Es ist 2007, das Wintersemester hat gerade begonnen und die Universität zu Lübeck hat einen neuen Studiengang. Für die Fachschaften an der damals noch existierenden Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (TNF), die bisher nur drei Studiengänge vertreten, bedeutet dies auch, dass sie nun eine Lösung für die Vertretung der neuen Studenten finden müssen. Doch was ist MIW? Ein Blick in die Studienordnung lässt lediglich eine grobe Einschätzung zu, insbesondere, weil die Erfahrung den Fachschaftlern sagt, dass der Studiengang in den ersten Jahren sicherlich noch Anpassungen erfahren wird. Die frischen Erstsemestler zu fragen, ist auch wenig nützlich. Zwar sind einige von ihnen engagiert zu den Sitzungen zu kommen, doch haben sie, wie alle Erstsemester, noch keine Vorstellung davon, was ein Studium für sie bedeutet. Was tut man also mit den Ingenieurswissenschaftlern?

Die Fachschaft entschließt sich zu einer Notlösung: Die wenigen Studenten des neuen Studienganges werden in der Fachschaft Computational Sciences untergebracht, die bisher die beiden Studiengänge Computational Life Science (heute Mathemaik in Medizin und Lebenswissenschaften) und Informatik vertritt. Allen ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass es sich um eine Übergangslösung handelt, bis MIW auf eigenen Beinen steht.

Zu viel Engagement?

In den Folgejahren entwickelt sich das Baby unter den Lübecker Studiengängen prächtig. Die Studenten kommen in Scharen, inzwischen ist abzusehen, dass der Studiengang die Größe von MLS erreichen wird. Auch das Engagement in der Fachschaft CS ist beeindruckend. Von den fünf gewählten Mitgliedern der Fachschaft sind zwei oder drei meist Studierende der MIW, mit Viola Borchardt und Helge Sudkamp stellt MIW zwei Jahre in Folge den Sprecher der Fachschaft.

Das erfreuliche Engagement ist nicht unproblematisch. Der Studiengang ist deutlich kleiner als die Informatik, die nun oft unterrepräsentiert ist, der Studiengang angewandte Mathematik erhält in manchen Jahren gar keinen gewählten Vertreter. Dies ist nicht nur bürokratischer Unsinn, eine Vertretung in der Fachschaft ist relevant. Vom allbekannten Klausurenausdrucken bis hin zu komplizierten Problemen in Reakkreditierungsverfahren, der Evaluation von Vorlesungen oder der Struktur eines Studienganges ist die Fachschaft involviert, hält Rücksprache mit den Professoren und vertritt in fachlichen Belangen ihren Studiengang gegenüber der Universität. Ist kein Studierender eines Studienganges gewählt, kann die Fachschaft eine kompetente Vertretung nicht gewährleisten.

 

Student lectures: Eine der veranstaltungen der Fachschaften CS|MLS

Student lectures: Eine der veranstaltungen der Fachschaften CS|MLS

Dazu kommt die Frage der Identifizierung. MIW ist keine Berechnungswissenschaft und hat in der Fachschaft CS, zusammen mit Informatik und Mathematik, die tatsächlich vieles eint, wenig verloren. Eine Ingenieurswissenschaft hat ein gänzlich anderes Selbstverständnis, trotz einiger gemeinsamer Vorlesungen. Der Studiengang ist praktischer, experimenteller ausgelegt und längst nicht nur ein technisch-naturwissernschaftliches Fach. Dies ist auch darin zu erkennen, dass er nicht nur in den Sektionen MINT (die ehemalige Fakultät TNF) sondern auch in der Medizinischen Sektion verankert ist. Immerhin 30 Prozent des Studienganges werden also von Seiten der ehemaligen Medizinischen Fakultät organisiert. MIW ist inhärent fächerübergreifend und ein Alleinstellungsmerkmal der Universität zu Lübeck.

Es gibt eine einfache Lösung für dieses Problem, eine Lösung, die so schon von Anfang an in den Hinterköpfen der Fachschaftler existierte: Wenn MIW lang genug existiert, wird es eine eigene Fachschaft erhalten, die dieser Sonderrolle Rechnung tragen kann. Dieses Jahr sollte es so weit sein.

