Vor wenigen Wochen wurde Bürgermeister Bernd Saxe in seinem Amt bestätigt. Ein Grund, sich mit ihm zusammen zu setzen und ihn zu fragen, wie der Alltag eines Bürgermeisters aussieht, was eine Universität für die Stadt Lübeck bedeutet und wie mit der desaströsen Haushaltslage der Hansestadt Lübeck umgegangen wird.

Saxe freut sich, wiedergewählt zu seinLukas Ruge | StudentenPACK.

Saxe freut sich, wiedergewählt zu sein

StudentenPACK: Zunächst möchten wir Ihnen natürlich zur Wiederwahl gratulieren. Sie sind jetzt zum dritten Mal Bürgermeister. Was bedeutet das für Sie?

 

 

 

Bernd Saxe: Das ist schon ein schönes Ergebnis für mich gewesen. Ich habe mich bewusst entschieden, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren und das ist jetzt auch gelungen.

PACK: Allerdings war die Wahlbeteiligung gerade bei der Stichwahl extrem niedrig. Wenn man das gegenrechnet, hat knapp ein Fünftel der wahlberechtigten Bevölkerung für Sie gestimmt. Ist das ein Mandat? Wie sehen Sie das?

Saxe: Das ist ein Mandat. Das ist im Gesetz eindeutig geregelt, dass der, der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, gewählt ist. Natürlich ist es nicht schön, ich hätte mir auch eine höhere Wahlbeteiligung gewünscht. Allerdings muss man, glaube ich, sehr sorgfältig nach den Ursachen suchen: Warum ist die Wahlbeteiligung so niedrig? Das hat sicher damit zu tun, dass für viele keine wirkliche Spannung in der Wahl lag. Viele waren überzeugt, das Ergebnis schon vorher zu kennen. Da war die Motivation, hinzugehen, nicht so besonders groß.

PACK: Meinen Sie hier, dass bereits das Ergebnis bei der ersten Wahl vorherzusehen war oder erst bei der Stichwahl?

Saxe: Auch bei der ersten Wahl. Ich bin ja sehr viel unterwegs gewesen, ich hab mit Tausenden von Leuten gesprochen und alle waren eigentlich überzeugt, zu wissen, wie es ausgeht.

PACK: Wie sehen Sie die Personenwahl des Bürgermeisteramts? Damit besteht ja die Möglichkeit, dass der Bürgermeister und die Bürgerschaft von gegenteiliger Regierungsmeinung sind.

Saxe: Das ist vom Gesetzgeber ja so gewollt. Das finde ich auch richtig. Der Gesetzgeber hat gesagt, eine Gemeinde soll zwei Organe haben: die Bürgerschaft als gewählte Vertretung und den Bürgermeister als Chef der Verwaltung, mit einer eigenständigen Legitimation, um ihm auch ein bisschen Unabhängigkeit zu ermöglichen. Und ich glaube, das ist auch eine richtige Entscheidung.

PACK: Sehen Sie hier Schwierigkeiten in Ihrer Arbeit?

Saxe: Natürlich sehe ich immer Schwierigkeiten. Es ist ein schwieriges Amt, das ist jeden Tag mit Problemen verbunden. Aber es gibt einem diese Kommunalverfassung doch eine relativ starke Stellung, so dass man auch agieren kann.

PACK: Wie sieht denn Ihr Alltag aus?

Saxe: Naja, der Alltag sieht so aus, dass von morgens bis abends Termine sind, Schreibtischarbeit natürlich auch, viele Besprechungen, Sitzungen. Es ist in der Regel schon ein ziemlich voller Alltag und man kommt in der Woche durchaus auf 60 Stunden.

PACK: Von wann bis wann sind Sie im Rathaus? Wann beginnen Sie Ihren Arbeitstag?

Saxe: Das ist auch schon mal unterschiedlich, aber in der Regel bin ich so um halb 9 morgens hier. Heute wird es sicher 9 Uhr, bis ich wieder zu Hause bin. Das sind gelegentlich 12-Stunden-Tage, aber dann und wann ist es auch kürzer. Die Wochenenden sind auch nie terminfrei. Ein wirklich terminfreies Wochenende, das kommt ganz selten vor.

