Es ist kalt, es ist grau, es ist ungemütlich – der Winter regiert den Norden mit harter Hand. Wann genau ich mich das letzte Mal in einem warmen, stickigen Vorlesungssaal nach einer Abkühlung in der Wakenitz gesehnt habe, weiß ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Stattdessen ertappe ich mich immer häufiger dabei, wie ich meine Schildkröte um ihre Wechselwarmigkeit beneide. Fünf Monate in einem kuscheligen Kühlschrank einfach mal so vor sich hin dösen, die Seele bei einem Ruhepuls von etwa zehn baumeln lassen und dabei vom letzten Sommer träumen. Unvorstellbar, wie erholsam eine solche Aktion sein muss. Natürlich nur für die betreffende griechische Landschildkröte. Ich dagegen friste mein gleichwarmes Dasein im frostigen Norden und bin froh über jede Minute in meiner herrlich warmen Wohnung.

Aber natürlich, wenn in der Lübecker Innenstadt der Weihnachtsmarkt ruft, dann gibt’s auch für mich keine Alternative, als mich mit allen warmen Klamotten zu bewaffnen, die man eben übereinander anziehen kann, und mich todesmutig in die eisige Kälte zu stürzen. Man möchte doch eigentlich meinen, dass drei Pullover, eine dicke Winterjacke, Mütze, Schal, Handschuhe, zwei Paar Socken und die mit angeblich besonders wärmendem Lammfell gefütterten Stiefeln ausreichen dürften. Nun, ehrlich gesagt fühlte ich mich, als ob ich gerade auf dem Weg zum Casting für ein neues Michelin-Männchen wäre, aber da mir im Hausflur noch schön warm war, störte mich das herzlich wenig. Doch dieser Zustand war leider nur von kurzer Dauer.

Als die Umgebungstemperatur abfiel, tat es ihr die Temperatur meiner Zehen und Finger gleich. Nach etwa einer Stunde verabschiedete sich dann das Gefühl in meinen Zehen. Das vermochte weder der Glühwein vor dem Rathaus, noch das Lagerfeuer auf dem Mittelaltermarkt ändern. Doch gerade, als ich anfing, darüber nachzudenken, wie lange meine Zehen wohl auch ohne Gefühl vor sich hin vegetieren können, erblickte ich ein Wesen, das mir den Rest gab. Äußerlich betrachtet konnte ich verblüffende Ähnlichkeiten mit Lisa erkennen, doch das konnte nicht sein. Definitiv nicht. Denn das Wesen war mit dünnen, ungefütterten Stiefelletten, einer Strumpfhose, einem extrem kurzen Minirock, einer Jacke, die ich bestenfalls noch im Spätsommer angezogen hätte, und einem Schal, der ungefähr so viel Haut bedeckte wie ein Fingerring, bekleidet. Das war‘s. Keine Handschuhe, keine Mütze, keine blau angelaufenen Lippen. Dem Wesen war tatsächlich warm.

Der Anblick ließ mich für eine Sekunde sogar die Eiszapfen an meinen Füßen vergessen. Doch dann hatte ich mich wieder so weit gefasst, dass wenigstens ein „Ist dir nicht kalt?“ über meine zitternden Lippen kam. Die Frage bereute ich jedoch umgehend. Nicht, weil ich jetzt auch noch befürchten musste, in meinem Mund etwaige temperaturbedingte Gefühlsausfälle beklagen zu müssen, sondern weil Lisa anfing, mir einen scheinbar endlosen Vortrag über wärmende Luftpolster zu halten. Tragischerweise habe ich diese mit meinen vielen Lagen eiskalt ausgelöscht. Offensichtlich war mir also nur kalt, weil ich mich zu warm angezogen hatte. Ja klar, und das nächste Mal kram ich einfach Pudelmütze und Zwei-Meter-Schal raus, wenn mir der Hochsommer Schweißperlen auf die Stirn treibt.

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