Nach Massenvideoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und PC-Durchsuchung ist jetzt der nächste Coup zum Schutze des gemeinen Bürgers vor möglichen und unmöglichen Gefahren in Arbeit: Das Gesundheitsministerium plant die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte, kurz eGK oder in Österreich auch eCard. Das StudentenPACK informiert euch über die Details.

Bei der eGK handelt es sich um eine normale Krankenkassenkarte plus Passfoto. Noch ganz einleuchtend: Otto klaut nicht mehr Opas Herztabletten, weil Otto eben nicht aussieht wie Opa. Man zieht die eGK durch einen Scanner und erhält via PIN-Eingabe Zugang zu einem Zentralcomputer. Datenschutz und so. Auf diesem Rechner können dann die Krankendaten des Patienten gespeichert werden. Arzneimittelrezepte speichert man auch über ihn und lässt sie dann – kinderleicht – vom Apotheker lesen und bearbeiten. Hört sich auch gut an. Um den Zentralrechner zu erreichen, braucht man natürlich eine stabile Internetverbindung. Aha. Logisch. Oder vielleicht doch nicht?

Noch mal von vorne: Karte plus Passbild, Scanner mit Pin, Zentralrechner mit meinen Daten.

Welche Daten genau speichert so ein Zentralrechner?

Da unterteilt man in zwei Kategorien: 1. Pflichtangaben: Dabei handelt es sich um das erwähnte Foto des Versicherten, administrative Angaben wie Name, Geburtstag, Versicherungsnummer et cetera und schließlich das sogenannte eRezept. Das eRezept enthält Angaben über die verschriebenen Medikamente des Arztes und ersetzt das herkömmliche Papierrezept.

2. Freiwillige Angaben: Da darf man ganz allein bestimmen, ob und wie viele der freiwilligen Angaben gespeichert werden sollen. Hierzu gehören zum Ersten der elektronische Arztbrief mit Diagnosen, OPs, Überweisungen und so weiter. Erspart dem Facharzt die Telefonate beim Hausarzt von Ottos Opa, dessen Demenz wieder zugeschlagen hat.

Zweitens gibt es noch den Notfalldatensatz mit wichtigen Erstinfos wie etwa Grunderkrankungen, Allergien und Medikation. Dieses ist gedacht für den Notarzt, der erstmal ratlos vor Ottos ohnmächtig gewordenem Opa steht. Findet der Arzt Opas elektronischen Gesundheitskarte, kann er als Notarzt auch ohne PIN-Eingabe die Karte benutzen und den Notfalldatensatz abrufen, wo steht, dass Ottos Opa ganz doll verkalkte Herzkranzgefäße hat. Arzt behandelt, Opa gerettet, alle froh. Schön, schön. Wenn wirklich nur der Notarzt die Notfalldaten abrufen kann und der Rettungsdienst und das medizinische Krankenhauspersonal und… Aber wir wollen ja nichts unterstellen.

Weiter: Da ist noch eine separate Arzneimitteldokumentation. Stehen alle Pillen drin, klar. Und zum Schluß die elektronische Patientenakte: Einfach gesagt: die komplette Krankengeschichte eines Menschen. Wenn man will (Ärzte raten natürlich zur Speicherung dieser Daten, weil sich lästiger Papierkram vermeiden lässt).

Die eGK erhält jeder Bürger Deutschlands; man kann sich nicht verweigern. Ärzte, Apotheker, und Zahnärzte bekommen zusätzlich einen speziellen „Heilberufsausweis“, mit dem sie die Zugriffsberechtigung auf den Zentralrechner erhalten. Und den Notfalldatensatz, wie bei Opas Notarzt. Bisher ungeklärt und stark diskutiert ist der Zugriff durch Physiotherapeuten, Hebammen, Augenoptiker und Ähnliche.

Man muss zugeben: Der Grundgedanke der elektronischen Gesundheitskarte ist nicht schlecht. Wenn Patientendaten nur einmal erhoben werden müssen, erspart man sich viel Bürokratie und verbessert Kommunikation und Qualität der Behandlung. Papierkram verleidet jedem Arzt täglich Stunden seiner Arbeitszeit, die für Behandlungen genutzt werden könnten (und sollten). Doppeluntersuchungen, ständige Aufnahmegespräche und Fehlmedikationen werden vermieden und dadurch Zeit und Geld gespart. Viel Geld, sagen die Befürworter. Die Gegner sagen: Tatsächliche Nutznießer sind die Krankenkassen; noch nach 5 Jahren eGK-Einsatz liegen Krankenhäuser, Apotheken und Privatpraxen bei einem Minus von bis zu 1.400 Mio Euro. So steht es im Kostenvoranschlag der Betreibergesellschaft gematik. Der Betreibergesellschaft, wohl gemerkt, nicht der eGK-Gegner. Die kritisieren die gesamte Kostenberechnung: Während etwa gematik und Gesundheitsministerium Erstinstallationkosten von 1,4 Mrd. Euro nennen, gehen unabhängige Schätzungen

durch Booz Allen Hamilton oder Financial Times Deutschland von 2,0 bis 3,0 Mrd. Euro aus. Der Chaos Computer Club hält die eGK-Infrastruktur insgesamt für wirtschaftlich nicht sinnvoll. Doch was gehen uns diese unfassbaren Summen an? Ach natürlich, wir sind ja alle Steuerzahler…
Trotzdem: Der Ansatz ist gut. Punkt.

