Wie auch über andere Themen, die die Bereiche Leben und Tod, Sexualität und damit verbundene Ängste ansprechen, wird über den Umgang mit AIDS sehr kontrovers diskutiert. Die Diskussionen berühren oft grundlegende Werte der Diskutierenden. Dies mag die Heftigkeit und manchmal unerwartete Position mancher Aussage erklären. Ein »Schlachtfeld« ist die Diskussion um rechtliche Maßnahmen. Im folgenden sollen einige juristische Begriffe und Argumentationen dargestellt werden. Die Schwerpunkte liegen auf dem Bundesseuchengesetz, dem HIV-Test und dem Strafrecht. Die Grundlage für den Artikel bildet das Buch “Rechtsratgeber AIDS” von Jürgen Wolff, Sabine Mehlem und Stefan Reiß (rororo aktuell 12471) sowie der Vortrag von Stefan Reiß im Rahmen der Ringvorlesung AIDS. Aspekte des Arbeitsrechtes und des Sozialrechtes werden bei Interesse in der nächsten Ausgabe beleuchtet.

Geschlechtskrankheitengesetz

Aufgrund der Übertragungswege kann AIDS als eine Geschlechtskrankheit angesehen werden. Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten gilt dennoch nicht für AIDS, da es in § 1 heißt: »Geschlechtskrankheiten im Sinne dieses Gesetzes sind (1) Syphilis, (2) Tripper, (3) Weicher Schanker, (4) Venerische Lymphknotenentzündung.«

Bundesseuchengesetz

Das Bundesseuchengesetz wird von vielen als die Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen die Ausbreitung der HIV-Infektion gesehen. In der Tat weist AIDS die Definitionsmerkmale des § 1 des BSeuchG auf: »Übertragbare Krankheiten im Sinne des Gesetzes sind durch Krankheitserreger verursachte Krankheiten, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden können« Das BSeuchG kann, muß aber nicht angewendet werden, denn AIDS wird im Gesetzestext nirgends namentlich erwähnt.

Drei Kriterien schränken die Artwendung des Seuchenrechts im konkreten Krankheitsfall ein: Die übertragbare Krankheit muß schwerwiegende gesundheitliche Schäden verursachen, es muß eine allgemeine Ansteckungsgefahr bestehen, und die Ausbreitung darf nicht durch Einhaltung einfacher hygienischer Maßnahmen vermeidbar sein. Für AIDS trifft nur das erste Kriterium zu. Fazit: Nur in ganz bestimmten Fällen ist das BSeuchG auf HIV-Infisierte und AIDS-Kranke anwendbar. Das BSeuchG dient der Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten. Es darf kein anderer Zweck damit verbunden werden, und die Maßnahmen dürfen nicht kontraproduktiv sein. Das Gesundheitsamt kann Verdächtige vorladen und Gelegenheit zur- Stellungnahme geben. Nur wenn auch nach einer Beratung eine konkrete Gefahr besteht (Ansteckungsverdacht + Verdächtiger kündigt Verhalten an, das eine Infektionsgefahr für die Allgemeinheit bedeutet), kann das Amt einen HIV-Test anordnen. Hier zeigt sich die Absurdität des Verfahrens, denn ein negatives Testereebnis kann den Ansteckungsverdacht nicht klären, und der Test ist damit eigentlich eine ungeeignete Ermittlungsmaßnahme. Bei »Unbeiehrbaren« könnte das Gesundheitsamt den Test anordnen, um die Grundlage für die Anordnung von Schutzmaßnahmen zu ermitteln. Doch wie könnten die aussehen? Ein positives Testergebnis reicht für eine Zwangsisolierung nicht aus. Die Anschlußmaßnahmen müssen jedoch vor dem Test benannt werden um die 2 Zumutbarkeit überprüfen zu können.

Wie im Strafrecht (s.u.) stellt sich die Frage, wer eigentlich verantwortlich handelt, denn der Partner, der sich nicht schützt, setzt sich bewußt einem Infektionsrisiko aus. In den Begriffen des Polizei- und Ordnungsrecht (worunter das Seuchenrecht fällt) bedeutet das den Unterschied zwischen Störer und Nichtstörer. Störer ist nur derjenige, der eine konkrete Gefahr hervorruft. Von einem HIV-Infizierten geht aber keine unmittelbare Gefahr aus. Erst beim ungeschütztem Sex mit jemanden veranlaßt der Infizierte durch die gemeinsame Handlungvielleicht eine Gesundheitsstörung. Der Infizierte ist somit nicht Störer, sondern Veranlasser einer Störung, die durch, einen anderen ausgeführt wird, und damit grundsätzlich Nichtstörer: Gegen ihn darf mit Mitteln des Seuchenrechts nicht ohne weiteres vorgegangen werden.