PACK: Sie sind jetzt der 228. Bürgermeister der Stadt, haben Sie ein historisches Vorbild?

Saxe: Nein, ein historisches Vorbild habe ich nicht, weil die Herausforderungen in jeder Phase der Geschichte Lübecks immer andere waren. Aber natürlich ist es schon etwas, das mir durchaus Ehrfurcht einflößt, dass eine so lange Kette von Vorgängern da ist. Was ja letztlich nur ein Symbol für die lange Geschichte und Tradition Lübecks ist.

PACK: Sie selbst sind seit ’75 in Lübeck: Was hat sich seither in der Stadt verändert?

Saxe: Es ist vieles weiter entwickelt worden. Ich erinnere mich, als ich herkam 1975, waren noch Kriegsschäden, die Kirchen waren zum Teil noch nicht wieder hergerichtet. Das alles ist heute vergessen. Wir haben in der Infrastruktur seitdem viel gemacht, wir haben vor ein paar Jahren angefangen, im Süden, rund um die Hochschulen, einen völlig neuen Stadtteil zu entwickeln, und auch in Travemünde hat sich viel getan. Also man sieht schon, wenn man es über so eine lange Zeit betrachtet, dass sich enorm viel verändert hat in diesen immerhin fast vier Jahrzehnten.

PACK: Von 1992 bis 2000 waren Sie in Kiel im Landtag. Was hat Sie dann bewegt, nach Lübeck zurückzukehren?

Saxe: Naja, Mitglied eines Abgeordnetenhauses, eines Parlamentes zu sein, ist eine ganz eigene Tätigkeit, die nicht zu vergleichen ist mit einer Aufgabe wie dieser hier. Und die Erkenntnis ist schon, dass mir so etwas wie hier mehr liegt als die reine Abgeordnetentätigkeit.

”Die Hochschulen sind ein ganz wichtiger, ganz tragender Faktor”

PACK: Nun sind wir ja jetzt von der Uni. In welchem Verhältnis stehen Sie zur Uni? Was bedeutet sie für Sie, für die Stadt?

Saxe: Die Uni ist, wie die anderen Hochschulen, ein ganz wichtiger Faktor in der Stadt. Wir haben ja in den Jahren seit ’75 – das ist vielleicht auch ein Anknüpfungspunkt an die vorherige Frage – enorm viele Arbeitsplätze in der Schwerindustrie verloren: Die Werften, Kraftwerk, Hochofenwerk, das ist alles verloren gegangen. 25.000 Arbeitsplätze insgesamt, die untergegangen sind. Und da war dann in der Folge schon die Frage, wo kann denn die Zukunftsperspektive der Stadt liegen, wenn das Alte nicht mehr trägt, die Schwerindustrie in Lübeck, aus unterschiedlichen, auch weltpolitischen Gründen, keine Perspektive mehr hat. Und das, was die nächsten Jahre und Jahrzehnte für uns tragend ist, ist sicher alles mit Wissenschaft, mit Technologie, mit Hochschulen, mit hochschulnahen, mit forschungsnahen Unternehmen mit Hochtechnologie. Da liegt schon ein Stück der Zukunft unserer Stadt. Und da sind natürlich die Hochschulen ein ganz wichtiger, ganz tragender Faktor.

PACK: Jetzt soll die Stadt 2012 den Titel “Wissenschaftsstadt” tragen. Was heißt das für eine Stadt?

