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Ist eine Zweiteilung, wie beim Internet mit „Überholspur“ noch neutral?

Im frühen ARPA-Net, dem Vorgänger des Internets, gab es eine einfache Handhabung von Daten: Alle Daten werden gleich behandelt und nach bestem Können weitergesandt. Ist also auf dem Wege ein Router (etwa vergleichbar mit einer Postsortierstation) stark ausgelastet, arbeitet er so schnell er kann. Dabei wird die Infrastruktur so ausgelegt, dass sie mit dem normalen Datenaufkommen zurechtkommt. Wichtig ist dabei, dass alle Datenpakete gleich behandelt werden. Diese Maxime hat sich relativ lange gehalten. Sie heißt Netzneutralität. Das Netz verhält sich allen Daten gegenüber neutral. Die Anbieter von Internetanschlüssen (Internet Service Provider, kurz ISP) handeln untereinander aus, auf welchen Wegen und wie viel Kapazität sie dem anderen zum Austausch oder zum Durchleiten von Daten bereitstellen. So entsteht ein großes Netz aus verschiedenen Netzen, die jedoch alle nach der ursprünglichen Maxime Daten weitersenden.

Mit der Zeit, also etwa seit dem Jahr 2000, tauchen mehr und mehr Dienste auf, die neue Anforderungen an das Netz stellen: Bis dahin war wichtig, dass Daten in der richtigen Reihenfolge und unverfälscht ankommen, etwa beim Empfang, dem Versand einer E-Mail oder beim Surfen im World Wide Web. Eine Verzögerung ist dabei kaum wichtig. In vielen neuen Diensten, wie Telefonieren, Videokonferenz oder Spielen übers Internet, ist die Zeit jedoch der viel wichtigere Faktor. Geht während eines Telefonates ein Datenpaket verloren, knackt es in der Leitung, benötigen die Pakete jedoch zwei Sekunden, ist ein Gespräch unmöglich. Abgesehen von dieser Anforderung ist auch die Veränderung der Laufzeit von Paketen – das sogenannte Jitter – wichtig. All diese Anforderungen fasst man auch unter dem Begriff „Quality of Service“ – kurz QoS – zusammen. Eine QoS-Garantie gibt es im Internet nicht.

Netzneutralität ist Gleichbehandlung aller Daten

Die Gleichbehandlung von Daten ist vergleichbar mit einer Autobahn: Im Allgemeinen kann man dort so schnell fahren, wie das eigene Auto es zulässt, wenn man mal von Geschwindigkeitsbegrenzungen absieht, die ja aber auch für alle gelten. Ist gerade Ferienbeginn, kann es mal zu Stau kommen. Auch hier wird niemand bevorzugt behandelt und es gibt keine Qualitätsgarantie. Es ist aber auch der Garant dafür, dass sich neue Ideen verbreiten können: Nur dadurch, dass alle Daten gleich verbreitet werden, kann eine neue Suchmaschine in Konkurrenz zu einer anderen treten, so geschehen etwa 1998 mit dem Beginn von Google oder im Aufkommen neuer Seiten im Internet. Ginge ein Betreiber einen Vertrag mit einer Suchmaschine ein, nur noch diese auszuliefern, wäre nicht nur die Gleichbehandlung arg verletzt, sondern auch die Informations- und Meinungsfreiheit.

Beschäftigt man nun zuhause seinen Computer mit mehreren Dingen gleichzeitig, kann man für seine eigene Leitung Präferenzen setzen: Während man Telefoniert, pausiert man eben den Download der neusten Linux-Distribution, oder drosselt ihn zumindest so weit, dass er das Telefonat nicht behindert. Doch inzwischen fordern einige ISPs, das Prinzip der Netzneutralität abzuschaffen, um verschiedene Qualitätsdienste realisieren zu können. Als Beispiel werden dann kritische Anwendungen genannt, wie etwa Telemedizin, also aus der Ferne von einem Arzt getätigte Operationen oder Telefonate. Dazu fordern diese, dass die Router im Internet die Möglichkeit erhalten sollen, bestimmte Pakete bevorzugt zu behandeln und dafür andere zu verzögern oder eventuell ganz zu verwerfen. Kritiker werfen den ISPs hingegen vor, mit einem Ausbau der Infrastruktur ist dies ebenso möglich, und fordern genau diesen anstelle eines Mangelmanagements.

