Anna Warncke | StudentenPACK.

Nicht nur das Schild vor der Tür ist neu.

Was im ersten Moment vielleicht nach einem Freizeitverein für ambitionierte Heimwerker klingen mag, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als umfangreiche, praxisorientierte Institution für die angehenden Mediziner der Uni zu Lübeck.

TÜFTL steht nämlich für „Trainings- und Übungszentrum für ärztliche Fertigkeiten und Techniken Lübeck“ und soll Medizinstudenten frühzeitig an die praktischen Tätigkeiten, die später im Beruf aufwarten, heranführen.

Am 27.10.2010 wurde hierzu das „Lübecker Skills Lab“ in Haus 23a eingeweiht, das seit diesem Wintersemester im Semester montags bis donnerstags von 9 bis 19 Uhr und freitags von 9 bis 15 Uhr die Türen für Euch öffnet.

Ins Leben gerufen wurde TÜFTL von Privatdozent Dr. med. Gunther Weitz, der auch weiterhin als ärztlicher Leiter von TÜFTL fungieren wird.

Das StudentenPACK hatte die Möglichkeit, Herrn Dr. med. Weitz persönlich zu dem Thema zu befragen.

Herr Dr. Weitz, wie kam es zur Entstehung von TÜFTL?

TÜFTL orientiert sich an den sogenannten Skills Labs, die an anderen deutschen Fakultäten schon länger existieren. Im Januar 2009 war ich in Tübingen, wo es ein sehr großes Skills Lab gibt. Der Leiter dieses Skills Labs, PD Dr. Peter Weyrich, hielt dort zu diesem Thema einen Vortrag, den ich sehr überzeugend fand. Ich dachte mir: „Das ist genau das, was wir in Lübeck brauchen!“ Zurück in Lübeck, habe ich sofort den Studiengangsleiter Prof. Jürgen Westermann aufgesucht und ihm meine Idee unterbreitet. Er war sofort einverstanden, wobei er – wie sich später fand – eher an einen Zeitrahmen von mehreren Jahre dachte. Ideen für ein ähnliches Projekt bestanden bereits in der Fachschaft, wovon ich allerdings erst später erfuhr, als wir mit der Umsetzung meines Konzepts schon relativ weit waren. Außerdem fand ich diese Pläne noch nicht sehr ausgereift und sie wären aus meiner Sicht nicht ernsthaft in Frage gekommen.

Die Anfangsfinanzierung des Skills-Trainings war aus Mitteln des Hochschulpaktes möglich, aus dem wir ca. 20.000 € Startkapital erfolgreich beantragten – allein 9.000 € davon für ein Sonographie-Gerät und 4.000 € für ein Arterienmodell. Der Rest entfiel auf weitere Modelle, die Entlohnung der Tutoren, Verbrauchsmaterialien und so weiter.

Der großen Initiative der Studenten ist es zu verdanken, dass das Skillstraining zumindest für die Innere Medizin als STIM (= Skills Training Innere Medizin) bereits zum Wintersemester 2009/10 anfangen konnte.

Prof. Westermann unterstützte dies, indem er uns dafür ein provisorisches Domizil im Transitorium zuwies. Wir konnten dann erst einmal mit zehn Übungsstationen anfangen.

Wer hat dabei mitgewirkt, TÜTFL zu realisiseren?

An erster Stelle sind hier die Tutoren zu nennen, die mit extrem großem Engagement zur Umsetzung des TÜFTL-Konzepts beigetragen haben. Die allererste Tutorin, Margot Thermann, lernte ich zufälligerweise im Frühjahr 2009 als Famulantin auf meiner Station kennen. Sie war sofort begeistert von meiner Idee, hat die erste Organisation der Tutoren übernommen und die erste Umfrage durchgeführt, was nach Meinung der Studenten in das Skills Lab gehören sollte. Wir hatten zu Beginn 32 Skills und sie hat diese Liste unter den Studenten verteilt. Die Skills, die dort am häufigsten angekreuzt wurden, sind heute im Skills Lab verwirklicht.

Das Studiendekanat hat vor allem in Bezug auf die Räumlichkeiten einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Herr. Prof. Fellermann  (Bereichsleiter der Gatsroenterologie) sowie Prof. Dr. med. Lehnert (Chef der Medizinischen Klinik I) haben mir zudem die nötigen Freiräume ermöglicht, mich mit dem Thema TÜFTL intensiv zu beschäftigen – ohne diese Hilfe und Zustimmung hätte ich dieses Projekt sonst niemals in Angriff genommen.

Im laufenden Betrieb hat Sarah Sandrock dann die Organisation der Tutoren übernommen.