Saxe: Das heißt, dass ein Jahr lang der Fokus sehr stark darauf liegt, welche Rolle spielt eine Hochschule in unserer Stadt? Welche Rolle spielt Wissenschaft in unserer Stadt? Welche Rolle spielt übrigens Wissenschaft auch in unserer aller Alltagsleben? Man ist ja tagtäglich mit den Produkten von wissenschaftlicher Tätigkeit und Forschung befasst: Ob man so ein Aufnahmegerät nimmt oder so eine Kamera, ob man ein Handy nimmt oder auch die Klamotten die man am Leib trägt, alles hat sich ja in den Jahren und Jahrzehnten durch wissenschaftliche Einflüsse, durch die Einflüsse von Forschung und Entwicklung erheblich verändert. Und das Ziel des Stiftungsrats der Deutschen Wissenschaft, dieses “Jahr der Wissenschaft” auszurufen, ist ja, den Menschen deutlich zu machen, welche Bedeutung Wissenschaft und Forschung in ihrem Alltag haben und welche Rolle Wissenschaft und Forschung auch bei der Zukunftsentwicklung unserer Gesellschaft spielen. Das soll 2012 hier in Lübeck in einem Fokus besonders hervorgehoben werden.

PACK: Hat das auch Vorteile für die Stadt oder ist das hauptsächlich eine finanzielle Belastung?

Saxe: Nein, das hat Riesenvorteile. Deswegen haben wir uns auch zwei Mal in diesem Wettbewerb beworben und haben uns sehr dafür engagiert, dass wir das auch kriegen. Natürlich kostet es Geld, aber ich glaube, es ist gut angelegtes Geld, um die Mentalität in der Stadt ein bisschen zu beeinflussen, um das Bewusstsein zu verstärken.

PACK: Um zurückzukommen zu den Studenten: Die Stadt wirbt ja gezielt um Studenten und Azubis mit einem Begrüßungsgeld von 100 Euro. Das wird derzeit allerdings nicht ausgezahlt. Ist das der Haushaltssituation der Stadt geschuldet?

Saxe: In der Tat, das hat mit der Finanzsituation der Stadt zu tun. Sie wissen, dass wir doch hohe Defizite haben, dass wir eine hohe Verschuldung haben. Wir müssen an allen Ecken und Enden sparen. Und so haben wir in der Tat dieses Begrüßungsgeld auch ausgesetzt. Das mag später aber wieder reaktiviert werden, wenn die Finanzsituation besser ist. Im Moment müssen wir leider an ganz vielen Stellen sparen.

PACK: Es steht allerdings immer noch auf der Homepage der Stadt. Sollte man das dann gegebenenfalls entfernen?

Saxe: Das müsste man vielleicht mal runter nehmen, ja.

PACK: Sie selber haben Ende September auf Facebook geschrieben, dass es Ihr Ziel sein wird, in den kommenden Jahren Studentenwohnungen zu schaffen. Jetzt gibt es gleichzeitig ein riesiges Bauprojekt auf der Wallhalbinsel, das aber wahrscheinlich nicht im studentischen Budget liegt.

Saxe: Ja, das würde ich auch vermuten, dass das nicht der richtige Ort ist, um Studentenwohnungen zu bauen. Wir sind durchaus auf der Suche nach Standorten für studentisches Wohnen. Da gibt es auch einige, da werden wir in den nächsten Jahren etwas realisieren. Wir sind im Gespräch mit dem Studentenwerk, damit das Studentenwerk da auch mit eingebunden ist. Im Investment nicht, aber in der Betreiberschaft, damit dann die Studentenwohnungen in Lübeck aus einer Hand angeboten werden. Es hat ja wenig Sinn, dass die Studentenwohnungen, die wir schon haben, vom Studentenwerk vermietet werden, und wenn man da nichts kriegt, muss man zu einem anderen Vermieter, um nach anderen Plätzen zu fragen. Das hätten wir schon gern in einer Hand.

Saxe stellt sich den Fragen der StudierendenschaftLukas Ruge | StudentenPACK.

Saxe stellt sich den Fragen der Studierendenschaft

”Im Haushalt ist nichts tabu, alles kann hinterfragt werden.”

PACK: Sie haben es vorher schon einmal angedeutet: Lübeck ist – salopp gesagt – pleite. Gibt es für Sie Dinge, die unantastbar sind, oder wird an allen Stellen gleichmäßig gestrichen?

