… Auserwählte kriegen halt das größte Kuchenstück“. So singt Heinz Rudolph Kunze in seinem Lied „Aller Herren Länder“ und er hat Recht – das fiel mir in meinen sechs Wochen in Burkina Faso, das im Herzen Westafrikas liegt, mehr als einmal auf. Zuerst und am deutlichsten, als ich ein 15-jähriges Dienstmädchen aus einem Dorf mit für mich unaussprechlichen Namen, zwei Stunden Fußmarsch von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt, kennen lernte. Ihren Eltern ging das Geld aus und sie konnte deshalb nur zwei Jahre die Schule besuchen. Seitdem arbeitete sie auf dem Feld und jetzt als Dienstmädchen in Ouagadougou bei der Familie, bei der ich die sechs Wochen wohnen darf. Sie putzt jeden Tag, geht einkaufen auf dem Markt und bereitet das Essen zu. Wenn sie nichts zu tun hat, dann schaut sie am liebsten südamerikanische oder indische Serien mit den schönen Namen wie „Maria“ oder „Annas zwei Gesichter“, in denen es immer höchst dramatisch zugeht; unser „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ ist emotionslos dagegen.

Andrea Kauertz | StudentenPACK.

Centre Hospitalier Universitaire Pédiatrique Charles de Gaulle, Ouagadougou

Heißer Empfang

Begonnen hat mein Aufenthalt Mitte Februar. Direkt als ich aus dem Flugzeug ausstieg, schlug mir die Hitze wie eine Wand entgegen. März und April sind die heißesten Monate in Burkina Faso, wo das Thermometer tagsüber gerne bis auf 45°C klettert. Gut, bei meiner Ankunft um kurz nach 21 Uhr waren es nur noch etwas über 30 Grad, also vergleichsweise angenehm. Nachdem ich mein Gepäck in Empfang genommen hatte, traute ich mich raus und traf zu meiner Überraschung niemanden, der mich abholen wollte. Wie ich später erfuhr, hatte es da ein Missverständnis gegeben: Meine Gastfamilie erwartete mich erst einen Tag später. So kam ich direkt mit den ersten Burkinabé (so nennen sich die Einheimischen) in Kontakt. Sie waren allesamt Taxifahrer und sehr bemüht mich zu überzeugen, dass sie mich gerne überall dorthin fahren würden, wohin ich wollte. Das Problem war nur: Ich hatte nicht einmal eine Adresse. Nach zwei Stunden, einem Telefongespräch und meinem ersten abgelehnten Heiratsantrag kam dann endlich Arsène, um mich abzuholen. Er hatte in seiner Studentenzeit eine kleine Organisation gegründet, die Frauen in Burkina Faso hauptsächlich über Malaria, aber auch über HIV/AIDS aufklärt und einige dazu ausbildet, ihrerseits wieder andere Frauen aufzuklären. 2005 traf er eine deutsche Medizinstudentin, die ihm vorschlug, eine Kooperation mit dem bvmd (Bundesvertretung der Medizinstudenten in Deutschland e.V.) einzugehen und so deutschen Studenten die Möglichkeit zu geben, Burkina Faso, „Action vie pour tous“ (so heißt die Organisation) und den Krankenhausalltag vor Ort näher kennen zu lernen. Leider fanden während meines Aufenthalts keine Aufklärungsaktionen statt, weil die Mitglieder von „Action vie pour tous“ gerade beruflich sehr eingespannt und die meisten gar nicht im Land waren.

