Lukas Ruge | StudentenPACK.

Aussteiger Manuel Bauer und taz-Journalist Andreas Speit.

Vor dem Audimax stehen Polizeiwagen, im Foyer herrscht reges Treiben und langsam füllt sich der große Hörsaal. Die Zuhörer sind gekommen, um einen Aussteiger zu sehen, um zu hören, was einer, der in der rechten Szene unterwegs war, zu erzählen hat. Veranstaltet wird der Abend von der Lübecker Studierendenschaft: dem AStA und dem StuPa der Uni zusammen mit AStA und StuPa der FH, organisatorisch und finanziell unterstützt von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Und so war es auch ein Vertreter der FES, der nach der Begrüßung durch Benjamin Eurich, dem federführenden AStA-Referenten, die Bühne betrat. Frederic Werner betonte den Auftrag der Stiftung, die Demokratie zu stärken. Rechte gefährdeten diese und Studien zeigten, dass diese kein Randphänomen, sondern inmitten unserer Gesellschaft zu finden seien. Aus diesem Grund hatte die FES auch eine eigene Ausstellung und viel Infomaterial über Rechtsextremismus und Neofaschismus mitgebracht, die vor und nach dem Vortrag im Foyer des Hörsaalgebäudes betrachtet werden konnte.

Es folgte ein kurzer Exkurs vor die eigene Haustür: Joachim Nolte, Vertreter des Aktionsbündnisses „Wir können sie stoppen“ und Beauftragter der Kirchen gegen Rechtsextremismus, berichtete von jüngsten Geschehnissen in Ratzeburg, wo rechte Morddrohungen auf Wände geschrieben und Gegner der Neonazis persönlich bedroht wurden. Nolte rief dazu auf, am 31. März in Lübeck auf die Straße zu gehen, friedlich zu blockieren und „in Sicht- und Hörweite der Nazis“ ein Zeichen zu setzen, was nur gelinge, wenn Tausende sich an der Gegendemo beteiligen.

Dann kam Manuel Bauer auf die Bühne, groß, bullig, schwarz gekleidet. An seiner Seite Andreas Speit, freier Journalist und Publizist, der unter anderem für die taz schreibt und sich vor allem mit Rechtsextremismus und Neofaschismus befasst. In einigen einführenden Worten beschreibt Bauer seinen Ausstieg aus der rechten Szene, den er während einer Haftstrafe mit Hilfe der Organisation EXIT geschafft habe. Vorher habe er im Untergrund gearbeitet, habe geprügelt, erpresst und sei bereit gewesen, zu töten. Darüber habe er den Kontakt zu seiner Familie verloren und muss nun, nach seinem Ausstieg, erst alles wieder aufbauen. „Mein Leben war ziemlich kaputt“, fasst er die Zeit vor der Haftstrafe zusammen. Seither habe er sich der Aufklärung und dem Kampf gegen Rechts verschrieben, gebe Interviews, besuche Schulklassen. Eine dieser Klassen hat als Projektarbeit einen Film über die rechte Szene gemacht, der nun als Einleitung vorgespielt wurde.

Was folgte, waren einige Fragen von Speit, zunächst die eine, die wohl das Publikum am brennendsten interessierte: Wie ist das Phänomen zu erklären, dass einer erst Nazi ist und dann nicht mehr? Bauers Antwort schweift aus, er berichtet, wie es überhaupt dazu gekommen sei, dass er sich der rechten Szene angeschlossen hat. Er berichtet wie er seine Jugend in einem Ostdeutschland nach der Wende erlebt hat, in dem jede soziale Sicherheit weggefallen war, wo die Stabilität mit dem Rückzug der Russen abnahm und Gastarbeiter als Störenfriede wahrgenommen wurden und als erheblichen Grund für die massive Arbeitslosigkeit, die auch Bauers Familie traf. Er berichtete von einem Ostdeutschland, wo Schüler auf dem Pausenhof mit rechtem Gedankengut konfrontiert wurden, wo CDs, Comics und weiteres Infomaterial verbreitet wurden. Mit elf Jahren habe er erstmals Kontakt zur rechten Szene gehabt, mit zwölf sei er ein Teil davon geworden. Hier gab es Slogans wie „Arbeit zuerst den Deutschen“, hier waren die Wessis die Imperialisten und Kapitalisten, Ossis waren Pioniere. Die Glatze wurde zum Modetrend, Stammtischparolen waren allgegenwärtig.

Bauer bezeichnet sich selbst als „Mitläufer“, denn etwa 85 Prozent seiner Mitschüler bezeichneten sich als „rechts“. Zwar hätte es auch ein paar wenige Punks gegeben, doch „denen ging es schlecht“. Er habe es schön empfunden, Teil einer Gruppe zu sein, das Gefühl kannte er bereits aus den Pionierlagern. Auch wollte er sich etwas beweisen und dafür war Gewalt legitim, denn die Ossis waren die Opfer.

