„Herzlich willkommen, schön dass Sie da sind!“, sind die ersten Worte, die ich vom Pförtner zu hören bekomme, als ich ihm sage, dass ich Praktikantin bin und zum Studierendensekretariat der Chirurgie möchte. Und diesen Satz werde ich in den folgenden Tagen noch einige Male hören. Herzlich willkommen sind alle fünf Neuen, die sich am Morgen des 1. März vor dem Studierendensekretariat der Klinik 1 des Universitätsspitals in Basel einfinden. Drei Famulanten und zwei PJ-ler treten ihren Dienst an diesem Tag an. Alle gleichzeitig, denn die Praktika gehen hier obligat vom Monatsersten bis zum Monatsletzten. Dafür bekommt man aber im Vorfeld nicht nur Post mit allen wichtigen Infos – wie etwa, dass man einen MRSA-Abstrich und einen Hepatitis-B-Titer vorweisen muss und wo man wohnen kann – sondern auch eine wirklich umfassende Einführung am Eintrittstag. Auf welcher Station bin ich? Wo bekomme ich meine Dienstkleidung her? Wer ist für Fragen zuständig? All diese Dinge werden ausführlich geklärt. Zudem wird der Badge ausgehändigt, die obligate Zugangskarte zu OP-Trakt und Mittagessen.

Dann geht es auf Station 6.1, die Viszeralchirurgie. Ein Schweizer Unterassistent – das PJ-Äquivalent, dem zwei weitere Theoriesemestern folgen – und ich haben den gleichen Weg. Erstmal platzen wir in die laufende Oberarzt-Visite hinein, doch das ist kein Problem. Nach jedem Zimmer kommt ein weiterer Mensch im Kittel auf uns zu, gibt uns die Hand, stellt sich vor und heißt uns willkommen. Schnell sind wir mit den Oberärzten per Du und fühlen uns gleich als Teil des Teams.

Ein Land, vier Sprachen

Noch während der Visite beginne ich, den leitenden Oberarzt für seine Sprachbegabung zu bewundern: Vor der Tür spricht er ein reines, klares Hochdeutsch, am Patientenbett breitestes Berndeutsch – alternativ ein flüssiges Französisch oder ein der schweizerischen Betonung angepasstes Italienisch. Die Schweiz ist mit ihren vier Amtssprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch – sowieso sehr vielfältig. Dazu kommt, dass Basel, das direkt an Deutschland und Frankreich grenzt, eine Stadt ist, die von großen, internationalen Pharmaunternehmen geprägt wurde. Entsprechend arbeiten hier Menschen aus aller Welt und das spiegelt sich natürlich auch bei den Patienten wieder.

Die Faszination der sprachlichen Fähigkeiten anderer weicht jedoch schnell dem Schrecken, als nach der Visite ein französischer Patient aufgenommen werden muss. Französisch hatte ich zwar noch im Abi, habe es aber seither nicht mehr wesentlich gebraucht und schon gar nicht, um Patienten aufzunehmen. Also schnell das Wörterbuch im Assistenzarztbüro bemüht, die wichtigsten Begriffe notiert und rein ins kalte Wasser. Mit Händen, Füßen, einigen in den Raum geworfenen lateinischen Fachbegriffen und ein paar deutschen Wortbrocken des Patienten gelingt es dann doch: Der Patient erzählt seine Krankengeschichte und als wir später über seine Stuhlgewohnheiten fachsimpeln macht sich ein gutes Gefühl breit: Das mit den Fremdsprachen geht doch irgendwie. Und so ist es schon ein paar Tage später gar kein Problem, einen amerikanischen Biologie-Professor aufzunehmen, der Schwierigkeiten mit „Fred“, seinem künstlichen Darmausgang, hat.

Die Sprachbarriere wird die meisten deutschen Studenten in der Schweiz dennoch irgendwie begleiten. Denn der Schweizer als solcher ist stolz auf seinen Dialekt. Und während in Deutschland oft die Überzeugung kursiert, nur noch Bauern sprächen nicht nach der Schrift, ist es hier durchaus gängig, dass auch unter Akademikern Schweizerdeutsch gesprochen wird. Für mich, die ich in der Nähe der Grenze aufgewachsen bin, ein geringeres Problem. Doch da die Schweiz als Paradies für medizinisches Fachpersonal gilt, ist man auch mit dem Schriftdeutsch nicht alleine: Fünf von sechs Assistenzärzten in der Viszeralchirurgie sind Deutsche, die sechste stammt aus Brasilien. Doch auch die Eingeborenen bemühen sich in aller Regel, sich verständlich auszudrücken und wenn man dann die gängigsten Fehler vermeidet – den Dialekt zu sprechen, wenn man ihn nicht beherrscht, sich über die Sprache lustig zu machen oder sie niedlich zu finden oder davon auszugehen, dass die Dialekt-Sprechenden dumm sind – kann man eigentlich kaum etwas falsch machen. Die paar wichtigen Vokabeln lernt man dann auch so: Aufnahmen heißen hier Eintritte, der „Zustand nach“ wird zum „Status nach“, mit „Bäähsedde“ ist im OP die Pinzette gemeint und mit „Dubferli“ der kleine Tupfer. Und wem das „Grüezi“ zur Begrüßung nicht so recht über die Lippen kommen will, der kann auch mit einem freundlichen „Morgä“ – der Basler als solcher rollt übrigens das R – den Raum betreten.