Sebastian Sosnowski ist vor allem für den handwerklichen Bereich zuständig und Christoph Twesten, der auch die Homepage www.tueftl.de eingerichtet hat, macht den ganzen Computerkram und spielt bei TÜFTL jetzt die führende Rolle.

Eine andere Tutorin, Julia Hoppmann, hat es eher von der kritisch-wissenschaftlichen Seite beleuchtet, indem Sie mit einem Team recherchiert hat: „Welches Skills Lab macht was? Wie ist der Bedarf? Wie sind Skills Labs in Deutschland und im Ausland organisiert?“ Sie hat außerdem noch eine größere Umfrage unter den PJ-lern und Absolvent/Innen mit den Schwerpunkten „Was fehlt Euch, was hättet Ihr gerne gelernt? Wo sind die Defizite?“ gemacht. Diese Liste werten wir gerade aus und arbeiten sie nach und nach ab.

Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie sich bei der Umsetzung des TÜFTL-Konzepts konfrontiert gesehen?

Zunächst einmal hatten wir  ein „Raumproblem“. Wohin nur mit TÜFTL? Nachteil am ersten Quartier im Transitorium war leider, dass wir die Puppen und Modelle jede Woche einmal auf- und abbauen mussten. Es war deshalb Glück für uns, als das Institut für Neuroendokrinologie aus dem Haus 23a auszog und Herr Prof. Westermann uns diese Räume sicherte. Im ehemaligen Chefbüro von Herrn Prof. Born wird heute zum Bespiel das Nadelstechen geübt.

Ein weiteres Problem war auch die grundsätzliche Finanzierung. TÜFTL war kein Projekt, das von Anfang an willkommen war, sondern ein Projekt, das man mit viel Kraft durchsetzen musste und das bist jetzt noch keine gesicherte Finanzierung hat. Wir haben also keinen Etat. Wenn das aus Anträgen eingeworbene Geld ausgeht, kann es durchaus passieren, dass das TÜFTL wieder geschlossen werden muss.

Außerdem wird TÜFTL noch nicht von allen als interdisziplinäres Projekt gesehen. Es gibt leider immer noch einige, die denken, dass dies ein Solo-Projekt der Medizinischen Klinik I sei, von dem sie selbst nichts hätten. Das gefährdet natürlich auch die Finanzierung.

Dabei ist TÜFTL durchaus als Low-Budget-Projekt zu bezeichnen: Wenn ich mich mit Leitern anderer Skills Labs unterhalte, denken die jedes Mal, ich hätte eine Null vergessen, wenn ich erzähle, dass wir mit Summen von 20.000 € auskommen.

Das dritte Problem ist, was ich eigentlich sehr schade finde, das „Neidproblem“: In dem Moment, wo etwas funktioniert, kommen dann einige, die sich vorher betont zurückgehalten haben, an und wollen entweder selbst ihren Namen ganz oben sehen oder beschweren sich, dass sie nicht stärker involviert wurden. Das ist aus meiner Sicht ein ganz kritischer Punkt, denn ich persönlich fände es sehr schön, wenn nicht gefragt wird, was man dabei für eine Rolle spielt, sondern was man tun kann, damit die Studenten das lernen, was sie lernen sollten.

Wer arbeitet bei TÜFTL mit?

Das sind hauptsächlich die Tutoren, die zum großen Teil aus dem siebten Semester kommen, die Truppe der ersten Generation ist schon überwiegend ins PJ gegangen, einige aus dem zehnten Semester sind aber noch dabei.

Dann gibt es noch unsere Sekretärin Frau Schneeberg, die seit diesem Wintersemester im TÜFTL tätig ist.

Außerdem wären noch unsere Chirurgen zu nennen, die sich soweit wie möglich engagieren. Das wären PD Dr. Philipp Hildebrandt, der Lehrkoordinator der Allgmeinchirurgie, Dr. Andreas Schmidt, ebenfalls bei den Allgemeinchirurgen, und Dr. Ludger Tüshaus aus der Kinderchirurgie.

Das ist aufgrund der Arbeitssituation bei den Chirurgen nicht ganz einfach. Doch nur sie können wichtige Sachen vermitteln, die die Studenten können müssen, wie z.B. das Nähen, und das erledigen sie, so gut sie können. Den Rest mache ich zusammen mit Herrn Twesten, damit es funktioniert – das ist kein Problem.

Ich selbst kümmere mich auch um die Schulung der Tutoren und passe auf, dass alles in geregelten Bahnen verläuft.

Was sind die Ziele von TÜFTL?

Der wichtigste Punkt an so einem Skills Lab ist eigentlich, dass die Studenten ihre Angst verlieren, etwas nicht zu können, von dem sie glauben, es können zu müssen. Das Training im TÜFTL soll ihnen diesen Druck nehmen und ihnen zu mehr Selbstbewusstsein und einem sicheren Auftreten in den klinischen Praktika verhelfen.