Mit 14 habe er erstmals einen Jugendclub gestürmt. Er berichtet von dem Gefühl der starken Gruppe, dem Wissen, „wenn ich zuschlage, schlagen auch die anderen“. Dabei seien Parolen wie „Taten statt Worte“ und „Gewalt ist ein gutes Argument“ durchaus gängig. Es habe Spaß gemacht, über die vermeintlichen Gegner zu triumphieren und ab da habe er sich mit Überzeugung hochgearbeitet.

Bauer bezeichnet sich dabei selbst als Teil eines militanten Milieus, denn in der Partei wäre er immer abhängig gewesen. So wurde er in seinen Handlungen aber bestärkt und lernte, wie er zuschlagen müsse, um schnell und effektiv zum Ziel zu gelangen. Er erzählt von Beschaffungskriminalität „gegen das Deutsche Volk“, da diese die Würde der Neonazis nicht anerkannten. Seine frühere Gesinnung wird unter anderem deutlich, als er berichtet, dass sie einen Homosexuellen erpresst hätten, da er für sie „Abfall“ war, sie verschleppten ihn in den Wald und nahmen seinen möglichen Tod in Kauf. Das war auch die Zeit, in der der Kontakt zur Familie zerbrach, er habe von dort also keine soziale Erziehung mehr genossen. Dies übernahm die Bewegung nun für ihn.

Ein Umdenken habe erst stattgefunden, als er wegen Körperverletzung und Erpressung ins Gefängnis musste. Dort sah er vermeintliche Kameraden beim Kiffen, was ihn an deren Linientreue zweifeln ließ. Er konfrontierte sie damit und als sie ihn körperlich angriffen, wurde er von zwei Türken verteidigt. Er stellte fest, dass er sich auch mit „normalen“ Menschen gut unterhalten konnte und vor allem musste er erleben, dass seine früheren Kameraden ihm nicht schrieben, ihn nicht besuchten. Er verbrachte alle Feiertage alleine, bis die Aussteigerorganisation EXIT auf ihn aufmerksam wurde. Diese hätten ihn besucht, hätten ihm zugehört und ihm schließlich angeboten, ihn beim Ausstieg zu unterstützen. Und nicht nur dabei: Er konnte seine Schulausbildung abschließen und stellte fest, dass er nicht arbeitslos war, weil Ausländer die Arbeitsplätze wegnahmen, sondern schlicht, weil er bislang einfach keine Lust zum Arbeiten hatte. Dies sei ein „langsamer, krass schwieriger“ Lernprozess gewesen.

Diese Erzählungen wurden nur von kurzen Zwischenfragen Speits unterbrochen, der sich offensichtlich in Bauers Lebensgeschichte gut auskannte und ihm so auch die nötigen Details entlockte.

Nun wurde die Runde geöffnet und dem Publikum die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Die rund 300 Zuhörer nutzten diese Chance und fragten in alle Richtungen. Sie fragten nach seinem Elternhaus, wo er ursprünglich gelernt hatte, niemanden vorzuverurteilen und den Menschen zu ehren. Seinen Gesinnungswandel hatten diese nicht gut geheißen und zerbrochen war die Beziehung, als er seine Mutter als „Judenschlampe“ bezeichnete und Gewalt gegen sie anwandte. Auch habe er versucht, seiner 8-jährigen Schwester rechtes Gedankengut einzuimpfen, was diese zunächst auch brav nachplapperte. Dabei habe er sich nie hinterfragt. Kamen dennoch Zweifel an seinem Handeln und seinem Denken auf, wurden diese weg gewischt, da er nicht wusste, wie er dann seinen Freunden gegenüber da stehen würde. Diese Freunde habe er nun abgelegt, von ihnen wurde er seit seinem Ausstieg beleidigt und bedroht.

Wie er nun mit der Vergangenheit umgehe, ob er bedroht werde, wollte ein Zuhörer wissen. Er habe ein Amtsschreiben, das er immer bei sich trage, falls er einmal unplanmäßig verschwinden oder irgendwo unterkommen müsse. Zudem gebe es eine bundesweite Meldesperre. Drohungen gäbe es trotzdem immer wieder und auch seine Frau habe darunter zu leiden. Den Kontakt zu früheren Freunden habe er gänzlich abgebrochen, auch wenn ihm das nicht in allen Fällen leicht gefallen sei. Zwar distanziere er sich deutlich von den Rechten und arbeite auch gezielt gegen sie an, doch würde er gerne einmal zu einem Klassentreffen gehen, was es für ihn leider nicht gibt.