Kaffee und andere Annehmlichkeiten

Wichtig ist dann nur noch die „Schale“, wenn man in der Cafeteria eine Tasse Kaffee bestellen will. Die Cafeteria sehen wir im Übrigen verhältnismäßig oft. Das „z’Nüüni“, die Schweizer Tradition, um 9 Uhr morgens ein zweites Frühstück einzunehmen, wird leicht modifiziert und an den Krankenhausalltag angepasst: Immer, wenn es auf der Station oder im OP nicht gerade brennt, wird nach der Frühbesprechung erst einmal ein Kaffee getrunken. Eine schöne Möglichkeit, um nicht nur mit den Assistenzärzten ins Gespräch zu kommen

Doch hat der Alltag in Basel noch die eine oder andere weitere Annehmlichkeit zu bieten. Hier beginnt der Tag nämlich nicht, wie in Deutschland üblich, mit unzähligen Blutabnahmen. Dafür und für das Legen von Braunülen ist das Pflegepersonal zuständig. Allgemein hat hier das nicht-ärztliche Personal deutlich mehr Kompetenzen: Im OP dürfen die Pfleger auch schon mal den Patienten waschen und die sterilen Tücher kleben und die Anästhesiepfleger sind bei längeren Routineeingriffen mitunter alleine im OP. Zudem ist die Personaldichte sehr hoch: Eine Schwester hat vier bis sechs, in Ausnahmesituationen acht Patienten, dazu kommen Schüler, Pflegeassistenten und Sitzwachen und im OP gibt es Personal, das sich ausschließlich mit der Lagerung des Patienten vor und nach der Operation beschäftigt. Den Ärzten wird so nicht nur Arbeit abgenommen, sondern auch vieles erleichtert, schon allein dadurch, dass die zuständige Schwester immer griffbereit ist und sich nicht noch um zwölf andere Patienten kümmern muss. Und wenn einer der beiden Stationsärzte doch in den OP muss, ist zumeist noch ein zusätzlicher Assistent da, der sich um den Ablauf kümmern kann.

Was bleibt, ist viel Zeit für den Patienten. Bei der Visite werden die Fragen ausführlich beantwortet, die Aufklärungsgespräche sind recht umfangreich. In der Schweiz wird übrigens noch nach der tatsächlichen Leistung abgerechnet. So kann es schon mal vorkommen, dass der Arzt die Visite mit den Worten beendet: „Von unserer Seite könnten Sie morgen nach Hause gehen – wenn Sie sich soweit fühlen.“ Während in Deutschland oft halbkurierte Patienten vor die Tür gesetzt werden, darf in der Schweiz jeder bleiben, bis er sich subjektiv fit genug fühlt, bis die Anschlussbehandlung garantiert ist oder bis jemand die Zeit hat, um den Patienten abzuholen. Interessant ist dabei auch das Versicherungssystem. Hier werden drei Klassen unterschieden. Die 3. Klasse deckt den Basisbedarf ab: Bett, Arzt, Pflege – jedoch nur in dem Kanton, wo man seinen Hauptwohnsitz hat. Wer im Krankenhaus seiner Wahl behandelt werden will, braucht eine Zusatz- oder eine 2.-Klass-Versicherung, die einem auch das Liegen in einem 2-Bett-Zimmer ermöglicht. Wer es gern luxuriös mag, sollte jedoch die 1. Klasse wählen: Einzelzimmer, Chefarztbetreuung und Hotelleriebetrieb mit Wahlmenü, Schränken aus echtem Holz und Flachbildfernseher an der Wand – in Basel kommt der Blick aus dem 7. Stock über die Altstadt dazu.

Doch nicht nur für Patienten bleibt viel Zeit. In Basel wird der Status „akademisches Lehrkrankenhaus“ durchaus Ernst genommen und so bleibt während des Monats, den ich dort verbringe, keine Frage unbeantwortet.