Saxe: Das ist nicht meine Herangehensweise, zunächst einmal zu sagen, was unantastbar ist. Die Herangehensweise ist genau umgekehrt, also zunächst zu sagen, es gibt keine Tabus, alles kann hinterfragt werden. Man wird dann in der Diskussion beim einen oder anderen Punkt, oder vielleicht auch bei vielen Punkten, dazu kommen, dass das nicht zur Disposition stehen kann. Aber es ist eine andere Denkrichtung, mit der man rangeht, wenn man erstmal sagt, wir erklären den halben Haushalt zum Tabu, da darf man auf keinen Fall ran, und beim Rest versuchen wir dann, die Millionenbeiträge einzusparen. Wir gehen genau umgekehrt ran und sagen, nichts ist tabu, alles kann hinterfragt werden. Dann wird man diskutieren.

PACK: Sie haben in Ihrem Wahlkampf mehrfach betont, dass Sie die Schulden abbauen möchten. Genau genommen hatten Sie ja schon zwei Legislaturen dazu Zeit. Wie hat das bisher ausgesehen?

Saxe: Das hat gut ausgesehen. Wir haben seit Anfang des vorangegangenen Jahrzehnts ja drastische Sparmaßnahmen durchgeführt. Haben das Defizit auf Null gebracht, was jetzt wieder sehr hoch ist. Wir haben den Verschuldungsstand reduziert und dann kam die weltweite Finanzkrise und hat uns quasi über Nacht über 40 Prozent der Steuereinnahmen gekostet. Das hat sich ganz drastisch ausgewirkt, ein Steuereinbruch, wie wir ihn in Lübeck noch nie erlebt haben, jedenfalls nicht so weit ich das überblicken kann. Und dadurch sind die Defizite wieder hochgeschnellt, auf in der Spitze über hundert Millionen im Jahr, jedes Jahr. Und da müssen wir jetzt wieder runter. Das heißt, die aktuelle Finanzkrise, die wir haben, ist nicht über die Jahrzehnte gleichmäßig angewachsen, sondern wir hatten 2008 einen ausgeglichenen Haushalt. Und Ende 2008 ging dann die Krise los.

PACK: Wenn man jetzt draußen durch die Straßen geht, sieht man überall die Weihnachtsbeleuchtung. Ist das in dem Umfang wirklich notwendig oder könnte man hier an den Stromkosten sparen?

Saxe: Das kann man sich überlegen. Aber die Weihnachtsbeleuchtung ist nichts, was die Stadt macht, sondern das macht die Gemeinschaft der Einzelhändler und die Possehl-Stiftung, die hilft, das zu finanzieren. Es hat immer mal Versuche der Unternehmen gegeben zu sagen, will die Stadt das nicht machen mit der Weihnachtsbeleuchtung. Wir haben immer gesagt, nein, vom Weihnachtsgeschäft profitieren die Unternehmen, die Einzelhändler. Und dann müssen die auch diese Weihnachtsbeleuchtung bringen.

PACK: Ein anderes Beispiel sind die Umbaumaßnahmen, die jetzt im Bereich Sandstraße groß waren. Ist das ein Stadtprojekt?

Saxe: Sie haben jetzt leider nur Beispiele, womit die Stadt gar nichts zu tun hat. Das hat uns die Possehl-Stiftung geschenkt. Sie wissen, dass die Possehl-Stiftung hier in der Stadt sehr viel hilft bei allem Möglichen und zum Beispiel diese ganzen Umbaumaßnahmen in der Fußgängerzone sind auch ein Geschenk der Possehl-Stiftung.

PACK: Wird das noch weiter fortgesetzt? Momentan sind ja nur etwa die ersten 20 Meter renoviert.

Saxe: Ja natürlich. Das ist ja jetzt nur für die Weihnachtstage zugemacht worden mit dieser hässlichen schwarzen Teerdecke. Die bleibt natürlich nicht. Aber wir wollten über die Weihnachtszeit hier keine Baustelle haben.

PACK: Wobei wir auch den Eindruck hatten, dass die ganzen Projekte sehr zügig angegangen wurden. Hatten Sie planerisch etwas damit zu tun?

Saxe: Ja, umgesetzt wird das von der Stadt. Die Possehl-Stiftung gibt das Geld, fast hätte ich gesagt nur das Geld, aber gemacht wird es von der Stadt.