Seine mit dem Ausstieg gewonnene Freiheit könne er aber auch genießen. Es sei ein neues Gefühl, jede Musik hören zu können, die er mag, seine Kleidung frei zu wählen und alles zu essen. Seinen ersten Döner habe er mit 26 Jahren gegessen und der habe ihm sogar geschmeckt. Zudem sei er auch schon einmal in einer Schwulenkneipe gewesen und habe dort festgestellt, dass auch die Schwulen „ganz normale Menschen sind“. Von diesem Besuch erzählt er mit einem gewissen Stolz, war es doch die Erpressung eines Homosexuellen, die ihn unter anderem ins Gefängnis gebracht hatte.

Auf die Frage, ob er ein NPD-Verbot für sinnvoll erachte, antwortet Bauer zwiegespalten: Zwar sei es richtig, eine rechtsextreme Partei nicht mit Steuergeldern zu finanzieren, doch sehe er im Verbot auch eine gewisse Gefahr: „Das rechte Gedankengut lässt sich nicht verbieten und wenn dann die Partei verboten wird, formieren sich die Gruppen irgendwo anders neu.“ Viel wichtiger sei es, Präsenz gegen die Rechten zu zeigen, ihnen keinen Spielraum zu geben. Denn: „Die Macht der rechten Szene ist die Angst der anderen.“ Damals hätte es diese Gegenbewegung nicht gegeben: Wer für die Jugendlichen da war, waren die Rechten. „Hätte der Staat gezeigt: ‚Wir sind für euch da’, wäre es sicher anders gekommen“, sagt Bauer. Man müsse Jugendliche beschäftigen, sei es mit Musik, mit Kunst. Man müsse ihnen in erster Linie das Gefühl geben, dass man sie nicht fallen lasse.

Die größte und wichtigste Frage, die immer wieder durchklingt, aber erst gegen Ende konkret gestellt wird, ist die nach der Reue. Bauer habe versucht, Kontakt zu seinen Opfern aufzunehmen und um Verzeihung zu bitten. Einige hätten mit im gesprochen, verzeihen konnten ihm nur wenige. Die Wege seien jedes Mal extrem schwierig für ihn gewesen. Er sei in psychologischer Betreuung, wo er seine Taten reflektiere. Und auch die Aufklärungsarbeit helfe ihm, seine Vergangenheit zu verarbeiten. Verzeihen könnte er sich dennoch nicht, insbesondere nicht, dass er sich an Frauen und Kindern vergriffen habe. „Damit habe ich mir selbst den Stolz genommen“, fasst er es zusammen und es fällt ihm sichtlich schwer, im Detail von den Übergriffen zu erzählen.

Die Fragerunde könnte wohl noch unendlich weitergeführt werden. Während Bauer die vielen persönlichen Einblicke gab, sorgte der Fachmann Andreas Speit für den Überblick über die rechte Szene und lieferte Detailwissen. Zwar mussten die Fragen dann irgendwann abgebrochen werden, doch waren alle Veranstalter zufrieden mit dem Ergebnis. Benjamin Eurich vom AStA hatte im Vorfeld gehofft, neben der politischen Bildung den Besuchern zeigen zu können, wie man sich gegen Rechts engagieren könne und damit auch dem Rückgang der studentischen Beteiligung bei der Gegendemo entgegen zu wirken. Er freute sich, dass nicht nur Studenten zu den rund 300 Zuhörern gehört hatten, sondern auch ältere Bürger aus Lübeck und Umgebung, und sich alle rege an der Diskussionsrunde beteiligt hatten. Diese fand er sehr informativ und sie habe „für viele neue Einblicke in die rechte Szene gesorgt“. Die zweieinhalb Stunden zeigten, dass es eine aktive Auseinandersetzung mit diesem Thema gebe.

Auch Andreas Speit gab sich positiv. Zwar habe er schon viele Aussteiger erlebt, doch hatte dies in kleineren Rahmen oder auf Fachtagungen statt gefunden. Diese Runde war also neu für ihn. „Bauer kam mit seinen Anekdoten beim Publikum nicht an“ und die Frage nach der Reue habe ihn unter Druck gesetzt, doch zeigt sich Speit froh, dass es diese kritischen Nachfragen gab.

Ein Ziel des Abends wurde in jedem Fall erreicht: Im Foyer und draußen auf der Straße entwickelten sich noch rege Diskussionen, der Vortrag und die Antworten des Aussteigers hatten zum Nachdenken angeregt. Ob das die Zuhörer auch gegen Rechts auf die Straße bringt, wird sich erst Ende März zeigen.

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