Außerdem war es uns von vornherein ganz wichtig, dass wir nicht in die Kataloge schauen, welche Modelle es gibt, was wir uns leisten können, was ganz nett und niedlich aussieht, um diese dann zu kaufen. Der Ansatzpunkt war von Beginn an, sich zu überlegen, was wichtig ist, was die Studenten tatsächlich können und lernen sollen. Dafür haben wir uns an der Umfrage von Margot Thermann orientiert und zehn Punkte zusammengesammelt.

Einige davon waren schwierig zu verwirklichen, da es dafür keine geeigneten Modelle gibt. Womit wir vor der komplizierten Frage standen, wie wir das in ein Modell umgesetzt bekommen. Und dann haben wir uns einfach hingesetzt und die Modelle selbst gebastelt.

Zum Beispiel das Pleurapunktionsmodell:

Es gibt bisher kein vernünftiges Modell, mit dem man Pleurapunktionen üben kann. Wir haben uns dann Fenstertücher genommen, ein bisschen Schaumstoff und ein paar Fußleisten als Rippen, diese so zusammengebunden, dass es sich echt anfühlt. Dazu kam noch ein Spritzenmodell, mit dem wir die Lokalanästhesie realistisch simulieren können.

Wir wollen, dass die Studenten ganz bestimmte Handlungsabläufe lernen und lassen nicht locker, bis wir herausgefunden haben, wie das funktioniert.

Die Studenten wollten gerne die arterielle Punktion üben – was ich persönlich nicht  so wichtig finde. Das muss man nicht lernen, weil man es sehr selten macht. Aber die Studenten wollten das gerne lernen und deshalb haben wir ein Modell angeschafft, mit dem sie das lernen können.

Wir können uns aber nicht auf den Punkt zurückziehen, wo wir sagen, dass wir hier nur eine Berufsausbildung machen. Ein Arzt muss auch immer eine wissenschaftliche Befähigung haben: Er muss neugierig sein, Neues zulassen, Neuem auch mit wissenschaftlicher Kritik begegnen. Diese wissenschaftliche Befähigung ist für den Arzt etwas enorm Wichtiges, gerade, wenn er allein arbeitet, also kein Korrektiv hat. Und das bleibt auch der Hauptsinn des Studiums. Das wieder in den Fokus zu rücken, den Druck wegzunehmen, dass die Studenten denken „Ich muss ausgebildet werden“, hin zu dem Punkt „Ausbildung habe ich – mich interessiert jetzt wirklich, wie es funktioniert“. Das ist das, was mir am Herzen liegt.

Wie genau läuft die Integration von TÜFTL in den medizinischen Lehrplan?

TÜFTL orientiert noch sich sehr stark am bestehenden Curriculum. Am stärksten ist die Fixierung aufs vierte Studienjahr, hier vor allem das internistische Blockpraktikum. Naht- oder Verbandskurse finden im chirurgischen Blockpraktikum statt, die Kommunikationskurse gliedern sich zurzeit hauptsächlich an den Untersuchungskurs im dritten Studienjahr.

Anna Warncke | StudentenPACK.

Knoten machen will gelernt sein.

Welche Semester können von TÜFTL profitieren?

Alle, die die praktischen Kurse durchlaufen haben und üben möchten. Das heißt, alle, die die Einweisung erhalten und die OSCE-Prüfung absolviert haben. [Anm. der Redaktion: OSCE = Objective Structure Clinical Examination]

Wie genau läuft so ein Training ab?

Im klassischen STIM kommen jede Woche elf neue Praktikanten zu uns. Diese werden in drei Gruppen aufgeteilt und einem Tutor zugeordnet. Dann beschäftigen sich eine Stunde lang mit den Modellen in jeweils einem Raum und danach wechseln die Gruppen. Sobald die Studenten diese Einweisung absolviert haben, können sie jederzeit nach Belieben zum Üben ins Skills Lab kommen.

Die chirurgischen Kurse, wie zum Beispiel der Nahtkurs, sind noch keine Pflichtkurse im eigentlichen Sinn, deshalb ist die Beteiligung von studentischer Seite dort leider spärlicher.

Wie wurde TÜFTL Ihrer Meinung nach bisher von den Studenten aufgenommen?

TÜFTL hat einen enormen Effekt verursacht, der vor allem in den Blockpraktika zu erkennen ist: Vor zwei Jahren war es so, dass die Leute auf Station kamen, wie bestellt und nicht abgeholt in der Ecke standen, dann vielleicht noch den Klinikleitfaden oder den Herold gelesen haben und ab und zu mal zu irgendetwas geschickt wurden.