Beim Flughafen heißt es Abwarten.Lukas Ruge | StudentenPACK.

Beim Flughafen heißt es Abwarten.

”Ein Flughafen ist für die Stadt nicht ohne Bedeutung.”

PACK: Ein anderes Thema ist der Flughafen. Sie haben in einem Zeitungsinterview gesagt, Sie glauben noch an einen Investor. Das ist jetzt allerdings schon sehr viele Jahre in der Schwebe. Wann würden Sie sagen, Sie sind bereit den Flughafen aufzugeben?

Saxe: Zunächst einmal haben wir einen Bürgerentscheid. So ähnlich wie jetzt Stuttgart 21. Damals haben die Bürgerinnen und Bürger entschieden, mit einer Mehrheit, dass der Flughafen erhalten bleiben soll. Und dass er zunächst mal bis Ende 2012, also noch ein gutes Jahr, fortgeführt werden soll und dass in dieser Zeit ein Investor gesucht werden soll. Das ist eine sehr komplizierte Angelegenheit: Die Investorensuche hängt daran, dass der Planfeststellungsbeschluss, was Ausbaumaßnahmen angeht, rechtskräftig wird. Der ist aber noch nicht rechtskräftig, weil das Gericht noch darüber brütet, auf Grund einer Klage von Groß Grönau, unserer Nachbargemeinde. So lange wir den Planfeststellungsbeschluss nicht haben, so lange wird sich auch kein Investor finden, weil jeder sagt, ich wäre zwar bereit, das zu übernehmen, aber ich muss wissen, kann ich ausbauen, was kann ich ausbauen, wo kann ich ausbauen. Und so hängt es letztlich am Gericht. Aber Ihre Frage ist ja letztlich auch: Braucht die Stadt einen Flughafen? Wir sind eine Stadt, die sehr stark vom Tourismus lebt. Wir haben 1,2 Millionen Übernachtungen, ungefähr 17 Millionen Besucher in der Stadt im Jahr. Der zweitgrößte Arbeitgeberfaktor der Stadt ist Tourismus. Da kommen viele mit dem Auto, mit dem Zug, mit dem Schiff, aber es kommen eben auch eine erkleckliche Anzahl Leute mit dem Flugzeug. Insofern ist ein Flughafen für die Stadt schon nicht ohne Bedeutung.

PACK: Der Flughafen wird aber von Ryanair als Außenstelle von Hamburg gehandelt. Haben Sie da belastbare Zahlen, wie viele davon tatsächlich nach Lübeck kommen oder es nur als Übergangsmöglichkeit nutzen?

Saxe: Ja, allerdings nicht ganz aktuelle Zahlen, die sind schon ein paar Jahre alt. Da waren es, wenn ich das richtig im Kopf habe, 42 Prozent der ankommenden Touristen, die hierherkamen.

PACK: Mit dem Tourismus haben Sie schon übergeleitet zu unserer nächsten Frage: Es sind Windkraftanlagen in der Umgebung von Lübeck geplant, die allerdings das UNESCO-Weltkulturerbe gefährden könnten, weil sie in der Sichtachse auf die historische Altstadt stehen. Was ist Ihnen wichtiger? Umweltschutz oder Weltkulturerbe?

Saxe: Die Frage stellt sich so nicht, weil die Windräder, die da geplant sind, nicht wirklich die Sichtachsen versperren. Es gibt konkret eine Sichtachse, wo sehr am Rande ein Winderwartungsgebietes liegt. Die Frage, wo Windanlagen gebaut werden können, wird ja nicht durch die Stadt entschieden, sondern das Land hat festgelegt, in welchen Arealen können Windenergieanlagen gebaut werden. Das sind dann immer Flächen von mehreren Tausend, mehreren Zehntausend Quadratmetern. Da gibt es ein Winderwartungsgebiet, das grenzt an eine Sichtachse an. Das heißt, wenn man das Windrad ganz an die Grenze des Winderwartungsgebietes stellen würde, dann würde es vielleicht auf die Grenze der Sichtachse ziehen. Wenn man es aber auch nur 30 Meter wegstellt, dann steht es nicht mehr in der Sichtachse. Es gibt da also nicht wirklich einen Zielkonflikt. Klar ist, dass der UNESCO-Status für uns natürlich von hoher Bedeutung ist und wir schon bemüht sind, Windräder, die wir auch wollen, wegen des Klimawandels, so zu positionieren, dass sie nicht in der Sichtachse stehen. Das geht aber in diesem Fall auch.

