“Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten” sagt der junge Mann mit dem winzigen Megaphon in der Hand. Es ist drei Uhr Nachmittag Uhr und vor ihm stehen etwa 200 oder 300 autonome Linke, viele von ihnen sehr Jung, die gerade unangemeldet den Demoort verlassend und, den Verkehr massiv behindernd die Willy Brand Allee runter gewandert sind. Jetzt haben sie anscheinend zwei Möglichkeiten. “Wir können”, fährt der Junge Mann fort “entweder in die Stadt marschieren, oder…” der Zug setzt sich Ruckartig in Bewegung in Richtung der Stadt, die Willy Brand Allee wieder runter, was die zweite Möglichkeit ist werden wir nie erfahren.

Ich und ein paar Kommilitonen ziehen mit ihnen, weniger aus Gesinnung, viel mehr aus Neugierde.

Fünf Stunden vorher hatten wir uns auf dem Bahnhofsvorplatz eingefunden, zur Demonstration gegen den Aufmarsch der Neonazis in Lübeck. Zu dieser Gegendemonstration hatte auch das Studierendenparlament und der AStA aufgerufen, gekommen sind dennoch eher wenige Studenten. Viele kommen von der Linken, den Grünen und der SPD, manche von den Gewerkschaften, reichlich kommen aus Lübecks Kirchen. Die meisten aber, würden sich wohl selbst als Antifa bezeichnen. Sie tragen Schwarz, Sonnenbrille, manche sind vermummt. Oft fast noch Kinder. So stehen wir nun da, laut Polizeiangaben ca 2000 Personen und hören Bürgermeister Saxe (SPD) sagen, es gäbe in Lübeck keinen Raum für Nazis, während seine Polizei sich darauf vorbereitet den NPD-Zug abzusichern. Wir stehen eine ganze Weile, eine Rede nach der anderen. Wir gedenken den 90 Juden die in der NS-zeit vom Lübecker Bahnhof aus nach Riga deportiert wurden.

Wir warten. Wir warten darauf, das die Neo-Nazis kommen, denn noch sind wir eine Gegendemonstration ohne Demonstration. Gegen Mittag kommen sie in ihren Zügen aus Kiel, aus Hamburg. Kleine Gruppen beginnen damit den Nazi Aufmarsch zu stören. Einige Linke hatten sich in der Nähe der rechten Versammlung versteckt doch die Polizei verhindert ein aufeinander treffen der Gruppen. Zwei Personen sind auf den Bahnhof geklettert und seilen sich ab. Auch das bleibt weitgehend ohne Folgen. Kurz nach zwölf, nachdem Sitzblockaden geräumt sind, und es, zumindest sagte uns das die Demoleitung, auf Seiten der Linken erste Verletzte durch die Polizei zu beklagen gibt setzt sich der Aufmarsch der ca. 300 Nazis in Bewegung. Immer wieder versuche Linke am Bahnhof zu stören, die Polizei setzt Pfefferspray und Schlagstöcke ein.

Schon 20 Minuten später hat sich die Situation vor dem Bahnhof gefährlich hochgekocht. Inzwischen ist die Polizei deutlich stärker vertreten, es rollen Wasserwerfer auf, es kommt zu rangeleien zwischen demonstranten und Polizei am Haupteingang des Bahnhofes. Die Lage ist angespannt.
Ab 12:40 unternehmen die linksautonomen Demonstranten immer wieder Versuche über die gesperrten Brücken zu kommen, sie bleiben eigentlich alle erfolglos. Immer wieder müssen einige der insgesamt 1800 Polizisten aus Schleswig Holstein und anderen Bundesländern Schlagstöcke einsetzen. Neben dem Holstentor, am Gewerkschaftshaus, hängt inzwischen ein gigantisches Banner “Kein Sex mit Nazis!”.

Die gemeinten Nazis haben währenddessen ihre Kundgebung am Ziegelteller begonnen, und müssen 30 Minuten später auch schon wieder Schluss machen. Mehr Redezeit haben sie nicht. Sie beginnen nun den Marsch zurück zum Bahnhof.

Vom Bahnhof aus setzt sich ungefähr gleichzeitig jener Zug von Antifa-Demonstranten in Bewegung dem auch ich mich spontan anschließen werde. “Planlos” wie es die LN in ihrem Bericht nennen wird, zieht man Richtung Hostentor, dann die Willy Brand Alle runter, dann zurück zum Holstentor, dann aber nicht wie beschlossen in die Stadt sondern doch in Richtung Bahnhof, aber dann doch nicht zum Bahnhof sondern die Hansestraße runter.

Als der Zug versucht über die Marienbrücke zu den Nazis durchzustoßen sieht er sich mit einem massiven Polizeiaufgebot konfrontiert. Zwar lässt die Polizei über Lautsprechernalage verlauten, dass die Demonstranten bitte keine Polizisten angreifen mögen, aber die jungen schwarz vermummten Leute sind jetzt wohl genau in ihrem Ellement.
Ich weiß nicht was genau geworfen wurde, ich glaube nicht, dass irgend ein Polizist getroffen wurde, dafür waren wir alle noch zu weit weg, aber Sekunden später schießen die Wasserwerfer über die Straße, Schwaz gekleidete Polizisten laufen auf uns zu und wir schauen das wir wegkommen.

“Im Bereich der Hansestraße wurden die Einsatzkräfte der Polizei zum Teil massiv von dunkel gekleideten und Vermummten mit Gegenständen beworfen.” heißt es nachher bei LN-Online. Den einzigen Gegenstand von dem ich gesehen habe, dass er einen Polizisten traf war ein Brötchen, aber sicher kann ich mir nicht sein, denn ich habe geschaut, dass ich Abstand behalte.
Bis 16:00 werden 77 Personen in Gewahrsam genommen.
Danach beruhigt sich die lage langsam wieder, die Demonstranten ziehen sich erst zum ZOB zurück, dann auf den Bahnhofsvorplatz. Eine Stunde später verschwinden die letzten zugereisten Nazis.
Was solche Demos angeht war es wohl eine recht friedliche, und das ist auch gut. Wie jede Gruppe haben leider auch wir, die wir uns für Toleranz und Integration einsetzen wollten, unsere Störer, Menschen denen es nicht um die Ideologie geht, sondern um eine Schlägerei. Diese Menschen schädigen natürlich auch das Bild der Gegendemonstration. 176 festnahmen, fast alle Mitglieder der links autonomen Szene, stellt nachher der Polizeibericht fest. Genauso war aber auch dieses Jahr, wie auch schon letztes Jahr zu bemerken, dass die Polizei manchmal zur Überreaktion neigt, zu schnell den Schlagstock zieht. Aber hier war im Vergleich zum Vorjahr deutliche Verbesserung zu bemerken.

Es bleibt meine Hoffnung, dass sich die NPD so schnell selbst zermürbt, dass es uns erspart bleibt weiter jährlich hier in Lübeck gegen sie zu Demonstrieren, wenn dies aber doch nötig sein sollte, so würde ich mich über regeres Interesse der Studenten sehr freuen. Denn angemeldet sind NPD Demonstrationen in Lübeck für die nächsten 2 Jahre.

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