Und jetzt sind diese Studenten plötzlich trainiert und haben zumindest das Gefühl: „Ey! Alles, was Ihr könnt, kann ich auch!“ Das muss natürlich nicht immer so sein, aber sie haben das Gefühl! Und auf einmal stehen, sie neben dem Visitenwagen, reden mit dem Arzt, machen sich Gedanken zum Patienten – sie interessieren sich! Sie sind motiviert und aktiviert! Und das ist der Punkt, den das Skills Lab eben hauptsächlich erreicht.
Am stärksten ist die Nachhaltigkeit mit Sicherheit bei den Tutoren, die wirklich mit Feuereifer und großer Eigeninitiative dabei sind.

Bei den anderen Studenten verhält es sich leider noch etwas anders: Interessanterweise kommen sie nur dann besonders häufig zum freiwilligen Üben, wenn  wieder eine OSCE-Prüfung ansteht, sie also einen Druck spüren. Es fehlt das konstante Interesse.

Dennoch ist eindeutig zu beobachten, dass der Effekt der Lehre insgesamt besser wird. Das erkennen wir anhand des steigenden Leistungsniveaus bei den PJ-lern und im Staatsexamen.

Wie wird es  mit TÜFTL weitergehen?

Das hängt davon ab, wie TÜFTL angenommen wird. Sofern noch Interesse und Geld da ist, werden wir weitermachen.
TÜFTL wird immer nur das machen, was die Studenten wollen – es orientiert sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Studenten.

Falls es weiter so läuft wie bisher, wären natürlich ein eigenes Haus oder ein dreiphasiges Training weitere Ausbaumaßnahmen.
Drei-Phasentraining heißt: Im Skills Lab werden Studenten der Studienjahre 1, 3 und 5 auf folgende praktische Inhalte vorbereitet:
1. Studienjahr: Was brauche ich für mein Pflegepraktikum?
3. Studienjahr: Was brauche ich für meine Famulaturen?
5. Studienjahr: Was brauche ich für das PJ bzw. den Beruf?

Wenn Sie noch einmal die Chance hätten, von vorn anzufangen: Was würden Sie bei TÜFTL anders machen?

Peter Weyrich, dessen Vortrag in Tübingen mich zu TÜFTL inspirierte und der das wirklich auf sehr hohem Niveau in Tübingen leitet, sagte zu mir: „Den Aufbau eines Skills Lab darf man nicht anfangen, wenn man auf die Uhr guckt.“

Würde ich es noch mal machen? Ja. Ich glaube schon.

Irgendwie macht es auch Spaß, vor allem die Arbeit mit den motivierten Studenten, die Lust dazu haben und Eigeninitiative entwickeln – das ist das Schönste dabei.

Was würde ich anders machen? Ich glaube, ich würde früher versuchen, die anderen Kliniken mit einzubeziehen und auch die Fachschaft. Was die Sache dann natürlich anstrengender macht, aber letztendlich eine breitere Akzeptanz schafft. Vielleicht hätte man von Anfang an weniger Widerstände gehabt, wenn man sie von vornherein mit ins Boot geholt und gesagt hätte: „Kommt, wir diskutieren einmal alles durch.“

Aber ich glaube, man hätte nicht so schnell auf den Punkt kommen können. Und es war ja schon eine recht flotte Aktion von Januar bis Oktober – und dann in einem Jahr bis zur eigenen Institution…!

Und ich glaube, das geht im Durchmarsch, wenn es einer macht, deutlich einfacher. Nur ist die Akzeptanz natürlich nicht so hoch – und der Neidfaktor der anderen Kliniken dagegen um so höher. Dann fragen sich die anderen: „Was macht der da? Ist das jetzt nur Innere? Oder wen betrifft das? Und vor allem: Kriegt der Geld dafür?“

Es wird immer gemunkelt, ich hätte so etwas wie 200.000 € vom Studiendekanat zur Verfügung bekommen. Das ist so ein Gerücht, das sich bei einigen hält. Dass ich das mit 20.000 € verwirklicht habe, registriert keiner.

Diese schlechte Akzeptanz kann man verbessern, wenn man frühzeitig mit den Leuten redet, Konferenzen macht, diskutiert, wenn man einen gemeinsamen Nenner sucht und Kompromisse schließt. Aber ich fürchte fast, dass man damit zu viel Kraft verbraucht und am Ende nicht viel dabei herauskommt.

Möchten Sie noch etwas anmerken?

TÜFTL ist ein Werkzeug  – und nicht mehr als ein Werkzeug. Es richtet sie ganz nach dem Wunsch der Studenten.
Wenn es eine andere Lehr-Methode geben sollte, ist das auch okay – man braucht nicht unbedingt TÜFTL, sondern es gibt viele verschiedene Methoden, Arzt zu werden.

Herr Weitz, herzlichen Dank für das Gespräch.

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