PACK: Den Titel Weltkulturerbe hat Lübeck nun seit 24 Jahren: Wie war das vorher? Gibt es seither mehr Touristen?

Saxe: Das waren natürlich deutlich weniger. Der UNESCO-Titel ist für den Tourismus schon überaus hilfreich. Wir haben seit 1987 – und das sind ja in der Tat 24 Jahre – in jedem Quartal mehr Gäste gehabt als im Quartal des Vorjahres. Das heißt, wir haben seit ’87 ein stetiges Wachstum. Dieser UNESCO-Titel ist schon sehr wichtig für Tourismus und Marketing, insofern werden sicherlich auch nichts tun, um den zu gefährden.

”Bei 14, 15 Millionen ist man irgendwann an der Grenze dessen, was eine Stadt für den ÖPNV aufbringen kann.”

PACK: Ein anderes Thema beim Umweltschutz ist der Öffentliche Personennahverkehr, der ja in Lübeck – zumindest aus Studentensicht – ausbaufähig ist. Hier wurde jetzt einiges investiert, Hybridbusse beispielsweise, oder elektronische Fahrplananzeigen. Sind das Dinge, die die Stadt in den Stadtverkehr hätte anders investieren können? Beispielsweise wurden ja gleichzeitig die Preise der Schülermonatskarten enorm angehoben.

Saxe: Zunächst zu Ihrer Eingangsbemerkung: Im Vergleich zu anderen Städten dieser Größenordnung, haben wir einen extrem gut ausgebauten ÖPNV. Sowohl was die Liniennetzdichte angeht, als auch was die Taktzeiten angeht. Es gibt ja durchaus Vergleiche. Danach schneiden wir ziemlich gut ab. Der ÖPNV macht leider auch ein sehr hohes Defizit, etwa 14, 15 Millionen im Jahr muss die Stadt zubezahlen. Das zeigt auch schon, dass die Möglichkeiten, Karten zu subventionieren, also Preise zu senken, zusätzliche Linien einzurichten oder noch dichtere Taktzeiten zu schaffen, begrenzt sind. Bei 14, 15 Millionen ist man irgendwann an der Grenze dessen, was eine Stadt für den ÖPNV aufbringen kann. Sicherlich kann man bei jeder Investition, die man tätigt, überlegen, ob man sie besser an einer anderen Stelle eingesetzt hätte, ob man dieses oder jenes gemacht hätte. Was man dabei nicht darf, wenn man nicht ein verzerrtes Bild haben will, ist, dass man einmalige Investitionen, zum Beispiel das Fahrplaninformationssystem, in Relation setzt zu laufenden Mehrkosten. Man kann immer nur einmalige Ausgaben mit einmaligen anderen Ausgaben vergleichen oder laufende Kosten mit laufenden anderen Kosten. Sonst hat man keinen wirklich realen Vergleich. Und diese Investitionen in ein Fahrplansystem hätte man vielleicht auch in einen neuen Bus stecken können. Aber wir brauchten gerade keinen neuen Bus.

PACK: Gleichzeitig wurden aber diese Hybridbusse angeschafft, die wahrscheinlich auch nicht ganz günstig waren…

Saxe: Naja, kostenmäßig ist so ein Hybridbus natürlich nicht günstig. Aber er führt zu erheblichen Krafstoffeinsparungen und damit auch erheblichen CO2-Rückzügen.

Saxe hat seine Ziele klar vor AugenLukas Ruge | StudentenPACK.

