Die Rechtsmedizin polarisiert. Nicht nur unter Medizinstudenten gibt es keine einheitliche Meinung, ob man sich nun auf das entsprechende Blockseminar freuen soll oder ob man es doch schon besser hinter sich hätte. Auch die allgemeine Bevölkerung spaltet sich zwischen Ekel und Faszination. Was aber doch die meisten eint, ist die Freude an einer gewissen morbiden Unterhaltung. Und möglicherweise war es genau diese, die mich dazu antrieb, dieses Buch zu kaufen. Ein Buch, auf dessen Klappentext von einer Ärztin geschrieben wurde, die einer Leiche mit 16 Messersti- chen im Rücken den Tod durch Herzversagen diagnostizierte. Die Vorfreude war groß auf 254 Seiten voller obskurer Geschichten rund um Fehldiagnosen und Rätsel, die die Rechtsmedizin mit Sicherheit zu bieten hat. Und wenn jemand was dazu zu erzählen hat, dann er: Hans Bankl, der in der Autorenbeschreibung als „international anerkannte Kapazität“ im Bereich der Rechtsmedizin angepriesen wird.

Das Buch beginnt im lockeren Plauderton. Zunächst werden Grenzen abgesteckt: Was ist Medizin, was ist Juristerei, wo überschneiden sich die beiden und was hat der Gerichtsmediziner zu tun. Schon hier beginnt der erste Ausflug in die Geschichte, die ersten Parallelen zu den Helfern der Mordkommissionen im Fernsehen werden gezogen, das Interesse der Bevölkerung an toten Prominenten wird angedeutet und macht Lust, weiter zu lesen, in der Hoffnung, die Details kommen bald auf den Tisch.

Der Alltag des Rechtsmediziners

Doch zunächst noch mal zu den Grundlagen. Wie hat ein Rechtsmediziner am Tatort vorzugehen? Ist er wirklich der, der neben der Leiche kniet, einen kurzen Blick riskiert und im Weglaufen murmelt „Die Details nach der Obduktion.“? Bankl macht schnell klar: Bereits am Tatort sind die Aufgaben sehr viel umfassender. Es gilt möglichst schnell herauszufinden: Wer ist das Opfer? Wer ist der Mörder? Wie, wann und womit ist was geschehen und wo war es? Dabei hat der Mediziner zunächst vor allem zu Beobachten, „die Augen weit geöffnet, die Hände in den Taschen!“

Dann – endlich – eine Exkursion in die Details. Wie identifiziert man eigentlich eine unbekannte Leiche? Die Veränderungen schon nach kurzer Zeit sind immens und Tote unterscheiden sich äußerlich meist gravierend von ihrem früheren lebendigen Ebenbild. Umso mehr, wenn sie Opfer von Feuer oder Wasser waren.

Doch dieser Ausflug, der durchaus mein Interesse geweckt hat, wird abrupt beendet, denn Bankl zieht es zunächst vor, einen Schwenk rund um die Welt zu machen: Auf kürzestem Raum wird berichtet, wie andernorts mit unbekannten Toten umgegangen wird, um dann auf drei Seiten einen Auszug aus Karl Mays „Die Jagd auf den Millionendieb“ eins zu eins zu übernehmen, in dem beschrieben wird, wie Winnetou mit seinem Bowiemesser die Kugel aus dem Körper eines gefallenen Freundes schneidet. May habe ich bereits vor zehn Jahren gelesen… was dieser Einschub für dieses Buch bringt, bleibt mir wohl verborgen.

Verpasstes Highlight

Die ersten 60 Seiten ohne wirklichen Unterhaltungswert. Einzig der recht flüssige Schreibstil des Autors hat mich so weit kommen lassen. Nun endlich der erste kuriose Fall: Beim Bau eines Kraftwerks in Österreich werden eine Reihe von Skeletten gefunden. Zunächst geht man davon aus, es handle sich um jüdische KZ-Häftlinge und SS-Männer. Doch Nachforschungen lassen auch die Vermutung zu, es könnten Opfer des Franzosenkrieges sein. Klar, jetzt muss sich auch Frankreich einschalten – was die Sache nicht einfacher macht. Oder waren es Schiffer, die auf dem angrenzenden Fluss ums Leben kamen? Oder doch Opfer des Bauernkriegs vor knapp 400 Jahren? Auch hier: Nur abgeschriebene Zeitungsartikel und eine weitere Chance, die Bankl vergeben hat, um dem Leser die Abstrusitäten seines Berufes näher zu bringen.