Der HIV-Test

Einige kurze Anmerkungen zum Test vorweg. Mit dem ELISA-Verfahren werden Antikörper gegen das HIV-1 nachgewiesen. Der hohe Anteil von falsch positiven Resultaten macht einen Referenz-

Test nötig: Western Blot oder Immunofluoreszenz-Verfahren. Falsch negative Ergebnisse des ELISA werden nicht verhindert. HIV-2 wird nicht erfaßt, aber bisher waren fast alle mit HIV-2 Infizierte auch mit HIV-1 infiziert. In der Regel sind die Antikörper 2-3 Monate nach Infektion nachweisbar, der Zeitraum kann aber erheblich länger sein. Bei einigen der Virustragenden Patienten lassen sich keine Antikörper nachweisen, auch wenn manche schon Krankheitssymptome haben.

Der HIV-Test bzw. die Blutabnahme stellt eine Körperverletzung dar (§ 223 des StGB). Die Körperverletzung ist legal, wenn eine Einwilligung der Betroffenen vorliegt – und der Eingriff nicht gegen die guten Sitten verstößt (§ 226 StGB). Zudem hat der Patient das Recht zu bestimmen, welche Untersuchungen mit dem entnommenen Blut gemacht werden dürfen.

Zivilrechtlich gesehen schließt der hilfesuchende Patient mit dem Arzt einen Vertrag ab. Das ärztliche Handeln muß drei Grundvoraussetzungen genügen: Der Eingriff muß einen Nutzen für den Patienten Zumindestens erhoffen lassen, das Einverständnis des aufgeklärten Patienten muß vorliegen, und der Arzt muß die erforderliche Sorgfalt walten lassen.

Es sind drei Fälle denkbar, bei denen ein Arzt eine stillschweigende Einwilligung des Patienten in den HIV-Test vorraussetzen kann.

Beim »Check up« verlangt der Patient eine allgemeine Gesundheitsüberprüfung, in der nach allgemeiner juristischer Sicht auch die Einwilligung in erförderliche Laboruntersuchungen inklusive dem HIV-Test enthalten ist.

Wünscht ein Patient die Ursache für unklare Symptome zu erfahren, so sei die Einwilligung zum HIV-Test nach Meinung vieler Juristen gegeben. Unklar ist jedoch, welche Symptome vorliegen müssen, um einen HIV-Test zu veranlassen. Ein einfacher Schnupfen reicht jedenfalls nicht. Im dritten Fall ist an eine mutmaßliche Einwilligung im Notfall zu denken. Allerdings darf der Arzt den HIV-Test nur dann machen, wenn er in den unterstellten Untersuchungsauftrag fällt, was kaum jemals der Fall sein dürfte. Ist bekannt, daß der Patient die Untersuchung ablehnen würde, ist eine mutmaßliche Einwilligung ausgeschlossen. Die allgemeine Einwilligung eines in ein Krankenhaus aufgenommenen Patienten in alle von Ärzten erforderlich gehaltene Untersuchungen schließt den HIV-Test nicht ein. Es gibt auch keine rechtfertigen Notstand für das Personal, da das Infektionsrisiko nicht über das übliche Maß hinausgeht.

HIV-Tests werden in der Regel kostenlos und anonym von Gesundheitsämtern vorgenommen, auch ohne diagnostische Notwendigkeit. Niedergelassene Ärzte können nach der Reichsversicherungsordnung den relativ teuren Test nur bei Verdacht auf eine AIDS-Erkrankung abrechnen, mit Ausnahme in Bayern, dort muß kein Verdacht vorliegen. Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung bezahlen die Krankenkassen den Test. Ansonsten besteht eine Leistungspflicht der Krankenkassen nur, wenn AIDS-verdächtige Symptome vorhanden sind.

Vor dem Test muß eine ausführliche Beratung stehen (s.a. unten). Sie gehört zu den Pflichten des Arztes. Erfüllt der’ Arzt diese Pflicht nicht angemessen, muß er eventuell für die olgen (z.B, Invalidität nach Selbstmordversuch) haften. Zu den Pflichten des Arztes gehört es auch, das Ergebnis eines HIV- Testes mitzuteilen, unabhängig davon, ob er nun positiv oder negativ ausgefallen, legal oder illegal gemacht worden ist.

