Arbeitsgruppe der WHO in Kopenhagen. Foto: Carlo Huber

Ein Hauch weißer Schneedecke, zugiger Meereswind über den gefrorenen Seebuchten, puschelige Wachsoldaten rund um die Schlösser und der Duft und das Flair der schönsten Metropole Nordeuropas: Dies zeichnet das winterliche Kopenhagen, die Hauptstadt Dänemarks, in diesen Januartagen aus. Die Stadt liegt zwar nicht wie Istanbul auf zwei verschiedenen Kontinenten, aber auf zwei verschiedenen, von der eiszeitlichen Grundmoränenlandschaft geformten Inseln: Sjælland und Amager. Was mich in diesen Prototyp einer europäischen Stadt führt, ist nicht eine Famulatur oder ein PJ-Tertial, wie einige andere Lübecker Medizinstudenten vor und nach mir, sondern das europäische Hauptquartier der Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO. Mit gut 500 Mitarbeitern in Kopenhagen und vielen weiteren Büros in zahlreichen europäischen Städten sowie ihrer weltweiten Repräsentanz in fast allen Ländern ist die WHO die wichtigste Organisation, die sich mit dem Wesen und den praktischen Implikationen von Krankheit und Gesundheit in Praxis, Theorie und Politik beschäftigt. Geleitet wird sie von einem wahnsinnig wichtigen, ehemaligen französischen Gesundheitspolitiker (wie bei Franzosen üblich mit schicker, solariumgebräunter Assistentin), dem man Gerüchten zufolge bei der Amtsübergabe aus Mangel an Schlüsseln (hier funktioniert alles mit Karten) symbolisch den Toilettenschlüssel übergeben haben soll. Aufgrund seines offensichtlich gelebten Bewusstseins für das savoir-vivre ist er auf jeden Fall ein supernetter Chef für seine Mitarbeiter.

Damit komme ich auch schon zu der am häufigsten gestellten Frage: Wie kommt man als Medizinstudent auf die Idee, so ein Praktikum zu machen und sich damit der beschwerlichen Organisation von Unterkunft und Umzug bis hin zur Bibliothekskarte auszusetzen? Zunächst einmal hat es mich interessiert, in relativ kurzer Zeit Einblick zu gewinnen in ein komplexeres Organisationswesen als das eines Krankenhauses. Auch wenn die meisten Medizinstudenten natürlich dem medizinischen Lebensweg verhaftet bleiben, kann es doch passieren, dass man einmal außerhalb der typischen medizinischen Institutionen landet und sich dann unter anderen Rahmenbedingungen wiederfindet. Dies ist meine persönliche Motivation für das Praktikum, denn ausschließlich Krankenhaus oder Praxis kann ich mir für mich nicht vorstellen. Zusätzlich habe ich gelernt, Organisation nebenbei zu erledigen – für mich DIE wichtigste Aufgabe neben dem Studium. Und was man kennt und gesehen hat, bleibt einem immer im Hinterkopf – und wird abgeheftet als Lebenserfahrung.

In vielerlei Hinsicht ähnelt die WHO einem modernen Unternehmen: Die Atmosphäre ist sehr international, die meisten sprechen akzentfrei Englisch (außer dem französischen Direktor … natürlich), viele haben in gefühlten 25 verschiedenen Ländern gelebt und unter den Jüngeren scheine ich der einzige zu sein, der kein Auslandsjahr gemacht und seitdem Freunde in Ost-Timbuktistan hat. Hauptthematik sind natürlich vor allem Budgets, Projekte, Verträge und so weiter, häufig verknüpft mit interessanten Auslandsaufenthalten.

Wie bei jedem großen Unternehmen gehören Tratsch und persönliche Nettig- und -Nichtso-Nettigkeiten zum farbigen Alltagsgeschäft. Wichtigster Termin des Tages ist für alle Interns (Kurzbezeichnung für Praktikanten) das Mittagessen, wo es einen eigenen großen Intern-Stammtisch gibt. Dort treffen sich die Praktikanten aller Abteilungen, es werden Neuigkeiten ausgetauscht und zum Kaffeeklatsch eine Stunde nach der Mittagspause verabredet.

Die Zusammensetzung der Interns ist interessant: Es gibt einige Deutsche und Franzosen, die immer so etwas wie Public Health oder Krankenhausmanagement studieren. Und dann sind da noch Interns aus aller Herren Länder, die in Dänemark oder Schweden (die bekannten Universitätsstädte Malmö und Lund liegen praktisch gegenüber von Kopenhagen) so lustige Sachen wie den Bachelor für Zahnheilkunde studieren. Es ist eine illustre Runde, bei der ich ausreichend Gelegenheit habe, mein englisches Vokabular auf nichtmedizinisch und -wissenschaftlichem Gebiet auszuweiten (wie beschreibt man die „Landung“ einer Ente auf einer dänischen Fensterscheibe?).

Meine Abteilung bei der WHO ist CDS (communicable diseases unit), es geht also um übertragbare Krankheiten. Ich darf sehr selbständig Aufgaben übernehmen und bearbeiten. Zur Zeit bschäftige ich mich vor allem mit Hepatitis und schreibe einen zusammenfassenden Bericht über die Prävalenz von Hepatitis B und C in zentralasiatischen Mitgliedsstaaten.

Neben der Arbeit in dem modernen Gebäudekomplex der WHO gibt es in Kopenhagen selbst sehr viel zu sehen. Die Hauptstadt zentriert Kultur, WIrtschaft und Soziales aus allen Bereichen Dänemarks mit stark internationaler Prägung. Ich habe nach längerer Suche glücklicherweise ein Zimmer direkt in der Stadt gefunden habe, das nur fünf Minuten von dem königlichen Schloss Amalienburg und dem Zentralplatz Kopenhagens, „Kongens Nytorv“ , entfernt ist. Die langen, verzweigten Einkaufsgassen mit ihrer unglaublichen Diversität an kleinen Geschäften, Boutiquen und Cafés, der Bahnhof, die Universität und die verschiedenen Kirchen liegen im kleinen Innenstadtring nahe beieinander. Die Oper gehört zu den schönsten der Welt (die Norweger haben aus Neid sofort eine neue gebaut und als Anerkennung exklusiv das Dekolleté von Frau Merkel dazubekommen). Und wie in Amsterdam dominieren Fahrradfahrer das Straßenbild und verstärken Kopenhagens Bild einer fortschrittlichen Weltstadt.

Wenn man in eine Großstadt kommt, so nimmt man immer sehr viele neue Eindrücke wahr; man sieht und erlebt Dinge, über die man lacht, weint, nachdenkt oder sich amüsiert. Mir haben mein Aufenthalt in Dänemark, die Dänen und ihre hovedstadt wunderbar gefallen und zum Abschluss möchte ich nur noch eine wichtige Erkenntnis mit euch teilen: Trotz nordischer Schönheit, wahren Stärke und dichter Bewaldung können dänische Polizisten nicht als weihnachtliche Nordmanntanne gezüchtet werden.

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