Deutschland hat zu wenige Ärzte, vor allem auf dem Land. Das ist nichts Neues, aber es soll sich ändern, so zumindest der Wille von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Der Numerus Clausus soll abgeschafft werden, um mehr Studienwilligen den Zugang zur Medizin zu erleichtern und wer sich bereits nach dem Abitur verpflichtet, später auf dem Land zu arbeiten, dem soll über eine gesonderte Quote zum Studienplatz verholfen werden. Welche Auswirkungen das auf die Uni Lübeck hat und wie sich die Lehre verändern müsste, darüber sprachen wir mit Studiendekan Prof. Dr. Jürgen Westermann.

StudentenPACK: Herr Westermann, Bundesgesundheitsminister Rösler will die Zulassungsmodalitäten für das Medizinstudium ändern und diejenigen bevorzugen, die sich für eine Tätigkeit als Landarzt verpflichten. Wie stehen Sie dazu?

Jürgen Westermann: Wenn immer weniger Ärzte als Landarzt tätig sein wollen, kann das in meinen Augen zwei Ursachen haben. Zum einen könnte es daran liegen, dass die Universitäten die falschen Studenten auswählen. Alternativ hierzu könnten die Arbeitsbedingungen auf dem Land unattraktiv sein. Ich glaube nicht, dass es am Auswahlverfahren liegt. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, würde hier eine Quotierung nicht Abhilfe schaffen. Die Bundeswehr beispielsweise hat eine gesonderte Quote und leidet trotzdem an einem Ärztemangel. Ich bin deswegen überzeugt, dass die schlechten Arbeitsbedingungen der Grund für den Ärztemangel sind. So ist das Budget der Ärzte „gedeckelt“. Es kann also durchaus vorkommen, dass das Geld, das den Ärzten für die Behandlung ihrer Patienten zugestanden wird, ausreicht, um diese 9 Monate zu behandeln. In den restlichen 3 Monaten steht kein Geld mehr zur Verfügung, obwohl weiterhin Patienten vor der Tür stehen und behandelt werden wollen. Politiker und Ärztefunktionäre haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht und bringen die niedergelassenen Ärzte in eine unhaltbare Situation. Ist es dann ein Wunder, wenn unsere exzellent ausgebildeten Studenten nach Alternativen suchen und diese auch finden? Sie werden im Ausland mit Kusshand genommen oder gehen ins Labor, in die Forschung und in den Journalismus. Herr Rösler hat aus meiner Sicht mit der Therapie begonnen, ohne eine Diagnose gestellt zu haben.

StudentenPACK: Herr Rösler will die Abiturnote als Zulassungskriterium abschaffen. Haben Sie Erfahrungen damit, wie die Abiturnote die Leistungen im Studium beeinflusst?

Westermann: So weit mir bekannt ist, will er sie nicht komplett abschaffen sondern nur durch andere Kriterien ergänzen. Nach wie vor gibt die Abiturnote am besten darüber Auskunft, ob jemand ein gutes oder schlechtes Examen ablegen wird. Deswegen ist sie auch in Zukunft ein wichtiges Kriterium. Aber es ist Unsinn, nur Schüler mit einer Abiturnote von 1,1 zuzulassen. Die legen dann zwar ein gutes schriftliches Examen ab, aber es ist unklar, ob sie überhaupt die Fähigkeit besitzen, gut mit Menschen umgehen zu können. Um auch diesen Aspekt beurteilen zu können, führen wir in Lübeck Auswahlgespräche durch. Lernen können ist für einen Medizinstudenten sehr wichtig, um erfolgreich studieren zu können. Die mitmenschlichen Aspekte bestimmen, ob man ein guter Arzt wird. Des- wegen ist eine Kombination aus Abiturnote und Auswahlgespräch nach meinem Empfinden das Beste.

StudentenPACK: Andere Stimmen wurden dann laut, den Studiengang komplett zu öffnen, zum Beispiel auch mit Fachabitur, das man durch eine Ausbildung in der Krankenpflege oder im Rettungsdienst bekommen könnte. Können Sie sich ein Medizinstudium ohne Abitur vorstellen?

Westermann: Auch jetzt kann man schon unter bestimmten Bedingungen ohne Abitur Medizin studieren (Anm. d. Red.: möglich mit einer Meisterprüfung oder äquivalenter Weiterbildung). Ich kenne aber keine auf diesem Weg zugelassenen Studenten und kann deshalb nicht beurteilen, wie sie das Medizinstudium schaffen. Da das Medizinstudium sehr lernintensiv ist, wird sich aber jeder sehr schwer tun, der nicht gut lernen kann und daran keine Freude hat. Wie solche Fähigkeiten in anderen Berufsausbildungen vermittelt werden, kann ich nicht beurteilen.

StudentenPACK: Rösler bemängelt auch, dass es viermal so viele Bewerber gibt, wie Studienplätze zur Verfügung stehen. Wenn es nun soweit kommen sollte, dass die Unis wirklich jeden annehmen müssen, der studieren will, muss dann gefiltert und rausgeprüft werden?

Westermann: Ich glaube nicht, dass es so- weit kommt. Wir haben eine Kapazitätsverordnung, die genau regelt, wie viele Studenten wir in die Vorklinik und Klinik aufnehmen müssen. Wenn wir mehr Studenten aufnehmen sollen, benötigen wir auch mehr Studienplätze, und die sind teuer! Auf einem anderen Blatt steht, wie wir mit der Situation umgehen, dass ab Oktober 2011 die Doppeljahrgänge aus den Schulen kommen und dann statt der jetzigen vier fast fünf Bewerber auf einen Studienplatz kommen. Zu diesem Thema laufen gerade Gespräche mit dem Wissenschaftsministerium. Ziel ist es, einerseits den Schulabgängern eine faire Chance auf einen Medizinstudienplatz zu geben und andererseits die Qualität der Lehre an der Universität nicht zu gefährden.

StudentenPACK: Was würde sich denn konkret in der Auswahl ändern und bis wann müsste die Uni damit rechnen?

Westermann: Der Gesetzentwurf muss geschrieben werden und mit allen Bundesländern abgestimmt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Landarztquote vor dem Wintersemester 2012 eingeführt werden kann. Um genauere Informationen hierzu zu bekommen, fragen Sie bitte den Kanzler.

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