Eine 
sehr nahe Verwandte stirbt, es wird der Hirntod festgestellt. Das heißt, ihre Hirnfunktionen sind für immer erloschen. Der Körper und die Organe werden künstlich, dank moderner medizinischer Technik wie z.B. durch eine künstliche Beatmung, funktionstüchtig erhalten. Die Ärzte wollen nun wissen, wie die Verstorbene zur Organspende stand.

Nie darüber geredet, nie darüber nachgedacht und jetzt, innerhalb kurzer Zeit, in dieser schrecklichen Situation muss ein Entschluss gefasst werden. Eine Entscheidung, die sich um die Würde nach dem Tod und um das Leben eines anderen Menschen dreht.

Organspende und Organtransplantation gehen uns alle an. Dieses wird klar, wenn man sich die Zahlen zur Organtransplantationen in Deutschland 2009 anschaut. 7.652 Menschen befinden sich auf einer Warteliste. In 40 deutschen Transplantationszentren wurden 4.050 Transplantationen (ohne Lebendspenden) ausgeführt. In 38 Zentren wurden darüber hinaus 600 Nieren von lebenden Spendern übertragen.

Im Zusammenhang mit Organspenden besteht eine allgemeine Unsicherheit. Es stellen sich viele Fragen wie z.B.: Welche Entscheidungen darf ich als Angehöriger fällen? Wie wird der Tod überhaupt und zweifelsfrei festgestellt? Wie wird eine Organspende durchgeführt? Wie werden die Organe verteilt? Wie gehen Angehörige von Spendern und wie Empfänger mit diesem Thema um? Spielen wir uns nicht wie Gott auf, indem wir über das Leben eines anderen entscheiden?

Am Ende steht jedoch die Kernfrage, wie geht man mit dem Tod um, was möchte man für sich selber und was weiß man über seine nächsten Verwandten? 
vom Studentenpack haben uns schon länger mit derartigen Fragen beschäftigt und wollen in dieser Ausgabe das Thema Organspende und Organtransplantation, auch hier am UKSH Lübeck, näher beleuchten. In diesem Zusammenhang möchten wir uns ganz herzlich bei Herrn Dr. med. Martin Nitschke bedanken, der auf der Transplantationsstation als Oberarzt arbeitet und uns geduldig und umfangreich über das Thema informiert hat.

Inga Stolz | StudentenPACK.

Dr. med. Martin Nitschke

Wer kann spenden?

Bei der Organspende unterscheidet man zwischen Lebend- und Totspende.

Hat ein Patient einen irreversiblen Hirnschaden erlitten und Hirnfunktionen sind weder mit EEG noch durch andere Untersuchungen in den unterschiedlichen Hirnarealen nachweisbar, spricht man vom Hirntod. Hat ein Krankenhaus nun die entsprechende Ausrüstung, wie z.B. moderne Beatmungsgeräte, ferner Ärzte mit der nötigen Fachkenntnis sowie hinreichende Kapazität, können dort die übrigen Körperorgane für gewisse Zeit „am Leben gehalten“ sprich funktionstüchtig erhalten und der Organspende zur Verfügung gestellt werden. Dieses ist recht selten der Fall, denn in den meisten Sterbefällen tritt der Tod durch ein Herzstillstand ein. Das Herz-Kreislauf-System ist dann so gestört, dass es nicht künstlich aufrecht erhalten werden kann.

Zunächst muss der Tod eines Spenders von zwei unabhängigen Ärzten oder Ärztinnen festgestellt werden.

Daraufhin wird die DSO informiert, die Koordinierungsstelle der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die sich sofort um das Gespräch mit den Angehörigen kümmern und die Organspende an sich organisieren. Das heißt die notwendigen Laboruntersuchungen veranlassen, die Meldung an Eurotransplant absetzen und schließlich die Organentnahme beauftragen.

Die DSO arbeitet streng getrennt von der Abteilung Organtransplantation.

So auch am UKSH Lübeck. Dr. Nitschke erklärt: „Wird der Hirntod eines Patienten hier auf der Intensivstation festgestellt und ist er ein potentieller Spender, wird zunächst der Transplantationsbeauftragte informiert und somit die DSO. Diese klären den Willen des Verstorbenen zur Organspende durch einen Ausweis oder seine Angehörigen.