Wie gründet man eine Fachschaft

Eine neue Fachschaft zu gründen, ist natürlich nicht nur eine Frage des Willens derer, die sie nachher besetzen sollen. Das Studierendenparlament muss die Neugründung mit einer Zweidrittelmehrheit bewilligen. Das diesjährige Studierendenparlament lehnte allerdings nach langer Diskussion den Antrag von Ulrike Kalapis, MIW-Studentin und gewählte Fachschaftsvertreterin, auf Gründung einer Fachschaft MIW ab. „Mir persönlich ist es einfach wichtig, dass alle Studenten wissen, wo sie mit ihren Sorgen und Problemen hingehen könnten, und dass durch das MIW im Namen der Fachschaft auch Kontakte zur Industrie, zum Beispiel für Praktika, viel leichter geknüpft werden könnten“, sagt Ulrike heute. Sie hatte zuvor zusammen mit den anderen Mitarbeitern der Fachschaften CS und MLS eine Umfrage durchgeführt, in welcher über 80 Prozent der MIW Studenten (Rückmeldungsquote von 40 Prozent) für eine Neugründung stimmten. Das StuPa erklärte diese Umfrage für irrelevant, weil sie keine Alternativmodelle abfragte. Ein solches Alternativmodell hatten ein paar Parlamentarier parat: Anstelle einer neuen Fachschaft sollten nun die beiden bisherigen Fachschaften zusammengelegt werden. So wäre es möglich, das die Sektion MINT, wie die Sektion Medizin, mit einer Stimme gegenüber den Professoren auftrete. Der Einwand, dass es keine Sektion MINT gebe, da es sich in Wirklichkeit um die Sektionen MINT handle, aufgeteilt in Mathematik und Informatik sowie Naturwissenschaft und Technik, ließen diese Mitglieder des StuPa auch nicht gelten. Das Argument einer kompetenten fachlichen Vertretung war für die StuPa-Mitglieder genauso irrelevant, sie äußerten hingegen Bedenken, dass eine Neugründung durch eine weitere eigenständige Gruppe von Repräsentanten zu großem bürokratischen Aufwand führen könnte.

Ihr Modell, um diesem bürokratischen Aufwand entgegenzuwirken, entwickelten sie in einem in der Sitzung gegründeten Ausschuss, der das Problem beraten und eine neue, in ihren Augen nützliche Umfrage entwickeln sollte. Die Fachschaft MINT soll in dem entwickelten Modell 15 gewählte Mitglieder haben. Mit Hilfe von Quoten soll dabei garantiert werden, dass alle Studiengänge adäquat vertreten sind. Während die Fachschaft nur einen Sprecher hat, muss sie natürlich jeweils Ansprechpersonen für die unterschiedlichen Studiengänge benennen. Um das Modell umzusetzen muss die Wahlordnung und die Organisationssatzung der Studierendenschaft geändert werden. Als Gegenmodell steht weiterhin das Konzept von Ulrike. Es würde ebenfalls 15 Vertreter haben, fünf für MIW, fünf für MLS und fünf aus den Studiengängen Mathematik und Informatik. Quoten würden nicht benötigt, ebenso wenig Satzungsänderungen, und jede Fachschaft würde wie bisher einen Sprecher benennen. Das Modell erscheint ihr und vielen Fachschaftlern schon deshalb von Vorteil, weil es auf bewährten Konzepten beruht. Wie an jeder anderen Uni Deutschlands würden Studiengänge und nicht Fakultäten durch die Fachschaft vertreten.

In vier Sitzungen beriet der Ausschuss über die Modelle und erstellte eine Umfrage, die allen Studenten der Sektionen MINT zugesandt wurde. Die Umfrage stellte beide Modelle vor und fragte Studenten lediglich nach ihrer Präferenz. Auch dieses Ergebnis ist kaum deutbar. Trotz einer Teilnahme von über 30 Prozent der Studenten aus den Sektionen der MINT – genauere Angaben, aus welchen Studiengängen die Teilnehmer kommen, gibt es nicht – lässt sich eine Entscheidung kaum mit dem Ergebnis begründen. Es ist von entscheidender Bedeutung, ob der Studiengang MLS eine Vereinigung zu 70 Prozent ablehnt, auch wenn eine Mehrheit aller Studierenden die Vereinigung begrüßen würden. Es wäre von geringer Aussagekraft, wenn die Mehrheit der Studenten für das Modell drei eigener Fachschaften stimmen, wenn die Mehrheit der MIW-Studenten dagegen ist. Nichts derartiges wird die Umfrage feststellen können.

Die Zukunft der Fachschaft

Professor Enno Hartmann, Vizepräsident der Uni, betont, dass es sich um eine schwierige Entscheidung handelt. Er habe immer gute Erfahrungen mit der eigenständigen Fachschaft MLS gemacht. Im Falle der Gründung einer gemeinsame Fachschaft der MINT-Studiengänge sei wichtig, „dass dort für jeden Studiengang (Bachelor und Master getrennt) mindestens ein engagierter Vertreter wäre, der zum Beispiel im Prüfungsausschuss und Ausschuss Lehre ist, um Akkreditierung zu begleiten und kompetenter Gesprächsparter für Studenten des Faches ist.“

Ende April wird das Studierendenparlament tagen und eine Entscheidung über die Zukunft der Fachschaften treffen. Es wird sich dabei vom Ausschuss beraten lassen, muss aber ein weiteres Mal abstimmen. Ulrike, die auch im StuPa sitzt, stimmt auch dann nicht für das Modell MINT, wenn der Auschuss es empfiehlt, als Antragstellerin für das Modell von drei Fachschaften kann sie dies nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Sollte es für keines der Modelle zu einer Zweidrittelmehrheit kommen, bleibt alles beim Alten und die Fachschaft CS muss weiterhin gänzlich unterschiedliche Fächer unter einen Hut bringen.

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