Saxe hat seine Ziele klar vor Augen

”Wir haben uns sachkundigen Rat eingeholt: Im Ergebnis gilt das Demonstrationsrecht auch für Rechtsradikale”

PACK: Ein ganz anderes Thema, was allerdings auch jährlich die Stadt bewegt, sind die Nazi-Aufmärsche. Nun ist derzeit die NPD wieder in der Presse, ob sie verboten werden soll oder nicht, und von der rechten Terrorzelle soll es Verbindungen nach Schleswig-Holstein geben. Zwar kann man die Aufmärsche wegen der Versammlungsfreiheit nicht verbieten, aber kann sich eine Stadt so etwas dauerhaft leisten?

Saxe: Die Frage stellt sich leider so nicht, weil wir keine Möglichkeit haben, das zu verhindern, das ist ja unser Problem. In den vielen Jahre, die es schon stattfindet, haben wir jedes Jahr wieder versucht, Gründe zu finden, gerichtsfeste Gründe, es zu untersagen. Wir haben externe Juristen eingeschaltet, haben uns sachkundigen Rat von Gott weiß wo geholt, haben alle Möglichkeiten, die es gibt, durchgespielt. Im Ergebnis gilt Demonstrationsrecht auch für Rechtsradikale. Das Grundgesetz ist da die höhere Rechtsvorschrift. Ob uns das gefällt oder nicht, ob es dem Tourismus schadet, der Ruf der Hansestadt Lübeck darunter leidet: Wir sind nicht frei, so etwas zu verbieten, weil es uns nicht gefällt.

PACK: Eine Möglichkeit, das einzuschränken, wäre vielleicht, dass Jugendliche gezielt informiert werden, was Rechtsradikalismus ist. Gibt es dahingehend Informationen?

Saxe: Da läuft ja eine ganze Menge. Es gibt Informationen in den Schulen, in den Jugendverbänden, in allen möglichen Organisationen, es gibt jedes Jahr ein großes Programm in dieser Angelegenheit. Wer es wissen will, der weiß schon, was Rechtsradikalismus ist, dass es ihn gibt, was die Nazi-Zeit war, was da stattgefunden hat. Das geht schon, man muss nur wissen, es gibt da einen bestimmten Prozentsatz in der Bevölkerung, der will das alles so gar nicht wissen, sondern der hat das verquere Weltbild und hält daran fest.

PACK: Wie ist Ihre persönliche Meinung: Haben Sie den Eindruck, ein NPD-Verbotsverfahren könnte erfolgreich sein?

Saxe: Das einzuschätzen ist sehr schwer, denn das entscheidet letztlich das Bundesverfassungsgericht. Beim letzten Mal hat man gesehen, dass sie nach einem Kriterium entschieden haben, an das keiner vorher gedacht hat. Und ich frage mich, wie stark ist die Organisation eigentlich infiltriert von V-Leuten. Wie sehr ist sie mit anderen Leuten fremd gesteuert. Also das sind schon Fragen, die man schwer vorher sehen kann, insofern möchte ich da gar keine Prognose abgeben, wie das Verfassungsgericht entscheidet. Richtig finde ich die Diskussion, sich darüber Gedanken zu machen: Bringt das eigentlich Fortschritte? Natürlich hat man sofort den Reflex zu sagen: So was muss doch eigentlich verboten werden. Aber wenn alles das, was heute in der NPD stattfindet, dann in den Untergrund abwandert und sich dann noch mehr verbirgt vor den Augen der Öffentlichkeit, wie auch der Staatsschutzorgane, wenn viele vielleicht noch weiter in die Illegalität getrieben werden, als sie das schon heute sind, dann ist die Frage, ob das Verbot eigentlich einen Fortschritt bringt. Oder ob man nicht als Staat besser damit umgehen kann, dass man eine Organisation findet, auf die man dann seine ganze Aufmerksamkeit legt. Ich will da gar keine abschließende Meinung äußern, weil ich dafür auch viel zu wenig davon weiß, aber ich finde die Diskussion schon sehr wichtig, welche Vorteile bringt uns denn ein Verbot, wenn es denn gerichtsfest würde.

”Im Bereich der Bildung muss viel getan werden.”