Blutspende

Jede Spende wird unter anderem auch auf HIV-Antikörper untersucht. In dem Fragebogen, den der Spender auszufüllen hat, wird darauf hingewiesen, daß etwaige vom Normalen abweichende

Befunde dem Arzt mitgeteilt werden, der die Befunde dem Spender mitteilen muß. Hier fehlt die vörherige Beratung,

 Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung

Im August 1987 wurde ein freiwilliger HIV-Test in die Mutterschaftsrichtlinien der Krankenkassen aufgenommen. Der Test soll erst nach ausführlicher Beratung erfolgen. Weder Beratung noch ein etwaiger Test sollen im Mutterpaß dokumentiert werden. Bei einer HIV- Infektion ist die medizinisch-soziale und die eugenische Indikation zum Abbruch gegeben.

Sich testen lassen?

Die Frage läßt sich nicht einfach mit »Ja« oder »Nein« beantworten, auch wenn das viele glauben machen wollen. Der medizinische Nutzen des Testergebnisses ist sehr fraglich, eine kausale Behandlung gibt es ja (noch) nicht. Und kann und sollte man sich und andere mit dem Testergebnis »positiv« besser schützen als ohne Test oder dem Ergebnis »negativ«?

Auf jeden Fall gilt: Diese Frage sollte nur in einem Gespräch mit einem kompetenten Berater entschieden werden, denn die Konsequenzen, die sich aus dem Testergebnis ergeben (könnten), müssen bedacht werden. Die Entscheidung hängt jedenfalls stark von der jeweiligen Lebenssituation dessen, der sich testen lassen möchte, ab.

Straf recht

Dies ist wohl der umstrittenste juristische Bereich. Um das Durcheinander möglichst klein zu halten, werde ich von einem juristischen Begriff zum nächsten gehen.

Handlung. 

Nach deutschem Rechtsverständnis kann jemand nur für eine Tat, nicht für den Gedanken bestraft werden. Die Tat muß willentlich gesteuert sein. Geschlechtsverkehr ist in diesem Sinne eine Handlung.

Erfolg. 

Neben der Handlung an sich ist der mögliche Erfolg von Bedeutung, bei AIDS die Ansteckung (was nicht alle als Tatbestand der Gesundheitsbeschädigung ansehen) und der eventuell folgende Tod. Desweiteren spielt eine Rolle, wer »Schuld« am riskierten oder eingetretenen Erfolg ist, der Täter oder das Opfer.

Handeln auf eigenes Risiko. 

Weiß ein Partner um die HIV-Infektion des anderen und geht ein Infektionsrisiko ein, handelt er auf eigenes Risiko. Die Handlung des »Positiven« ist nicht strafbar. Die Staatsanwaltschaft in Kempten sah zwar Anfang 1988 in dem Wunsch einer 17 jährigen Schülerin, mit ihrem 29jährigen HlV-infizierten Freund ohne Kondom schlafen zu wollen, keine Rechtfertigung für den Freund, da die Körperverletzung sittenwidrig sei. Der Richter befand jedoch, daß der Grundsatz des Handelns auf eigene Gefahr nicht einfach durch Anwendung des § 226a in diesem Bereich ausgeschaltet werden könne.

Wissen beide Partner nicht, ob sie HlV-infiziert sind, handeln beide auf eigene Gefahr. Problematisch wird es, wenn sich einer durch Risikoverhalten einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt hat und es dem Partner nicht sagt. Entscheidend dafür, ob damit der ungeschützte Geschlechtsverkehr einen Tatbestand darstellt, ist, ob sich der Partner in Kenntnis der Vorgeschichte vielleicht anders entschieden hätte.

Die Dinge liegen anders, wenn beide um das Risikoverhalten des anderen wissen. Schlägt ein Stricher seinem Freier vor, safer Sex zu machen und der lehnt ab und zahlt 50,- DM mehr für »ohne«, so liegt aus juristischer Sicht kein Tatbestand der Gefährdung des anderen Gesundheit vor: Beide kennen das Risiko des anderen.

Überlegenes Sachwissen. 