Wo die Organe am Ende landen, liegt allein an der Warteliste und an der physiologischen Übereinstimmung zwischen Spender und Empfänger. Die örtliche Nähe spielt dabei keine Rolle, so wird Befangenheit der Ärzte und Eigennutz verhindert.“

Die Organtransplantation und somit die Warteliste in Deutschland wird über den Länderbund Eurotransplant organisiert. Zu den Mitgliedsländern gehören Deutschland, Österreich, Benelux, Slowenien und Kroatien. Aus diesen Ländern können Empfänger in Deutschland Spenderorgane erhalten und andersherum können Organe von hier in diese Länder gespendet werden.

Bekommt Eurotransplant von der DSO eine potentielle Organspende gemeldet, ermittelt es auf der Warteliste die Empfänger und benachrichtigt die Transplantationszentren.

Die Warteliste wird nach einem Punktesystem sortiert, hier zählen vier Richtlinien der Bundesärztekammer und neben der Übereinstimmung der Gewebemerkmale auch die Dringlichkeit und die Erfolgsaussicht. Ärzte haben hierauf keinen Einfluss, die Wartezeit kann weder durch Geld und Beziehungen noch durch Drohung bis hin zu Gewalt verkürzt werden.

Deutschland

In Deutschland ist im Transplantationsgesetz das so genannte Modell der erweiterten Zustimmungslösung verankert. Das heißt, falls der potentielle Spender sich zu Lebzeiten nicht zur Organspende geäußert hat, können nach dessen Tod die Angehörigen darüber entscheiden.

Zur Zeit werden in Deutschland Herz, Lunge, Hornhaut der Augen, Leber, Dünndarm und Bauchspeicheldrüse transplantiert, allen voran jedoch die Niere, die jede dritte Transplantation betrifft.

Die Niere ist im Vergleich zu den anderen Organen nicht so kompliziert zu transplantieren, auch hat jeder Mensch bekanntlich zwei davon, so dass diese in vielen Fällen als Lebendspende durchgeführt wird.

Lebendspenden dürfen in Deutschland nur durch die nächsten Verwandten eines Patienten erfolgen, um so von vornherein einen möglichen illegalen Organhandel zu unterdrücken. „Um Auszuschließen, dass jemand zum Spenden gezwungen wird, müssen Empfänger und Spender vor der Transplantation Gespräche mit Psychologen führen, die ihrerseits hierüber ein Gutachten zu erstellen haben. Es soll verhindern, dass zum Beispiel Kinder mit dem Spruch ‘sonst wirst du enterbt’ unter Druck gesetzt und gegen ihren Willen zur Spende gezwungen werden.“, so Nitschke.

In den europäischen Ländern gelten z.T. unterschiedliche Gesetze zur Regelung von Organtransplantation und Organentnahme.
In Österreich zum Beispiel gilt die so genannte Widerspruchslösung. Das heißt, erleidet man in Österreich, auch als Ausländer (z.B. Urlauber), einen Hirntod und hat keine klare Aussage über die Organspende geäußert, können einem nach dem Gesetzt die Organe entnommen werden.

Gerüchte

Geschichten und Gerüchte im Zusammenhang mit Organspenden wie, zum Beispiel, dass Menschen nicht mehr ordnungsgemäß behandelt werden und deren Hirntod abgewartet wird, weil sie potentielle Spender sind, oder, dass Menschen „ausgeschlachtet“ werden, obwohl sie noch leben bis hin zu dem Gerücht, dass man nach durchzechter Nacht morgens vor irgendeinem Supermarkt mit einer großen Narbe aufwacht, findet Nitschke „sind absoluter Quatsch“. Die Diagnose „Hirntod“ ist mit die sicherste im Bereich der Medizin und absolut standardisiert. Der „reine“ Hirntod bei voll funktionierendem Organsystem, insbesondere Herz-Kreislauf, ist zudem sehr selten. Von 54.000 stationären Patienten im letzten Jahr am UKSH Lübeck wurde diese Diagnose nur bei 16 Patienten festgestellt. „Es ist vielmehr so, dass bei Vorliegen von leisesten Zweifeln an einem Hirntod die Finger von der Organspende gelassen werden. Auch wenn zum Beispiel der Tote einer Organspende zugestimmt hat, aber die nächsten Verwandten es nicht wollen, wird hier am UKSH von einer Organspende abgesehen. Auch denke ich zum Thema Österreich, das Ärzte nicht unbedingt die Organe eines Urlaubers entnehmen würden, wenn von Angehörigen ein Widerspruch vorliegt, mir ist auch diesbezüglich kein einziger Fall bekannt, dass einem deutschen Staatsangehörigen jemals im europäischen Ausland aufgrund einer divergierenden Rechtsprechung gegen seinen Willen nach dem Tod ein Organ entnommen wurde.“ Es ist ein heikles Thema, welches großen Fingerspitzengefühls bedarf und das offensichtlich nicht leichtfertig in den Krankenhäusern behandelt wird. Die Würde und der Wille des Menschen, auch über seinen Tod hinaus, stehen unanfechtbar im Vordergrund.

