Peter Belanger

Donald Norman: Ein wacher Blick auf die Dinge des Alltags

Im Laufe seines Studentenlebens wird man mit so mancher Literaturempfehlung versorgt. Eine davon habe ich mir nun zu Gemüte geführt, wenn auch mit reichlich Verzögerung: Von der ersten kurzen Erwähnung in der „Einführung in die Medieninformatik“ bis zum Kauf, motiviert durch die ansonsten unmotivierende „Interaktionsdesign“-Vorlesung, verging über ein Jahr und auch dann stand das Buch noch für eine weitere Sonnenumrundung im Regal. Hätte ich es mal früher gelesen, denn viele der Erkenntnisse, die man Semester für Semester versuchte, uns nahe zu bringen, sind hier auf den Punkt gebracht oder haben hier gar ihren Ursprung.
Das Titelbild, die „Kaffeekanne für Masochisten“ des Künstlers Jacques Carelman, bei der Henkel und Tülle auf der selben Seite sind, werden viele schon einmal gesehen haben, spätestens wenn Prof. Herczeg den Begriff „Gebrauchstauglichkeit“ predigt. Auch die sogenannten „gulfs of execution and evaluation“ und deren Überbrückung unter Betrachtung der „seven stages of action“ entstammen diesem Buch. Nicht zuletzt spielen mentale Modelle eine Rolle, allerdings ohne verschachtelte Klammerkonstruktionen.

The Psychology of Bookstores

Donald Norman ist lebendige Interdisziplinarität. Er hat in Informatik und Psychologie geforscht und beschäftigt sich folgerichtig mit dem Feld der Kognitionswissenschaft. „The Design of Everyday Things“ hieß ursprünglich „The Psychology of Everyday Things“. Letzteres hat nicht nur die schönere Kurzform („POET“), sondern trifft meiner Meinung nach auch mehr den Inhalt des Buches: Norman beleuchtet die verschiedenen Ebenen, auf denen die menschliche Wahrnehmung und Psyche und die Gestaltung von Alltagsgegenständen disharmonieren können. Erst gegen Ende des Buches wendet er sich direkt an Produktdesigner, prägt den Begriff des „User-Centered Design“, mit dem die zuvor aufgezeigten Klippen umschifft werden sollen.
Der Grund für die Umbenennung ist, was Norman selbst „a lesson in design“ nennt: Mit „Psychology“ im Titel landete das Buch bei den Händlern in der entsprechenden Abteilung, in welcher die dort verkehrenden Kunden nichts damit anzufangen wussten und wo diejenigen, an die es gerichtet war, nicht suchten. Norman bekennt sich schuldig, beim „Design“ des Buchtitels seine eigenen Regeln nicht befolgt zu haben.

Fußnoten von Fußnoten

Es braucht übrigens niemand vor der Lektüre dieses Buches zurückzuschrecken, weil er mit Psychologie oder Design nichts anfangen kann. Durch seinen Aufbau eignet sich „DOET“ sowohl zum Schmökern als auch dazu, in kleinen Häppchen gelesen zu werden. Passagen, in denen Norman Zusammenhänge präzise darlegt und analysiert, wechseln sich, auch typografisch abgehoben, mit Abschnitten ab, in denen er zur Veranschaulichung Situationen schildert, die er oder Freunde und Kollegen erlebt haben, seine persönliche Meinung äußert oder sich auch mal direkt an den Leser richtet.
Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz; immer wieder kann man das Augenzwinkern zwischen den Zeilen erkennen und auch den einen oder anderen scharfzüngigen Kommentar konnte sich Norman wohl nicht verkneifen. Als er auf das Thema Hypertext zu sprechen kommt, beginnt er gar mit dem Medium Buch zu spielen. Er beschreibt, wie Fußnoten und unterschiedlich formatierter Text bereits manche Aspekte von Hypertext innerhalb von Büchern darstellen. In einer Fußnote dazu entschuldigt er sich dafür, dem unterschiedlichen Wissenstand seiner Leser zum Thema Hypertext nicht Rechnung zu tragen, dies wäre innerhalb eines Hypertextes viel einfacher. Um auch diese Aussage noch zu kommentieren, gehen ihm fast die Mittel aus: „Viva hypertext! (At this point I need a footnote to this note, but that isn’t allowed, my publisher tells me. So, into contrasting text.)“

Zeichen der Zeit, oder auch nicht

Hypertext kennt doch praktisch jeder! Ja, heute vielleicht, in der Wunderwelt des allgegenwärtigen Netzes. Doch man sollte nicht vergessen, dass „DOET“ vor über 20 Jahren geschrieben wurde. Im Grunde sind nicht die seitdem geschehenen Veränderungen in der Welt das Erstaunliche, sondern, wie viele der bereits damals von Norman aufgezeigten Dinge immer noch unverändert sind. Viele der Beispiele sind zeitlos.
Wenn man über das Mapping von Lichtschaltern auf Lichtquellen liest, hat man sogleich jemanden bei dem Versuch, eine gewünschte Beleuchtung im Audimax herzustellen, vor Augen. Probieren geht immer über Studieren. Auch bei Projektionsgeräten hat sich zwar die Technik vom Diaprojektor zum Computer mit angeschlossenem Beamer gewandelt, das Prozedere ist jedoch das gleiche geblieben. Die Situation bei einem abendlichen Industrievortrag neulich, als drei Hochschulangehörige, davon zwei gestandene Professoren, und der Vortragende selbst über eine Viertelstunde benötigten, um die gewünschten Inhalte auf die Wand zu bringen, steht fast genau so im Buch.
Manche Dinge sollten allerdings auch besser so bleiben, wie sie sind. Wer sie nicht kennt, der bekommt eine Abhandlung der Geschichte der Tastatur spendiert, von der mechanisch motivierten Anordnung der Buchstaben bis zu den allesamt zum Scheitern verurteilten Versuchen, ein „vernünftiges“ neues Layout zu etablieren.

Modern Everyday Things

Doch das sind schon die komplexeren Beispiele. Bewusst hat sich Norman mit den simplen Alltagsgegenständen beschäftigt, mit Türen, Wasserhähnen, Stiften und Lego-Steinen. Er zeigt auf, wie viel Überlegung bereits oder gerade in den einfachen Dingen steckt, die nahezu perfekt funktionieren, wie wenig davon fehlen muss, sodass ernste Probleme entstehen. Immer wieder mahnt er an, dass die damals noch in den Kinderschuhen steckende Computertechnik alle Möglichkeiten bietet, die aufgezeigten Methoden anzuwenden und einfach funktionierende Interaktion zu erschaffen, man müsse die Chance nur richtig nutzen.
Norman zeigt sich auch als Visionär. Die Dinge, die er sich unter den Computern und der Infomationswelt der Zukunft vorstellt, kommen modernen Smartphones und dem World Wide Web ziemlich nahe. Derart komplexe Geräte und Konzepte sind heute „Everyday Things“ geworden, obwohl sie in der Bedienung lange nicht perfekt sind. Wohl auch deshalb beabsichtigt Norman, wie er auf seiner Homepage verkündet, sobald er Zeit dafür hat, „DOET“ eine Auffrischung zu spendieren, mit neuen zeitlosen Beispielen für die nächsten Jahrzehnte. Ich freue mich drauf.

Noch keine Kommentare, sei der Erste!