In einer anderen (medizinischen) Welt

So nutzte ich die Zeit für Famulaturen (Praktikum während des Medizinstudiums) und verbrachte erst einmal zwei Wochen in einem kleineren Krankenhaus. Als Weiße ist man natürlich immer eine Attraktion. Manchmal ist das angenehm, etwa, wenn die ohnehin schon offenen und freundlichen Menschen noch freundlicher werden und sich darum kümmern, dass ich möglichst viel sehen und machen kann. In deutschen Krankenhäusern wird man als Student schon mal übersehen, hier bemühten sich alle darum, mich zu integrieren. In der Notaufnahme, die eher einer größeren Allgemeinarztpraxis glich, war ich bei Konsultationen dabei; es ging hier meist um Infektionen wie Malaria oder Meningitis. Da es nicht genug Ärzte gibt, werden die Konsultationen von Krankenschwestern und Pflegern durchgeführt, die auch die nötigen Zusatzuntersuchen anordnen und Medikamente verschreiben. Jeder Patient muss sich sein gesamtes Verbrauchsmaterial, also Medikamente, Spritzen oder Handschuhe, in der Apotheke des Krankenhauses besorgen, das heißt: selbst bezahlen. Eine Art Krankenversicherung gibt es wohl, die besitzen aber nur wenige Menschen. Wenn jemand stationär aufgenommen wird, so bekommt er oder sie eine Pritsche in einem mit mindestens sechs Personen belegten Zimmer zugeteilt und ist dann, was die Pflege und Verpflegung angeht, auf die Unterstützung seiner Angehörigen angewiesen. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass die Menschen hier etwas robuster sind, also auch dementsprechend miteinander umgehen: Als eine Schwangere im Kreißsaal aufgrund von Wehenschmerzen nach einem Kaiserschnitt fragte, lachten die Hebammen sie fast aus und sagten: „Das tut nun einmal so weh.“

Auch im Kinderkrankenhaus der Uni, wo ich weitere 2 Wochen Praktikum machte, war die Ausstattung der Patientenzimmer mit Betten und jeweils einem Schrank eher dürftig im Gegensatz zu dem, was ich von Deutschland gewohnt war. Auch hier bekam ich meistens Malaria, Meningitis, unterernährte oder ausgetrocknete Kinder zu sehen. Mit den burkinischen Studenten bereitete ich die kleinen Patienten jeden Morgen auf die Visite vor. Das heißt: einmal komplett untersuchen und nach Beschwerden fragen. Das Medizinstudium ist in Burkina Faso wie in Frankreich aufgebaut (Burkina war bis zur Unabhängigkeit 1960 französische Kolonie), was bedeutet, dass die Studenten ab dem 3. Jahr jeden Vormittag auf Station verbringen. Dort haben sie feste Aufgaben, wie etwa das Vorbereiten der Visite, und werden auch vielmehr dazu angehalten, praktisch tätig zu sein. So soll jeder Medizinstudent im 4. Jahr dort mindestens fünf Lumbalpunktionen während der Zeit in der Kinderklink durchführen. Ebenso gehört das Absolvieren von Nachtdiensten zum Pflichtprogramm. Bei einem, wohlgemerkt sehr ruhigen, war ich auch dabei.

Studentenproteste und ein beliebter Staatsmann

Auch in Burkina Faso sind die Studenten des Öfteren und zu Recht unzufrieden mit den Studienbedingungen. Überfüllte Hörsäle und schlechte Unterkünfte treiben sie zu Protesten an. Im Jahr 2000 war Arsène auch dabei und erzählt, dass damals alles mit der Erschießung eines Journalisten begonnen hat. Daraufhin machten die Studenten ihrem Unmut mit Protesten Luft; Arsène selbst wurde für drei Tage sogar inhaftiert.

Andrea Kauertz | StudentenPACK.

Letzte Ruhestätte von Thomas Sankara

Auch wenn das gut zu dem Bild passt, das wir überwiegend von afrikanischen Staaten haben bzw. vermittelt bekommen: Kriege, Proteste und Gewalt sind nur die halbe Wahrheit und eigentlich sogar weniger als das. Ein strahlender Beweis dafür ist Thomas Sankara, der 1983 mit 33 Jahren Staatschef wurde, und so viele und vor allem gute Veränderungen angestoßen hat, wie ich es selten von einem Staatsmann gehört habe. Er startete Impfkampagnen, initiierte Wiederaufforstungsprogramme, kürzte allen Regierungsmitarbeitern das Gehalt und ersetzte sämtliche Mercedes-Benz, die als Dienstwagen fungierten, durch Renault-5-Modelle. Er stärkte die Rolle der Frau in der Gesellschaft: So wurde der Internationale Tag der Frau am 8. März von ihm zum Feiertag in Burkina Faso ernannt. Dennoch machte Thomas Sankara sich vor allem mit seinen Anti-Korruptionsplänen viele Feinde. Schließlich wurde er 1987 von seinem ehemaligen Revolutionsmitstreiter Blaise Compaoré auf offener Straße erschossen. Dieser ist seitdem Präsident des Landes.

