Lukas Ruge | StudentenPACK.

Kein Durchkommen möglich.

Als kurz vor Mittag die Nazis am Bahnhof eintreffen, stehe ich nahe der St. Lorenz Kirche auf einem Parkplatz und starre auf den Bahnsteig. Gegenüber hunderte Demonstranten, sie skandieren „Nazis raus“. Ich mache ein paar Fotos, der Polizist in Schutzausrüstung neben mir kommentiert mein Objektiv, ich stimme zu, es ist nicht gut genug. Die Lage ist ruhig, wir unterhalten uns ein wenig. Er kann es nicht offen sagen, aber dass er keine Lust hat, Nazis zu beschützen ist offensichtlich. Er spricht davon, dass er mit seiner Zeit lieber was anderes machen würde, wie er seit sechs Uhr morgens in dem unbequemen Aufzug steckt, wie heiß es unter dem Helm ist und er spricht von Angst. Der Angst als Familienvater, wenn die Steine und Flaschen fliegen. Ein Funkspruch, er muss schnell weg, Zigarette austreten und los.

Es ist einer der wenigen hektischen Momente des Tages, vor einer der Straßenblockaden sind einige Böller explodiert, einige Mülltonnen wurden umgestoßen. Feuerwehr und Wasserwerfer fahren auf, die Hundestaffel rückt an. Die Anspannung währt nur kurze Zeit, dann nehmen die Polizisten wieder die Helme ab.

Polizei und Gegendemonstranten stehen sich seit dem frühen Morgen gewaltfrei gegenüber. Etwa 40 von ihnen hatten in der St. Lorenz Kirche nahe des Südeingangs des Bahnhofes übernachtet, sie stehen nun vor der Kirche und warten. Zuvor waren sie einmal von Polizisten weggetragen worden, nun sind sie wieder da. Auch an mehreren anderen Stellen auf der geplanten Route der Demonstration haben sich Gegendemonstranten versammelt.

Wenn man mit den Gegendemonstranten spricht, dann merkt man, wie schwer es manchen unter ihnen fällt, die Polizisten zu verstehen. „Warum beschützen sie die Nazis?“ ist die Frage und, manchmal unterschwellig, oft aber ohne Umschweife, wirft man der Polizei vor, selbst dem rechten Lager nahe zu stehen. Die Aggressionen gegen die Polizei die aus solchen Gedanken entstehen haben in den letzten Jahren immer wieder zu Ausschreitungen geführt. Um dies zu vermeiden hat die Polizei und diesmal Vermittler überall vor Ort. Erkennbar an gelben Jacken dienen sie als Ansprechpersonen für die Demonstranten und sollen Konflikte entschärfen.

In der Innenstadt werfen Vermummte eine Schaufensterscheibe ein. Andreas Joslyn, Geschäftsführer von Karstadt Lübeck, nennt die Täter „linke Chaoten“. Sie werden nicht gefasst, über ihre Gesinnung kann nur spekuliert werden.

Auf dem Bahnhofsvorplatz haben sich währenddessen über 1000 Menschen versammelt. Es werden Reden gehalten und es wird über Schicksale des zweiten Weltkrieges berichtet. Bischöfin Maria Jepsen fordert, sich von rechter, gottverachtender Ideologie nicht einschüchtern
zu lassen, Ralf Stegner (SPD) rechtfertigt seine Unterzeichnung der Lübecker Erklärung und fordert unter Applaus ein Verbot der NPD. Die Versammlung ist bunt, Gewerkschaften, Kommunisten, Linke, SPD, Grüne, Piraten, Kirchen und andere Gruppen sind seit halb elf versammelt. Die sogenannten bürgerlichen Parteien, FDP und CDU, scheinen nicht vertreten. Es wird Klezmer gespielt und berichtet, was auf der anderen Seite des Bahnhofes geschieht.

Dort sind um zwölf die meisten Nazis angekommen und bereiten sich auf ihren Trauermarsch vor. Umzingelt von Polizisten und Journalisten stehen sie auf dem Steinrader Weg. Die Anspannung wächst, die Sitzblockaden am Ziegelteller, einige hundert Meter entfernt, werden verstärkt. Die Polizei schätzt, dass dort allein über 500 Personen alle Ausfahrten des Kreisverkehrs blockieren. Über 100 Menschen blockieren ein Stück weiter die Ziegelstraße, weitere 100 stehen vor der St. Lorenz Kirche und zwischen 200 und 300 auf der Schwartauer Allee. Viele Anwohner reichen den Sitzenden Getränke, spielen Musik aus offenen Fenstern. Manchmal herrscht eher Volksfeststimmung als Sitzblokade.

Um 13:00 Uhr setzt sich der Trauermasch der Nazis in Bewegung. Es sind nicht viele, vielleicht 100 oder ein paar mehr, auch wenn die Polizei nachher 250 als offizielle Zahl ausgeben wird. Vermummt, im langsamen Gleichschritt marschieren sie mit Plakaten und Schildern zu pathetischer Musik die Straße hinunter. Vor und hinter ihnen ein Tross an Polizei. Weit kommen sie nicht. Ihre Kundgebung am Ziegelteller wird von der Polizei frühzeitig beendet und aufgelöst. An ein Weiterkommen war nicht zu denken und so werden die Rechten zurück zum Bahnhof geschickt.

Über Twitter und den extra eingerichteten SMS-Dienst verbreiten die Gegendemonstranten ihren Sieg. Begleitet von „Ihr habt den Krieg verloren“ Chören ziehen sich die Nazis in den Bahnhof zurück. Um 14:00 Uhr hat der Spuk ein Ende.

Es hätte eine durchweg positive Bilanz sein können, wenn nicht einige frustrierte Demonstranten danach doch noch auf der Fackenburger
Allee mit dem Steinewerfen begonnen hätten. Der kurze Straßenkampf mit der Polizei ist unnötig und dumm, einige Scheiben und eine Bushaltestelle müssen dran glauben, einige Personen werden kurzfristig festgehalten. Doch auch diese Situation entspannt sich verhältnismäßig schnell und sogar die Polizei zieht am Nachmittag in ihrer Presserklärung eine positive Bilanz.

Schon bald kehrt in Lübeck Normalität ein, die Busse fahren wieder die Polizei räumt die Absperrungen weg und gibt die Straßen frei. Der NPD-Aufmarsch kam kaum zu Stande und nächstes Jahr, so hofft eine Demonstrantin, gelingt es vielleicht, ihn völlig zu verhindern.

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