PACK: Um noch einmal zu Ihrem Wahlkampf zurück zu kommen: Ihr Wahlslogan war „Weiter geht’s“. Heißt das für Sie, dass Sie so weiter arbeiten, wie Sie das die letzten Jahre getan haben, oder haben Sie Pläne, wie Sie die neue Legislatur angehen wollen?

Saxe: Natürlich gibt es Pläne, ich würde gerne weiterhin die Arbeitslosigkeit reduzieren. Wir hatten vor drei Jahren noch 20 Prozent Arbeitslosigkeit. Auch das hat übrigens sehr viel damit zu tun, wie die Finanzlage der Stadt ist. Wenn 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung nicht arbeiten, sondern stattdessen staatliche Ersatzleistungen beziehen, dann ist klar, dass die Stadt sowohl auf der Einnahmenseite, durch fehlende Steuereinnahmen, als auch auf der Ausgabenseite, durch die hohen Soziallasten, ein Problem hat. Heute sind wir auf 10,5 Prozent. Das ist schon ein erheblicher Fortschritt, aber das ist natürlich immer noch zu viel. Insofern gibt es all die Projekte, die jetzt so auf dem Wege sind und möglichst noch ein paar neue dazu zu realisieren, um Arbeitslosigkeit abzubauen, also IKEA bauen, im Hochschulstadtteil noch viele wissenschaftsnahe Unternehmen ansiedeln und so weiter. Das ist das eine. Damit hängt eng die Frage der Finanzsituation zusammen, die muss sich deutlich bessern. Im Bereich der Bildung muss eine Menge getan werden, Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, all diese Themen. Die Hochschulen sollen sich weiter entwickeln, so weit die Hansestadt Lübeck darauf Einfluss hat. Mehr Einfluss haben wir da auf die Studienbedingungen, wie jetzt zum Beispiel die Verbesserung von Studentenwohnplätzen. Es gibt schon noch eine Menge zu tun für die nächsten Jahre.

PACK: Seit September sind Sie bei Facebook vertreten, also pünktlich zur Wahl. Jetzt haben Sie rund 3000 Freunde. Werden Sie die weiterhin über diese Plattform informieren?

Saxe: Ja, es ist schon vorgesehen, dass ich das auch weiterführe. Wobei, Facebook ist auch eine zeitfressende Angelegenheit, ich habe mir schon ein Limit gesetzt von nicht mehr als 30 Minuten am Tag. Denn da ist man auch leicht abgetaucht und Stunden später stellt man fest, was man eigentlich sonst noch hätte machen wollen. Es soll schon sehr nebenher laufen und kann nicht den Tagesablauf bestimmen.

PACK: Schreiben Sie die Informationen auf der Seite selbst?

Saxe: Ja, das schreibe ich alles selbst.

PACK: Gibt es etwas, das Sie den Studenten mit auf den Weg geben möchten?

Saxe: Den Studenten möchte ich mit auf den Weg geben, dass ich hoffe, dass sie hier ein Lebensumfeld finden, das ihnen gefällt. Das sie vielleicht sogar reizt, nach Abschluss des Studiums hier zu bleiben. Dass sie vielleicht auch ein Arbeitsumfeld finden, wo ihnen die Möglichkeit gegeben wird, hier zu arbeiten.

PACK: Kann die Uni der Stadt etwas zurück geben?

Saxe: Und die Uni kann der Stadt viel zurück geben: Wenn sie sich weiter entwickelt, wie in den vergangenen Jahren. Es wird demnächst der Wissenschaftscampus gegründet, die Uni und auch die Fach- und die Musikhochschule helfen sehr stark mit beim Jahr der Wissenschaft. Ich glaube, dass die Verankerung der Hochschulen in der Stadt und das Aufeinanderzugehen sich in den letzten Jahren sich sehr entwickelt hat. Noch vor einigen Jahren hätte man auf der Straße 30 Prozent der Leute ansprechen können und sie hätten gesagt: Uni? Wer? Es gab faktisch kein Bewusstsein. Das UKSH hieß Krankenhaus Ost. Es war nicht bekannt, dass wir eine Uni und eine Uniklinik haben, dass wir eine Fachhochschule und eine Musikhochschule haben. Da hat sich sehr viel geändert.

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