Richtig rapportieren lernen

Die Aufgabe der UHUs, den Unterassistenten, zu denen ich als Famulantin auch gezählt werde, ist – neben der Assistenz bei Operationen – die Aufnahme der Patienten und deren Vorstellung beim Mittagsrapport. Das beinhaltet jedoch nicht nur, wie in den meisten Blockpraktika, die kurze Anamnese und körperliche Untersuchung. Bevor man ins Zimmer geht, sollte man die Krankengeschichte bereits aufgearbeitet haben: Sprechstundenberichte, Arztbriefe, alte Entlassbriefe, Röntgenbilder, Gastrobefunde, Laborergebnisse. All das sollte im besten Fall schon in einen logischen Zusammenhang gebracht werden, bevor man den Patienten das erste Mal zu Gesicht bekommt. In den meisten Fällen hat man dann Zeit für eine wirklich ausführliche Anamnese, lernt so die Patienten auch richtig kennen und kann sie oft schon gut einschätzen.

Der mittägliche Rapport dient dann tatsächlich nur dem Informationsaustausch. Kein einziges Mal werden wir ins Kreuzverhör genommen oder gar vor den Patienten bloßgestellt. Wenn Daten fehlten, haben sich die diensthöheren Ärzte auch durchaus selbst an den Rechner gesetzt und nachgeschlagen. Und wenn fachliche Fragen gestellt werden, dann nicht um unser Wissen zu prüfen, sondern, um uns etwas beizubringen: Auf die Antwort „Das weiß ich leider nicht“ folgt meist eine freundliche, lehrreiche Erklärung.

Der OP-Trakt: Eine eigenständige Stadt

Ähnlich friedlich geht es im OP zu. Wenn der Patient nicht gerade wild am Bluten ist, ist jede Frage willkommen. Auch interessieren sich die meisten Ärzte über das Fachliche hinaus für die Person, mit der sie am Tisch stehen. So entwickelte sich manches nette Gespräch. Fehler kann man dabei kaum machen. Wenn der Haken an der falschen Stelle hält oder die Kamera bei minimalinvasiven Eingriffen wieder den Horizont verliert, wird einem zwar das Gerät aus der Hand genommen, nachdem es wieder auf der richtigen Spur ist, bekommt man es jedoch zurück. Zudem habe ich mich nie nur als Hilfsmittel gefühlt: Wenn meine Aufgabe mit einer unbequemen Haltung verbunden war – einmal musste ich über eine Stunde lang eine überdimensionierte Brust halten, wobei meine Finger ohne mein Zutun noch als Widerlager für die Haken dienten – haben die Operateure in regelmäßigen Abständen nachgefragt, ob alles OK sei, wie lange ich noch halten könne, ob ich Gefahr laufe, bald umzufallen. So etwas war ich bis dato nicht gewohnt!

Lediglich das OP-Ende unterscheidet sich nicht von Deutschland: Nähen oder Tackern dürfen in Basel auch die Unterassistenten. Es sei denn, es handelt sich um einen 1.-Klass-Patient: Hier operieren ausschließlich Chef- und leitende Ärzte, bis einschließlich zur Naht. Genäht wird in Basel übrigens nach Allgöwer, denn dieser Chirurg war hier jahrelang tätig. Der Allgöwer-Rückstich ist die Naht, die im Nahtkurs nach dem Donati-Rückstich kurz erwähnt, aber nie geübt wird. Daher war es anfangs etwas ungewohnt. Doch wie so oft wurde dann alles noch einmal im Detail erklärt und bald beherrschte auch ich die Naht.

Der OP-Trakt in Basel ist übrigens gigantisch! Das ganze Haus ist schon riesig. Und als ich das erste Mal über das Unterassistententelefon für den OP angefordert wurde, habe ich mich natürlich gleich verlaufen. Das Personal der HNO-Abteilung war allerdings so nett, mich wieder auf den rechten Weg zu bringen, und so habe ich es doch in die Umkleide geschafft. Den Weg zum Saal musste ich mir dennoch erklären lassen, der OP-Trakt erstreckt sich nämlich über vier Ebenen: Die Säle sind in den beiden unteren, zwölf an der Zahl und wirklich sauber, schön und groß – und auf dem neusten Stand der Technik! Und für alle, die vorher noch nie assistiert haben, gibt es eigens für Unterassistenten und andere Praktikanten zu Beginn des Monats eine ausführliche Einführung mit Waschkurs. Hier wird wirklich an alles gedacht.

