Rostock, heute Bezirksstadt, ist eine große mecklenburgische Stadt. Historisch tritt die alte Hansestadt als Gründungsort der ersten Universität Nordeuropas 1419 in Erscheinung. So schaut die Universität auf eine lange und bedeutungsvolle Entwicklung und Tradition zurück. Es ist interessant zu wissen, daß die Alma mater Rostochiensis in den Jahren 1487 – 88, als Rostock unter päpstlichem Bann stand, vorübergehend in die Hansestadt Lübeck verlegt war. Heute ist Rostock der bedeutendste Seehafen des Landes mit entsprechender Industrieansiedlung. Die Altstadt läßt auch noch heute ihre einstmalige Schönheit erahnen. Es gibt einige behutsam eingefügte, schmucke Neubauten. Für momentane Verhältnisse sollen der bauliche Zustand der Stadt und die Luftverschmutzung durch Braunkohlehausbrand im landesweiten Durchschnitt relativ gut sein – ich enthalte mich einer Wertung, da für mein Verständnis die dortigen Zustände, für jeden, der sie nicht selber gesehen hat, nicht nachvollziehbare sind.

Das Medizinstudium

Bisherige Zulassungsvoraussetzungen waren: überdurchschnittliche Abiturleistungen (Abitur nach der 12. Klasse; N.C. 1,0 – 1,2); Mädchen mußten vor der Studienzulassung ein Jahr in der Krankenpflege arbeiten, Jungen in der Regel drei Jahre “freiwilligen” Militärdienst leisten. Hinzu kam gesellschaftliches Engagement. Diese Zulassungspraxis ist im Umbruch.

Das Studium ist ähnlich wie hier aufgebaut. In Rostock studieren pro Studienjahrgang 180 Humanmediziner und 40 Zahnmediziner (= Stomatologen), die weitgehend unabhängig von den Humanmedizinern ausgebildet werden. Das Studium gliedert sich in zwei Jahre Vorklinik mit anschließendem mündlichen Physikum, das bisher von 80% der Studenten eines Jahrganges bestanden werden mußte. Darauf folgt eine dreijährige klinische Ausbildung, die mit Staatsexamen und Diplomarbeit (z.Z. in Diskussion) abgeschlossen wird. Es folgt noch ein dem PJ entsprechendes Jahr, in dem die Studenten in der Klinik arbeiten und auch schon bezahlt werden.

Daran schließt sich, bisher problemlos, die durchschnittlich fünfjährige Facharztausbildung an. Zusätzlich zum Fachstudium müssen die Studenten zwei Fremdsprachen und früher Marxismus-Leninismus, heute eine Gesellschafts- oder Geisteswissenschaft, belegen. Das Studienjahr gliedert sich in zwei 15 Wochen-Semester (Sep. – Mitte Jan., März – Mitte Juni). Die vorlesungsfreie Zeit dient Praktika und wissenschaftlicher Arbeit; Diplom, Promotion und projektbezogene Forschung. Es sei angemerkt, daß die Habilitation zum Titel Dr. sc. med. führt. Viele Studenten beginnen schon früh, wissenschaftlich zu arbeiten. Sechs Wochen im Sommer sind frei.

Das Anatomische Institut, in einem einstmals schmucken, eigens errichtetem Backsteingebäude untergebracht, hat schon sehr lange keine umfangreichen und seit 20 Jahren überhaupt keine Investitionen mehr gesehen (Der Eingangsbereich ist wegen Baufälligkeit großzügig abgesperrt, das Dach auch nicht mehr richtig dicht …). So sind die Arbeitsbedingungen im Inneren z.T. durchaus abenteuerlich, die materielle Ausstattung regt sehr zur Improvisation an. Unter diesen Bedingungen kann die erbrachte wissenschaftliche Arbeit in dem vom Institut bearbeiteten Nischen nicht hoch genug anerkannt werden. Zum einen werden sehr beachtenswerte Ergebnisse erzielt, zum anderen ist das Engagement und die Arbeitsleistung der Mitarbeiten sehr eindrucksvoll. Zur Klinik gibt es zwar viel zu sagen, ich fasse mich aber kurz: Wer lernen möchte, mit einfachen Mitteln, viel Erfahrung und Improvisationskunst auch komplexe Krankheitsgeschehen angemessen zu therapieren, wird hier zum Teil Eindrucksvolles finden und sehr viel lernen können. Probleme und Mangel gibt es aber mehr als genug. Interessenten (Famulatur, PJ?, AiP, Assistenzarztstellen, aber auch Promotion und Habilitation) sollten sich momentan nicht an übergeordnete Dienststellen, sondern direkt persönlich an die
Kollegen bzw. Kliniken wenden.

Studentenleben

Studenten sind in der Regel im Internat = Wohnheim untergebracht. Es ist üblich, daß sich zwei bis sechs (!) Studenten ein Zimmer, zum Teil noch renovierungsbedürftig, teilen müssen. Wie die Kommilitonen so lernen können, ist mir ein Rätsel. Tatsache ist: Es geht, bisweilen eindrucksvoll gut. Ein Teil der Studenten ist aus dieser Situation heraus dazu übergegangen, »Schwarzwohnungen«, d.h. nicht mehr zu vermietende Wohnungen, öffentlich geduldet einfach wieder notdürftig herzurichten und zu beziehen. Diese können dann sogar sehr schön sein, stellen aber auf jeden Fall die Ausnahme dar. Der Wohnraum darf momentan als das größte Problem aufgefaßt werden. Darüber sollte sich jeder, der dorthin fahren oder auch arbeiten möchte, keine Illusionen machen – insbesondere, wenn er nur hiesige Verhältnisse kennt. Jeder Student erhält ein staatliche Stipendium von 200 + leistunsabhängig 60 – 350 Mark, mit  dem ein Student eigentlich leben kann, kostet doch das Bett im Studentenwohnheim 10 Mark im Monat, das Mittagessen in der Mensa 60 Pfennige.

Doch ist die Versorgung mit Arbeitsmaterialien zum Teil problematisch, da z.B. in der Physiologie – wie auch hier – das Lehrbuch von Schmidt und Thews als Standard angestrebt wird; hier mit Hörerschein für 100 DM erhältlich, dort gebraucht für 800 Mark und mehr gehandelt. In der Anatomie ist bei den Studenten auch durchaus der »Waldeyer« von 1943 als Lehrbuch en vogue. Überall brandete mir von den Kommilitonen her ein sehr großes Interesse, unsere Ausbildungssituation und Universitäten kennenzulernen, entgegen. Dem Wunschgedanken, einfach einmal hierher kommen zu wollen, begegnete ich häufig. Auch bei vielen jungen Wissenschaftlern besteht, ich glaube, sagen zu dürfen, sehr verständliches Interesse, die hiesige »Universitätswelt« kennenzulernen. Betonen möchte ich, daß man meines Erachtens auch in Rostock eine Menge lernen und Erfahrungen sammeln kann, die hier nicht ohne weiteres zu erlangen sind. Ich kann nur jedem empfehlen, selber dorthin zu fahren. In diesem Zusammenhang bitte ich auch die Austauschadressen des AStAs zu beachten.

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