Ein Konzept mit vielen Haken.

Beginnen wir bei dem eRezept: Allein das Erstellen dauert 11-mal länger als das des bisherigen Papierrezeptes – folglich mehr Zeit- und Arbeitsaufwand für den Arzt und längere Wartezeiten für den Patienten.

Weiter: Bleibt es bei der freiwilligen Angabe des heiklen Grunddatensatzes, kann sich der behandelnde Arzt nie sicher sein, alle Infos über den Patienten zu besitzen, also muss er trotzdem ein vollständiges Erstgespräch führen, um kein Risiko einzugehen. Bedeutet, dass Opas Notarzt nicht sicher sein kann, ob Opas Herz tatsächlich versagt hat oder Opa nur vergessen hat, sich gegen seinen Diabetes zu spritzen. Darüber steht nämlich leider nichts im Notfalldatensatz. Bedeutet wiederum: Ist das Konzept der elektronischen Gesundheitskarte dann noch sinnvoll?

Anderes Problem ist die Umsetzung. In ganz Deutschland gab es bereits Testdurchläufe, wobei die eGK in Praxen und Kliniken getestet wurde. In der Testregion Flensburg musste das Projekt im März 2008 abgebrochen werden, weil 75 % der Patienten ihre PIN vergaßen oder nicht eingeben konnten. Auch 30 % der Ärzte wurden ihre Heilberufskarten gesperrt und damit arbeitsunfähig gemacht. Ich möchte betonen, dass das kein Scherz, sondern bittere Wahrheit ist. Weiterhin ungeklärt ist auch, was bei Hausbesuchen, Stromausfällen oder PC-Crashs geschehen soll.

Das größte Problem bleibt jedoch die Garantie von Sicherheit und Datenschutz.

Mittels der Personal- und Krankendaten lässt sich das Profil jedes Patienten erstellen. Sowohl Intimsphäre als auch Schweigepflicht werden dabei verletzt.

Warum die Patientendaten so sicher vor Hackern oder eben auch Mitarbeitern mit Kreditschwierigkeiten sein sollen, bleibt ungeklärt. Wissenschaftler schätzen, dass der Wert der gesamten BRD-Patientendaten auf dem freien Markt etwa 8 Mrd. Euro beträgt.

Vom Schicksal geschlagen ist Otto HIV-positiv und deswegen seit Jahren in psychatrischer Behandlung. Alles via eGK gespeichert. Und kommen diese Informationen jetzt aus Versehen über den Zentralrechner ins Netz und noch aus Versehener zu Ottos zukünftigem Arbeitgeber… Nein, soweit wollen wir lieber nicht denken. Oder vielleicht gerade doch. Denn der Missbrauch persönlicher Daten ist in Deutschland leider keine schreckliche Möglichkeit mehr, sondern seit Jahren Realität.

Nun sagen die Befürworter der eGK, mit tollen Sicherheitsfirmen garantiert man optimalen Schutz unserer Daten. Die Befürworter haben lange gesucht und sich dann für T-Systems und Atos Worldline entschieden. Toll! Leider ist TSystems verantwortlich für diverse Telefondaten- und Abhörskandale seit 2005 und unter der Aufsicht von Atos Worldline verschwanden mehrere zehntausend Daten von Berliner Bankkunden. Rätselhaft bleibt, warum die Patientendaten nicht direkt auf der eGK gespeichert werden. Diese Idee, aufgebracht vom Chaos Computer Club, wird bis jetzt als zu „unsicher“ abgewehrt.

Und plötzlich erscheinen einem die entsetzten Einwände des Chaos Computer Clubs, diverser    Ärztevereinigungen    wie    dem Bundesverband Deutscher Ärztegenossenschaften, der Deutschen Aids-Hilfe e.V. und vieler (wirklich vieler) anderer doch nicht mehr so sicherheitsfanatisch oder überzogen kritisch, sondern sehr verständlich.

Niemand möchte seine Krankengeschichte in den Händen Dritter sehen. Die Konsequenzen eines Datenverlustes sind unabsehbar. Warum geht man diese Risiken ein? Eine befriedigende Antwort gibt es nicht. Eine Reaktion schon: Man kann seine Unterschrift unter die von 500.000 anderen setzen und damit gegen die Einführung der eGK protestieren. Und sollte sie doch umgesetzt werden, keine freiwilligen Angaben machen! Man hat davon keine Nachteile (es bleibt eben alles wie bisher), hebelt jedoch das komplette Konzept aus, macht es unrentabel und beschleunigt damit seine Abschaffung.

Natürlich gilt: Selber informieren. Und vielleicht trifft man sich ja demnächst – beim Protest gegen einen der unglaublichsten Datendelikte seit Neugründung der BRD. Otto ist auch dabei.

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