Kritik bleibt nur wenig

Natürlich ist nicht alles nur gülden im Unispital Basel. Natürlich wird der Ton mit laufender OP-Dauer und steigendem Blutverlust knapper und rauer. Natürlich müssen hier die OP-Schwestern zunächst ihr Revier verteidigen, bevor sie handzahm werden. Und vor allem hat man eins: Lange Arbeitszeiten! In den gängigen Verträgen für Ärzte stehen 50 Wochenarbeitsstunden, was auch gerne auf Unterassistenten übertragen wird. Eine PJ-lerin einer anderen Abteilung beklagte sich während eines Gesprächs, dass sie vor lauter Arbeit und Diensten überhaupt keine Chance habe, das praktisch Erlebte auch theoretisch nachzuarbeiten oder sich sonst wie auf ihr Staatsexamen vorzubereiten. Wenigstens wird die Arbeit entlohnt: Während man in Deutschland für einen feuchten Händedruck schuftet, bekommt man – zumindest als PJ-ler, in Basel leider nicht als Famulant – in eigentlich allen Häusern der Schweiz mindestens 900 Schweizer Franken (CHF), was etwa 650 Euro entspricht. Wer allerdings nicht das Glück hat, wie ich bei der Familie unterzukommen, gibt dieses Geld mehr oder weniger komplett für die Lebenshaltungskosten aus. Das Zimmer, das man über die Klinik beziehen kann, kostet über 500 Franken und auch das Essen ist nicht gerade günstig. Ein normales Mittagessen (Hauptmenü, kein Nachtisch, keine Getränke) in der Kantine kostet 8,40 CHF, ein belegtes Brötchen in der Spital-Cafeteria um die 7 CHF, was immerhin rund 5 Euro entspricht – dafür bekommt man dann aber auch Hasenrückenfilet, Nudelauflauf mit echtem Schafskäse oder Straußenfleisch. Doch auch das Nachtleben in der Schweiz ist ordentlich teuer.

Tolle Stadt, tolles Umfeld

Dennoch lohnt es sich, mehr zu sehen als nur Klinik und Wohnheim. Basel wurde, wie eigentlich alle Schweizer Städte, im 2. Weltkrieg nicht zerstört und hat deswegen eine unglaublich schöne Altstadt mit Fachwerkhäusern, großen Plätzen, schönen Kirchen und lauschigen Gässchen. Wer zur Ruhe kommen will, kann sich an die Rheinpromenade setzen oder sich im wirklich schönen Botanischen Garten eine Parkbank suchen. Auch an Kultur ist diese Stadt sehr reich: Es gibt ein großes und viele kleine sehenswerte Theater- und Konzerthäuser, es gibt eine ganze Straße mit Kinos, Museen für jeden Geschmack – von Kunst über Cartoons und Puppenhäuser bis zu Naturwissenschaft und Geschichte – und auch der Basler Zoo mit seinen großzügigen Freigehegen ist einen Sonntagsausflug wert. Zudem liegt Basel geographisch einwandfrei: Andere Städte wie Zürich, Luzern oder Bern sind gut zu erreichen. Wer am Wochenende Ski fahren, klettern oder wandern will hat es nicht weit zu den Alpen. Auch die französischen Städte Colmar oder Mulhouse und der französische Jura sind gerade um die Ecke und wen es doch nach Deutschland zieht, der kann Freiburg besuchen, an den Bodensee fahren oder die Landschaft von Schwarzwald und Kaiserstuhl durchstreifen.

Der Einstieg ins Wochenende wird übrigens mitunter schon auf Station versüßt und zwar mit einem TGIF. Die Abkürzung steht für „Thank God it’s Friday“ und sieht vor, dass derjenige, der eine Operation zum ersten Mal gemacht hat – was meist die Assistenten trifft – oder dem eine außergewöhnliche Operation zugeteilt wurde – hier kommen auch die diensthöheren Ärzte in Betracht – freitags einen „Apéro“ ausgibt. Aufgabe der Unterassistenten ist es, die Brote, den Lachs, den Käse, Knabbereien und andere Feinheiten, einschließlich einiger Flaschen Wein, zu besorgen und den Tisch zu decken. Und dann kommen alle zusammen, sitzen um den großen Tisch im Aufenthaltsraum und haben gemeinsam eine gute Zeit.
Das TGIF ist nur einer der vielen wirklich schönen Momente in Basel. Die gute Atmosphäre und das entspannte Arbeiten entschädigen durchaus für die langen Arbeitstage. Und wenn ich mir demnächst Gedanken um einen PJ-Platz mache, steht die Schweiz doch nach wie vor sehr weit oben in meiner Wunschliste!

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