„So ging dat zu in den Fourties.“Lukas Ruge | StudentenPACK.

„So ging dat zu in den Fourties.“

Irgendwas ist anders als sonst. Der Hörsaal ist voll besetzt, das Durchschnittsalter höher als in den üblichen Vorlesungen, vorne steht ein Tisch, mit Wasserflasche und zwei Gläsern, zwei Stühle. Dann kommt er herein, der Star des Abends: Michael Schmidt, besser bekannt als Smudo von den Fantastischen Vier. Der Mann, der den deutschen HipHop begründet und salonfähig gemacht hat, der „Private”, dem kleinen Pinguin aus „Madagascar“, und Snoop Dog zu einer deutschen Stimme verholfen hat. Der Mann, der aus Günter Grass’ Blechtrommel vorlesen soll. Er trägt Jeans und Hemd, das Mikro lässig in der Gesäßtasche. Was tun? Wissenschaftlich klopfen, frenetisch applaudieren? Smudo löst dieses Problem mit einem Lächeln und einem „Sie dürfen jetzt klatschen!“. Und während er von Jörg-Philipp Thomsa vom Günter-Grass-Haus vorgestellt wird, stellt er sich zunächst selbst vor Publikum und Presse und macht einige Fotos.

Für seine eigene Biographie zeigt Smudo kein besonders großes Interesse. Doch er blüht auf, als es sich um das Buch dreht, aus dem er vorlesen wird, fragt, wer es schon gelesen hat. Einige Hände gehen nach oben, doch lang nicht alle. Smudo, sichtlich amüsiert, gesteht, dass auch er nicht über die ersten vier Kapitel hinausgekommen sei, das aber bestimmt nachholen wird, wenn er „in Popstar-Pension“ ist. Aber den Film habe er gesehen und sei überrascht gewesen, wie sehr sich die berühmte Rock-Szene gleich zu Beginn in Buch und Film unterscheide. Dann beginnt er zu lesen; langsam, bedächtig betont er die Worte, um sich bei der zuvor genannten Szene selbst zu unterbrechen: „Das ist jetzt Grass-Style!“ Er liest weiter, seine Geschwindigkeit immer an den Fluss der Geschichte angepasst, lässt Bilder von Landschaften entstehen, verleiht den Charakteren seine Stimme.

Als das erste Kapitel abgeschlossen ist, betritt Thomsa wieder die Bildfläche. Er befragt Smudo zu seinen Eindrücken zum Buch, zu seiner Haltung gegenüber Grass. Smudo spricht wieder vom „Grass-Style“. „Die Präzision ist total irre, es ist Grass-mäßig, wie alles beschrieben ist“, man wisse genau, wie es da aussieht, bekomme eine ganz klare Vorstellung. Den Namen Grass kenne er aus seiner Teenager-Zeit. Er, der aus einem sozialdemokratischen, eher spießigen Elternhaus stamme, sei mit dem Namen durchaus in Kontakt gekommen, konnte sich aber viel mehr für den HipHop begeistern. Als Autor nahm er Grass dann erst sehr viel später wahr. Die Blechtrommel habe er gleich gekauft, nachdem das Günter-Grass-Haus angefragt hatte. Er fand das Buch sofort spannend und zeigte sich überrascht, wie viel von der Präzision im Film übernommen wurde, war begeistert, wie Grass mit einfachen Worten die teilweise schockierenden Geschehnisse umschreibe. „Trotzdem hatte ich beim Lesen gleich den Eindruck: So ging dat zu in den Fourties.“

Was ihn mit Grass künstlerisch verbinde? Smudo scheut offensichtlich den direkten Vergleich mit dem Autor: „Ich schreibe Unterhaltungsverse; Grass, das ist Lyrik.“ Für ihn seien Bücher aber immer Inspirationsquellen. Dort finde er neue Wörter, die er in seine Verse einbringen kann. Auch könne man den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund beider Künstler nicht vergleichen. Grass ist politischer geprägt, direkt vom 2. Weltkrieg beeinflusst. Smudo sehe sich selbst als Kind der 80er- und 90er-Jahre, was sich auch in seiner Musik widerspiegele. Beide Kunstformen seien komplett unterschiedlich, lediglich, dass sie beide mit Buchstaben arbeiten, sei eine Gemeinsamkeit. Dennoch ist der Schaffensprozess seiner Lieder aufwändig, komplex, fast schon handwerklich. Per Kopfhörer höre er einen Rhythmus immer wieder, sitze dabei in Cafés, die Getränkefolge immer die gleiche: Erst Kaffee, dann Tee, dann Wasser, dann Wein. Zwei bis vier Stunden täglich. Es sei nicht immer einfach, auf Knopfdruck kreativ zu sein: „Ideen zu finden ist das Beschissenste an diesem Job!“ Schon in der Schule habe es ihn „angekotzt“, wenn er vor einem weißen Blatt Papier saß und keine klaren Anweisungen hatte. Eine weitere Herausforderung sei es, die Kreativität über Jahrzehnte hinweg aufrecht zu erhalten. Er habe immer wieder Ideen, stelle dann aber beim Schreiben fest, dass er die bereits behandelt hat. „Alles wurde schonmal geschrieben, jeder Reim war irgendwie schonmal da!“ Teilweise schreibe er einen kompletten Aufsatz darüber, was alles in das Lied hinein soll. Dieser Prozess ziehe sich meist über Monate. Es gibt eine Art Fahrplan, schon lange bevor der eigentliche Text da ist. Ideen werden auf Pinnwänden gesammelt. Zunächst seien die Lieder zusammenhangslos und fänden erst durch die Zusammenstellung auf dem Album ihren Kontext, der aber auch von jedem Hörer individuell beurteilt würde.

Dabei stehe immer noch der eigene Anspruch über allem anderen. Es müsse einem selbst gefallen, sonst könne man es nicht so auf die Bühne bringen, wie es sein soll. Im Endeffekt wolle jeder Künstler – egal, ob Grass oder Smudo – für seine Arbeit geliebt werden. „Geld und Leben ist zwar eine Einheit, aber geliebt zu werden ist die eigentliche Motivation“, begründet er seinen Perfektionismus und seinen Ansporn, weiter zu machen.
Weiter geht nun auch die Lesung. Ein Kapitel, das aus verschiedenen kurzen Erzählsträngen besteht. Die Stränge überschneiden sich, nehmen sich gegenseitig auf, eröffnen neue Blickwinkel und werden mit zunehmender Zahl immer kürzer. Der Redefluss wird schneller, jeder andere hätte sich überschlagen beim Vorlesen. Doch Smudo beherrscht die Kunst des Wortes, bringt alles auf den Punkt, zieht alle in seinen Bann. Als er das Buch zuklappt, braucht keiner mehr eine Aufforderung: Jetzt klappt es auch so mit dem Applaus.

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