Man kennt sich. Und doch ist man sich irgendwie näher als sonst. Teilt man nur die Promille? Nein, tatsächlich trifft man sich hier auf einer Privatparty. Einer Privatparty im besonderen Stil, denn sie ist mehr als das. Es handelt sich eher um eine entartete WG-Party mit grotesken Ausmaßen.

Über hundert Menschen belagern das Wohnzimmer einer Sieben-Mann-Wohngemeinschaft. Ein riesiges DJ-Pult thront über dem Dancefloor, auf dem sich zuckende und stampfende Gestalten zu feinsten Elektroklängen winden. Gedämpftes Licht, Beamershow, die Luft ist zum Schneiden, die Temperatur zum Kochen, die Lautstärke zum Schreien.Im Hausflur lehnen die, die es die Treppen nicht mehr hoch geschafft haben, vor der Wohnung trocknet der Rest die erhitzten Körper und Gemüter.

Sind wir im Parkhaus? Nein, hier kommt noch jeder rein. Hier, das ist die Privatwohnung von sieben Lübecker Studenten und Studentinnen mitten in der Innenstadt.

Ramon, 26 Jahre, Maschinenbaustudent, Bewohner und Mitbegründer der WG-Partys, erzählt: „Es begann alles im zweiten Semester. Wir wollten es nach den Klausuren so richtig krachen lassen und da ich `ne große Bude hatte, war die Wahl schnell getroffen.“ Als Ramons Mitbewohner auch einstiegen, wurde aus dem 10-Mann-Pokerabend schnell eine regelmäßige Après-Klausuren-Homeparty mit mehr und mehr Leuten. Heute beteiligt sich die gesamte WG an der Planung und die Gästezahl bezifferte sich bei der letzten Party im November auf knapp 200 Menschen.

In Lübeck kann das Studentenleben leider nicht mit anderen Universitätsstädten mithalten. Manche schieben es auf das fast völlige Fehlen geisteswissenschaftlicher Studiengänge, andere auf die vielen alten Leute. Aber nur ein Kollektiv ist wirklich für das maue Kulturangebot in Lübeck verantwortlich: wir. Weil es sich nun einmal ohne Kinder, Eltern und bewegungseinschränkende Krankheiten leichter – profan gesagt – feiern lässt. Egoistisch leben. Nur auf den eigenen Senf konzentriert. Herrlich ist das Lotterleben!!! … Nur den Hintern hochkriegen müssten wir und mal wieder was Eigenes organisieren…

So wie Ramon & Co. Die sind auch ganz begeistert von dem Zuspruch, auf den ihre Feten im Fetenklientel stoßen. „Die Partys sind nur geil!“ schwärmt Ramon, „ Und mit sieben Leuten ist es gar nicht so stressig, sowas auf die Beine zu stellen.“

Trotzdem bleibt die Organisation kein geringer Aufwand. Neben Bude aufräumen, sichern und mit Alkohol auffüllen wird auch noch liebevoll dekoriert und ausgeschmückt – alles Kleinigkeiten, die den biergetrübten Betrachtern schon ab 23.00Uhr nicht mehr aufgefallen sind. Auf Grund der Größe der Events besteht die Polizei auf vorzeitiges Anmelden – und taucht dann ab und zu doch wieder auf. Weil Party geiler als Streife ist.

Sind Honecker an der Wand und Klopapier im Bad, stehen schon die ersten Gäste auf der Matte. Und deren Freunde. Und Verwandte, Nachbarn, Barbekanntschaften und Unbekanntschaften – die Örtlichkeit füllt sich, reziprok zum Angebot am Bierstand. Dort wird neuerdings verkauft statt verschenkt und so dem Notstand ab 2.00Uhr vorgebeugt. Die gute Laune kann sich also halten und steigert sich bis zur peinlichen Polonaise, bei der jeder mitmacht (und dümmlich grinst). Ein glücklicher Eingeborenenstamm.

Doch nicht nur drinnen hält man es feucht-fröhlich. Die kollektive Magenentleerung vorn auf der und auf die Straße erheitert einen beträchtlichen Teil der Gäste und lockt Fremde an, die sich dem bunten Treiben freudig anschließen. Ständig strömen Menschen ein und aus, man verliert den Überblick, doch den braucht jetzt sowieso niemand. Die Menge feiert, tanzt, trinkt und der Bass treibt sie weiter gen Morgengrauen.

Ab 5.00Uhr wird die Tanzfläche leerer. Da die Kleiderbügel den Synchronabgang machten, wühlt man sich am Ende der Nacht à la Til Eulenspiegel durch den Riesenberg Klamotten, fischt nach einem Paar Schuhen, das morgen hoffentlich auch noch vertraut erscheint, und entschwindet in die frische Morgenluft.

Zurück bleiben die Veranstalter und verschaffen sich einen ersten Überblick über das entstandene Chaos. Das meiste ist heil geblieben. Bei vergangenen Partys gingen schon Fenster zu Bruch, Schuhe und Fahrräder flöten, die Musikanlage bekam eine satte Bierdusche. Wohl alles im Rahmen. Nur nach der letzten Feier wendet sich ein WG-Mitglied im Internet dann doch besorgt an die Partygäste. „Welche zellgeteilte Amöbe meinte eigentlich, sein hässliches Tag bei uns in der Flur setzen zu müssen?“ Die Partycrew trägt es mit Fassung und Humor. Und überlegt, wann das nächste Event starten soll. Die Nachricht spricht sich bereits wieder herum.

Ramon bleibt bescheiden ob des Erfolges. Seine einfache Feststellung: „Solche Partys fehlen in Lübeck. Und wir haben halt die passende Bude, um sowas zu machen.“ Dazu bleibt nur eins zu sagen: Vielen Dank.

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