Quantensprünge

Tragisch ist auch, wenn Spender da sind, wie z.B. Ehepartner oder enge Freunde, die Transplantation aber an der Blutgruppenunverträglichkeit von Spender und Empfänger scheitert. In Deutschland findet man am häufigsten die Situation an, dass die Blutgruppe A+ auf die Blutgruppe 0+ trifft. Früher bedeutete dieses, das „Aus“ für die Transplantation. „Nur einmal konnten wir zwei Ehepaare finden, bei dem wir ein so genanntes „Cross-over“ durchführen konnten. Allerdings lagen dabei die größten Schwierigkeiten in der Gesetzgebung, die es zu überwinden galt,“ erzählt Nitschke.

Im Jahre 2004 verbesserten sich die Transplantationsmöglichkeiten schlagartig. Nitschke selbst spricht von einer „Revolution“ in der Nierentransplantation. Durch eine aufwendige Blutwäsche (“Immunadsorption”), die technisch ähnlich wie eine herkömmliche Dialyse abläuft, und Medikamenteneinnahme können seither im Empfänger jegliche Antikörper gegenüber der anderen Blutgruppe entfernt werden. Man spricht von der ABO-inkompatiblen Nierentransplantation. In Lübeck wurde seit 2007 bei sieben Patienten dieses Verfahren angewandt, die 8. Transplantation auf diese Art folgt im Juni. „Ganz so einfach ist das Verfahren jedoch nicht, der Empfänger muss bestimmte Eigenschaften mit sich bringen, wie eine prozentual geringe Antikörperdichte im Körper und eine gewisse physische Stabilität, um die aufwändige und in den Körper massiv eingreifende Behandlung gut zu verkraften.“ Auch muss man die Lebendspende vor dem Hintergrund betrachten, dass man mit dem Spender einen gesunden Menschen operiert und so dessen Körper einer nachfolgenden Behandlung und Narbenbildung aussetzt.

Am UKSH Lübeck wird seit dreißig Jahren transplantiert, in diesem Jahr wird folglich Jubiläum gefeiert. Und es gibt im Bezug auf die Lebendspende eine Besonderheit: Seit 2001 wird jede Nierenentnahme durch ein laparoskopisches Verfahren (“Schlüsselloch-Technik”) durchgeführt. Dabei wird über kleine Schnitte eine Kamera und Schneidwerkzeug in den Patienten eingeführt und erst am Ende die Niere über einen ca. 6-7 cm langen Schnitt entfernt. Das bedeutet, man hat es nicht mehr mit einer großen offenen Operation mit bis zu 30cm Querschnitt an der Oberkörperseite zu tun, bei der eine entsprechend große Narben zurückbleiben. Dieses Verfahren ist in Lübeck etabliert, das bietet weder Hamburg noch Hannover und auch nicht Kiel.