Lebt ein Paar in einer Beziehung, in der Treue selbstverständlich ist, zusammen und geht einer doch mal fremd, infiziert sich, läßt sich testen und ist HIV-positiv, hat derjenige ein überlegenes Sachwissen, denn nur er kennt das Risiko. Zumindest nach reiner (Rechts-)Lehre macht sich eine Prostituierte nicht dadurch strafbar, daß sie einem Freier ihren »positiven« Status verschweigt. Oft wird aber (auch von Gerichten) argumentiert, daß auch eine Prostituierte, die um ihre HIV-Infektion weiß, damit ein überlegenes Sachwissen habe und mit dem Verschweigen den Freier über die Höhe des Risikos einer Ansteckung täusche. Grundsätzlich müsse jeder, der weiß, daß er mit HIV infiziert ist, seinen Partner über das Risiko aufklären und sich auf safer Sex beschränken, ansonsten mache er sich strafbar. Aus juristischer Sicht kann es also von Vorteil sein, seinen seropositiven Status nicht zu kennen.

Vorsatz. 

Nur dem, der mit Wissen und Wollen (vorsätzlich) handelt, droht Strafe. Daneben stellt sich noch die Frage, ob das Opfer auf eigene Gefahr gehandelt hat (s.o.).

Bedingter Vorsatz.

Im Fall eines Mordes oder Totschlages (in den Augen einiger Richter zählt dazu schon ungeschützter Geschlechtsverkehr) genügt für die Strafbarkeit ein bedingter Vorsatz. Der liegt vor, wenn der Täter die Konsequenzen seines Handelns billigend, d.h. bewußt in Kauf nimmt.

Bewußte Fahrlässigkeit. 

Darunter fällt z.B. das unverantwortliche Vertrauen darauf, daß es nicht zur Ansteckung kommen wird. Bewußte Fahrlässigkeit schließt die Strafbarkeit wegen Vorsatz und damit wegen Totschlags aus.

Versuchter Totschlag. 

Da kaum zu beweisen sein wird, daß genau der fragliche Geschlechtsverkehr zur Infektion geführt hat (was aber die Voraussetzung zum Schuldspruch wegen Totschlags ist), bleibt sozusagen als »Ausweg« der strafbare Versuch. Wie beim Totschlag auch kann aber aus dem Wissen um die Gefahr nicht auf das Wollen einer Infektion geschlossen werden. Bestehen Zweifel am bösen Willen des Täters, fehlt es am Tötungsvorsatz.

Körperverletzung. 

Die Infizierung mit HIV erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung, Erst muß jedoch geprüft werden, ob eine Strafbarkeit nicht ausgeschlossen ist, weil das Opfer auf eigenes Risiko gehandelt hat (s.o.).

Gefährliche Körperverletzung. 

Allein die Möglichkeit eines tödlichen Risikos reicht, um den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung zu erfüllen.

Schwere Körperverletzung. 

Wenn eine der in § 224 StGB aufgezählten Folgen fahrlässig oder (bedingt) vorsätzlich verursacht wurde, wird eine Körperverletzung schwer. Bei AIDS käme z.B. Siechtum, dauernde Arbeitsunfähigkeit und Geisteskrankheit in Frage.

Versuchte gefährliche Körperverletzung. 

Wegen Beweisproblemen weichen Richter und Staatsanwälte immer häufiger auf die Strafbarkeit von versuchten Delikten aus. Versuchte Körperverletzung ist nicht strafbar, versuchte gefährliche Körperverletzung wohl. Die Frage ist hier, ob eine Lebensgefahr vorlag und wie hoch das Risiko anzusetzen ist. Obwohl es nicht zur Ansteckung ihrer Freier gekommen ist, wurde z.B. eine Prostituierte in München, die mindestens viermal ohne Kondom und ohne ihre HIV-Infektion zu erwähnen mit Freiern Geschlechtsverkehr hatte, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Ganz entscheidend strafmildernd sei vor allem das hohe Maß an Leichtsinn bei den Intimpartnern gewesen.

Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Gesetze herhalten sollen, um ein gewünschtes Verhalten zu erzwingen. Oft wird unter dem Deckmantel der Moral und des Rechts diskriminiert, ein Sündenbock geschaffen. Dieses Vorgehen ist nicht geeignet, eigen- und fremd verantwortliches Handeln zu fördern. Das – wie so oft – auch gar nicht erwünscht scheint …

Wer auch Interesse hat, sich anhand AIDS näher mit den Problemen zu befassen, rufe mich an (Tel, 68459).

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