch versierten Geek dennoch nachvollziehbar. Auch an Fantasie für immer neue, durchaus oft gänzlich unerwartete, Wendungen fehlt es Stross nicht. Störend ist allerdings die Entscheidung, in „Halting State“ und „Rule 34“ jeweils einzelne Kapitel aus der Sicht einer Reihe von Charakteren zu schreiben (der Protagonist wechselt immer zum Kapitelanfang) und dies auch noch in der zweiten Person Singular (die Charaktere reden über sich selbst in einem ewigen inneren Monolog, in welchem sie „Du“ zu sich selbst sagen). Dies ist mindestens gewöhnungsbedürftig, die meiste Zeit ist es einfach nur ablenkend.

Kann man „Halting State“ und „Rule 34“ trotzdem empfehlen? Ja, aber mit Einschränkung. Science-Fiction-Fans werden sich freuen, etwas zu lesen, das weit weg ist von dem, was wir üblicherweise Science-Fiction nennen, Krimi-Fans werden sich über gänzlich neuartige Verbrechen freuen, die anders, aber irgendwie auch bekannt sind, und Technik-Fans werden die Details der Welt bestaunen, die Stross ihnen darbietet. Sie alle werden einen langen Atem für die weniger spannenden Momente mitbringen müssen.

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