Freundliche Heiratswillige

Armut ist allgegenwärtig. Nur 40% der Bewohner Ouagadougous haben überhaupt Zugang zu Strom, der Rest hat also auch keinen Kühlschrank, keinen Fernseher, keine Ventilatoren. Auf der Straße sieht man viele Kinder und junge Menschen, die Früchte verkaufen, schwere Wasserbehälter hinter sich herziehen oder in kleinen Geschäften arbeiten. Auf der anderen Seite geben die Burkinabé sorgfältig auf ihre Kleidung Acht – sie fungiert als eine Art Statussymbol. Da kann es schon einmal sein, dass ein Mann auf dem Dorf im Hemd und mit gebügelter Hose aus einer Lehmhütte herauskommt. Die Frauen tragen Kleider aus bunten Stoffen, die beim Schneider nach Maß angefertigt werden. Und sie sind wirklich freundlicher als die Menschen in Deutschland. Jedes Mal, wenn ich eine Straße entlangging, wurde ich von vielen Menschen freundlich gegrüßt. „Nàsáará“, was soviel wie Weißer oder Europäer heißt, war somit das erste Wort Mooré, das ich gelernt habe. Mooré ist eine der lokalen Sprachen, die in Burkina Faso neben Französisch als Amtssprache gesprochen werden. Vielleicht rührte die überbordende Freundlichkeit auch daher, dass ich eben eine Nàsáará bin – meine zahlreichen Heiratsanträge (ich glaube es waren 6 oder 7) burkinischer Männer ganz sicher. Eine weiße Frau wird manchmal noch als eine Art Schlüssel zum Paradies angesehen, die ihren Gatten mit ins Gelobte Land Europa oder USA nimmt, wo er fortan frei von Sorgen leben kann. Dabei war aber nie jemand aufdringlich, mein „Nein“ wurde nach einigen Minuten Gespräch immer lächelnd akzeptiert. Der interessanteste Antrag kam vom Großvater meiner Gastmutter Alima, der meinte, ich könne doch seine 3. Frau werden. Da ich ungefähr so groß bin wie er, würde das gut passen, wie er fand. So charmant und verheißungsvoll ich das Angebot auch fand, letztendlich lehnte ich auch dieses ab.
In meiner Freizeit kümmerten sich meine Gasteltern gut um mich, nahmen mich oft zu Besuchen bei Freunden oder der Familie mit, machten Ausflüge mit mir und manchmal beobachtete ich auch einfach nur vor dem Haus sitzend das afrikanische Leben. Meistens dann, wenn der Strom ausgefallen war, was eigentlich jeden Tag für ca. drei Stunden der Fall war.

Umdenken

Insgesamt habe ich sehr profitiert von meinem Aufenthalt in Burkina Faso. Auch wenn ich sowohl die Hitze als auch den Kulturschock von vornherein unterschätzt habe, konnte ich sehr viele Eindrücke sammeln von einem Land mit interessanten und netten Menschen, die ich bestimmt noch einmal besuchen werde.

Trotzdem bin ich kuriert von dem drängen- den Wunsch, später als Ärztin in einem armen Land zu arbeiten, um kleinen, schwarzen Kindern zu helfen. Nicht, dass die Arbeit nicht sinnvoll wäre und es nicht viele Menschen in der Welt gäbe, die insbesondere medizinische Hilfe dringend benötigten. Ich hatte aber den Eindruck, dass sich die Menschen in den Ländern, in denen humanitäre Projekte laufen, sehr gut selbst helfen können – und es noch besser könnten, wenn die reichen Länder sie von ihrem Tropf freilassen würden.

Wie so oft ist aber auch das nur ein Teil der Wahrheit.

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