Lübeck

Das Transplantationszentrum Lübeck bietet einige Vorteile. Es handelt sich um eine kleine Station mit 14 Betten, auf der sich die Patienten Dank der persönlichen und familiären Betreuung wohl fühlen können. Nach der Transplantation erfolgt eine weitere Genesung in der Poliklinik, die an die Transplantationsstation angrenzt. Durch die räumliche Nähe können schnell und effektiv Abstimmungen erfolgen und zusammengearbeitet werden, es gibt keine langen Wege. Anders als in den meisten Transplantationszentren wird die Station vorwiegend von Internisten betreut, die Operationen werden jedoch von den Transplantationschirurgen durchgeführt. Die Internisten können sich sofort um die Medikamenteneinstellung der Patienten kümmern und diese optimieren. Zwar könnte man einen Patienten so hoch mit Immunsuppressern versorgen, die die Organabstoßung als Fremdkörper verhindern sollen , dass der Körper nach der Transplantation überhaupt nicht auf das neue Organ reagiert, jedoch wären dann die Nebenwirkungen auch sehr hoch. Zum Beispiel droht ein erhöhtes Hautkrebsrisiko. Derartige Nebenwirkungen würden den Körper folglich mehr schädigen, als die Abstoßreaktion selbst. „Daher wird die Medikamentenversorgung oft so eingestellt, dass leichte Abwehrreaktionen auftreten können“, so Nitschke, „dieses erträgt der Körper aber insgesamt besser als eine hohe Medikamentendosierung.“
Direkte Forschungsschwerpunkte bei Organtransplantationen, die oft auch Tierexperimente mit sich führen, gibt es in Lübeck nicht. Jedoch werden klinische Studien durchgeführt wie zum Beispiel über Infektionswahrscheinlichkeiten nach der Transplantation oder über Immunsuppression. Nitschke betont, dass die Ultraschalldiagnostik eine immer größere Rolle spielt und damit auch die Verbesserung von Bildgebungsverfahren und deren Auswertung.“

Im Alltagsgeschäft verwaltet Herr Nitschke die Wartelisten, führt weitere Untersuchungen durch bzw. leitet neue Untersuchungen ein. „Oft kommen Patienten mit alten Krankenakten zu uns, da sie schon sieben, acht Jahre auf eine Transplantation warten müssen und so die Untersuchungen auch schon länger zurück liegen.“

Warum Organspende überhaupt?

In Deutschland werden vorwiegend Nierenschäden, Herzfehler oder zerstörte Hornhaut durch Organspenden behoben.

Andere Organtransplantationen sind selten, so werden in Lübeck nur 1-2 mal pro Jahr Patienten mit einer Bauchspeicheldrüse (im Zusammenhang mit einer neuen Niere) versorgt. Hier sind die Ansprüche an die Patienten noch höher. Bauchspeicheldrüsen können nur Patienten erhalten, die von Kindheitstagen an Typ 1 Diabetiker waren. Zur Zeit steht in Lübeck auch keiner auf der Warteliste.

Übrigens: 2 % aller Einwohner Deutschlands sind durch eine schwerwiegende Krankheit von der Organtransplantation direkt betroffen, leiden unter einem erblich bedingten Defekt, einer Stoffwechselerkrankung oder Infektion. Und damit auch die um sie herum lebenden Mitmenschen.
Nitschke: „Eine Organspende hebt die Lebensqualität. Es bedeutet beispielsweise, nicht mehr dreimal in der Woche zur Dialyse ins Krankenhaus gehen zu müssen, eine besondere Diät zu halten und auf Urlaub verzichten zu müssen. Man ist nicht mehr ortsgebunden, ist freier und selbständiger im Alltag.“

Wie?

Die Entscheidung für oder gegen Organspende ist freiwillig und es gibt kein richtig oder falsch. Auch kann sie jederzeit geändert werden. Die Entscheidung sollte jedoch dem Umfeld mitgeteilt werden. Dieses kann entweder über einen Organspenderausweis oder mündlich erfolgen. „Eigentlich, kann man seine Meinung und Unterschrift auch auf ein Klopapierstück schreiben. Hauptsache man macht seinen Willen deutlich“, so Nitschke.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Organspendeausweis

Dass eine Warteliste existiert und dies für manche Patienten bedeutet, lange Jahre warten zu müssen, liegt weniger daran, dass ein in günstigen Umständen eintretender Hirntod sehr selten ist. In den meisten Fällen liegt von dem Toten leider keine Entscheidung vor, und die Versuche, zeitnah mit Angehörigen in Kontakt zu treten, bleiben oft vergeblich.

Das Thema Organspende ist wichtig. Es ist wichtig, darüber zu sprechen und für sich eine Entscheidung zu treffen. Was möchte ich, was meine Eltern und was meine Geschwister? Das Thema zu ignorieren oder als unwichtig in der untersten Schrankschublade verrotten zu lassen, kann traurige Situationen unnötig schwierig machen.

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