Kurioses knapp erzählt

85 Seiten um, aber jetzt geht’s los! Noch eine kurze Beschreibung, wer eigentlich wann welchen Toten beschauen muss oder kann oder soll. Und dann auf zu den wahren Fällen: Der Hausarzt, der Herztod diagnostiziert und vom Bestatter gefragt wird, ob es seine Richtigkeit hatte, dass er die Leiche erst von einem am Küchenschrank befestigten Strang abschneiden musste. Der plötzliche Tod eines 57-jährigen, der sich als Strangulation mit vorangegangener Misshandlung herausstellte. Der Rentner, der bei der Gartenarbeit in den Rechen fällt, aber nicht daran verblutet ist, sondern am Projektil in seinem Brustkorb, das den Schießübungen des Nachbars entstammte. Die Gummipuppe unterm Herbstlaub, die von der herbeigerufenen Ärztin für eine verscharrte Frühgeburt gehalten wurde. DAS sind die Fälle von denen ich lesen wollte! Der Grund, dass ich dieses Buch gekauft habe! Doch nach wenigen Seiten die Ernüchterung: Erneut nur kurze Abhandlungen, keine länger als zehn Zeilen. Langsam habe ich keine Lust mehr, weiter zu lesen, aber ich habe noch nicht einmal die Hälfte geschafft.

Der perfekte (Selbst-)Mord

Nach dem Aufruf an die Politik, viel mehr Obduktionen zur Pflicht zu machen, endlich ein Lichtblick: „Wie gelingt ein perfekter Mord? Tipps vom Experten“ Das ist doch mal was und endlich nutzt Bankl seinen unbeschwerten Umgang mit der Sprache dazu, den Leser auch inhaltlich zu fesseln. Die Grundregeln sind denkbar einfach: Keine Zeugen, keine Mitwisser, keine Spuren und möglichst nicht zum Kreis der Verdächtigen gehören. Umso besser, wenn die Leiche erst gar nicht auftaucht. Also gleich noch die Tipps, wie man einen Toten möglichst unauffällig und nachhaltig verschwinden lässt. Ist das nicht möglich, sollte der Tod wenigstens aussehen wie ein Unfall oder Selbstmord.

Damit ist auch schon die Überleitung zum nächsten Abschnitt gegeben: Wie funktioniert eigentlich ein todsicherer Selbstmord? Die sicherste Lösung: Mehrere Mordversuche kombinieren. Doch viel zu schnell ist meine Freude über das Gelesene verflogen. Zunächst muss ich mich wieder durch zwölf Seiten quälen, die aus dem „Lexikon der prominenten Selbstmörder“ abgeschrieben wurden. Dabei interessiert es mich wirklich nicht, wie der Physiker Ludwig Boltzmann, Clara Haber-Immerwahr, Fußballer Sandor Kocsis und die Schauspielerin Jean Seberg sich das Leben genommen haben. Das gleiche Bild bei den folgenden Giftmischern: Zunächst die Erkenntnis, wie potent Gifte sein können, wie einfach der Mord mit Krankheit verwechselt wird. Doch wieder folgt eine bloße Aufzählung von Opfern verschiedener Giftanschläge. Die meisten starben mit Symptomen, die mit einer normalen Magen-Darm-Verstimmung verwechselt wurden – zehn Seiten Durchfälle!

Ein kurzer Anflug kindischen Amusements kurz vor Ende der Lektüre: Der Tod beim Geschlechtsverkehr. Alte Männer mit Herzversagen – mit oder ohne Viagra. Menschen, die beim Praktizieren der verschiedensten SM-Spielchen verstarben. Geistliche, die bei der Masturbation ihr Leben ließen.

Im Stechschritt durch die Fachrichtungen

Was dann folgt, bleibt mir irgendwie unverständlich: Ein Ausflug in die Geschichte der Elektropathologie und Blitzeinschläge, ein kurzer Abriss über die Gesundheitsförderlichkeit von Sport, das Sterben über den Wolken oder an einem zu großen Silikon-Busen. Dann geht’s über Ärzte, die sich als Schauspieler verdingen und umgekehrt, Ärzte, die mit versteckter Werbung unlauteren Wettbewerb treiben und zum Schluss noch, was die Toten der Titanic, der Kursk und der Konzentrationslager im 3. Reich gemeinsam hatten.

Was will uns dieser Mann sagen? Mir blieb das während meiner Lektüre wohl verborgen. Möglicherweise habe ich mich mit falschen Hoffnungen über dieses Buch hergemacht. Viel wahrscheinlicher gründet sich mein Missfallen aber auf den fehlenden roten Faden, die zu häufigen, zu breitgetretenen Zitate aus anderen Büchern, die nicht erkennbare Struktur was die Reisen in die Vergangenheit angeht und die Hatz durch die verschiedenen, bis dahin nicht genannten medizinischen Fachrichtungen am Ende des Buches.

Mein Fazit: Kann man lesen, muss man aber nicht. Und für den Kaufpreis von 9 Euro kann man sich durchaus ein großes Eis gönnen!

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