Briefgeheimnis auch für Datenpakete

Eine Regelung der Datenströme hat einen wesentlichen Nachteil: Um zu entscheiden, ob ein Datenpaket zu einem Dienst (etwa der Telemedizin oder doch zu einem Youtube-Video) gehört, ist es nötig, die Datenpakete genauer zu betrachten. Üblicherweise wird von einem Datenpaket lediglich der erste Teil des Empfängers gelesen, der zum Weiterleiten notwendig ist. Der Inhalt des Pakets ist – analog zum Briefgeheimnis oder bei Postpaketen – tabu. Das genauere Betrachten des Pakets – im Fachjargon Deep Packet Inspection (kurz: DPI) genannt – kann im positiven Fall in der Tat dazu genutzt werden, eine E-Mail ein klein wenig zu verzögern und der Telemedizin ihren Vorrang zu lassen. Jedoch bietet diese Technik sofort den Nachteil, dass Benutzerprofile angelegt werden können: Wer spricht wann wie oft mit wem, wer ruft von wo welche Seiten auf und wie oft nutzt jemand eigentlich Internettelefonie eines anderen Anbieters als die seines ISP? All dies hebt nicht nur die Netzneutralität, sondern auch die Privatsphäre auf. Zusätzlich wird es schwierig sein, hier Transparenz zu erzeugen, also zu erfahren, welcher Anbieter wann und wo welche Dienste bevorzugt oder benachteiligt.

Doch auch im Internet selbst sind die Meinungen zur Netzneutralität gespalten: Ein denkbares Modell ist, jedem Benutzer in den zwei Datenklassen „wenig Verzögerung“ und „viele Daten“ Kontingente zur Verfügung zu stellen, und dann diejenigen mit wenig Verzögerung schneller zu behandeln, um eben Dinge wie Telefonate zu ermöglichen. Die Masse an Daten, wie der letzte Urlaubsfilm, bleiben in der zweiten Klasse, denn dort ist die Zeit nicht so kritisch. Vergleichbar ist dieses Modell mit normalen Paketen und den teureren Expresspaketen bei der Post. Technisch gibt es zwar die Möglichkeit, den Datenpaketen eine solche Kennzeichnung mitzugeben, dass dies auch berücksichtigt wird, ist jedoch schwierig durchzusetzen und noch schwieriger zu kontrollieren. Diese „Überholspur für eilige Daten“ ist spätestens über verschiedene ISPs nicht realisierbar.

Kein Datenpaket ist illegal

Daher fordern viele eine Selbstverpflichtung der ISPs zur Investition in den Ausbau der Infrastruktur, etwa zu mehr Glasfaser-Anschlüssen und die Festlegung eines Grundsatzes für das Internet. In den USA hat die FCC, vergleichbar mit der Bundesnetzagentur und somit zuständig für die Regelung von Kommunikationswegen, ein Papier ausgearbeitet, das die Netzneutralität fordert, jedoch mit der kleinen Hintertür, dass dies nur für legale Daten gelte. Eine Einschätzung, welche Daten nicht legal sind, ist jedoch schwierig, da ein einzelnes Datenpaket keinen Rückschluss auf etwa das Video gibt, zu dem es gehören könnte.

Was passiert, wenn Netzneutralität nicht gegeben ist, kann man momentan auf dem Markt der Mobiltelefone sehen: Dort werden bestimmte Dienste blockiert, aus dem einfachen Grund, weil sie in Konkurrenz zum eigentlichen Telefonieren stehen. Beispielsweise ist Voice-over-IP (Internettelefonie) auf einem internetfähigen Mobiltelefon nicht unbedingt nutzbar. Der Grund liegt darin, dass, betrachtet man die Kosten pro Daten, die SMS das teuerste, dann Mobiltelefonate und schließlich die Internetnutzung folgt. Somit stellt VoIP eine günstige Alternative dar, die der ISP nur deswegen zu verhindern versucht, da er selbst mit dem Angebot von Mobilfunktelefonaten dazu in Konkurrenz steht. Außerdem wird bei vielen mobilen Internetangeboten nach einem bestimmten Datenvolumen die Bandbreite reduziert und es wird versucht, eine Nutzung des mobilen Internets durch einen Computer, das sogenannte Tethering, zu verbieten und zu unterbinden. All dies widerspricht der Gleichbehandlung von Daten und schränkt damit den (hier mobilen) Internetnutzer stark ein. An diesem Beispiel sieht man deutlich, dass die Gleichbehandlung wichtig ist, um einen freien Zugang zum Internet zu haben.

Netzneutralität – eine Herausforderung

Neben der Privatsphäre ist die Aufrechterhaltung der Netzneutralität also auch für die Informations- und Meinungsfreiheit von großer Bedeutung. Noch fehlt es jedoch an einer allgemeinen, zum heutigen Internet passenden Definition: Während einige fordern, dass eine Drosselung von Daten nur vom Benutzer selbst geschehen darf, sehen andere die Transparenz, was gedrosselt wird und wie stark, als wichtig an. Einig sind sich jedoch alle, dass Techniken, wie DPI absolut tabu sind und ein Recht auf Datenpaketgeheimnis notwendig ist. Auch wenn es schon einige Ideen zur Handhabung der unterschiedlichen Arten von Datenströmen im Internet gibt, noch beruht – bis auf im mobilen Internet – das Internet auf dem Prinzip der Gleichbehandlung und es bleibt eine große Herausforderung, diese zu erhalten. Dazu ist die Einigung auf Kernpunkte der Netzneutralität notwendig und eine Selbstverpflichtung aller an der Infrastruktur Beteiligten, diese Kernpunkte einzuhalten.

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