Seit dem Wintersemster 1986/87 gibt es eine neue Regelung für die Vergabe der Studienplätze im Bereich Medizin. 15% aller Studienplätze werden neuerdings über sog. Bewerbungsgespräche vergeben. Wie geht das vonstatten?

Die ZVS in Dortmund (diese Abkürzung brauche ich ja wohl niemandem erklären) schlägt aus dem Pool derer, die über NC, Testergebnis oder Quote aus beidem zusammen keinen Studienplatz erhalten haben den einzelnen Universitäten eine Zahl von Studentzen vor, die die Chance bekommen, an einem Auswah Ige sprach teilzunehmen. Dieses Gespräch wird von zwei Professoren geführt. Es werden 3x so viele Studenten vorgeschlagen und eingeladen, wie Studienplätze zu vergeben sind.
Auch ich gehörte zu den Auserwählten, denen die Gnade eines solchen Gespräches zuteil wurde. Gleichzeitig mit der Mitteilung der ZVS, erneut keinen Studienplatz erhalten zu haben, bekam ich aus Lübeck einen Brief folgenden Inhaltes :

Betr.: Auswahlgespräche im Rahmen des Zulassungsverfahrens zum Medizinstudium

Sehr geehrter Herr Meßer,

die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) hat Sie der Medizinschen Universität zu Lübeck als Teilnehmer am Auswahlgespräch benannt.

In diesem Auswahlgespräch werden zwei Professoren der Universität Sie zu Ihrer Motivation und Eignung für den Arztberuf befragen. Die Teilnehmer werden Ihnen zu Beginn des Gespräches vorgestellt. Das Gespräch dauert in der Regel 30 Minuten, ist nicht öffentlich und wird als Einzelgespräch durchgeführt (…)

Dieser Umstand und die Tatsache, daß im Gespräch ist, in Zukunft alle Studienplätze in Medizin über solche Gespräche zu verteilen (siehe Artikel über die Landesastenkonferenz in dieser Ausgabe) erscheinen mir Anlass genug, darüber ein paar Zeilen zu verlieren.

Ich habe diejenigen Professoren angeschrieben, die damals an diesen Gesprächen beteiligt waren.

Professor Traut vom Institut für Biologie antwortete mit folgendem Brief:

Sehr geehrter Herr Meßer,

ich gebe Ihnen gerne Auskunft über meine Erfahrungen mit den Auswahlgesprächen.

Mein anfängliches Mißtrauen gegenüber dieser Auswahlform ist nach der ersten Runde dieser Gespräche vergangen. Die halbstündige Unterhaltung über unterschiedliche Themen gibt mehr Auskunft über die Eignung, Studierwilligkeit, Studierfähigkeit und das Engagement, als ich es zunächst erwartet hatte. Vermutlich ist die Beurteilung nicht unfehlbar. Auch auf diese Weise werden hin und wieder Ungeeignete einen Studienplatz erhalten. Eine begleitende Untersuchung über den Studienerfolg und die Qualifikation im Beruf wäre deswegen interessant. Ich würde es – trotz des enormen Aufwandes – für gut halten, wenn sich die Universitäten alle “ihre” Studenten durch diese menschliche Beurteilung aussuchen könnten und nicht auf die mehr oder weniger rechnerischen Mittel, die Tests und den Zufallsgenerator der Zentrale in Dortmund zurückgreifen müßten.

Mit freundlichen Gruß,
Prof. Dr. Walther Traut

Mit Professor Weiß von Institut für Physiologie führte ich ein recht ausgiebiges Gespräch. Dieses in seiner vollen Länge wiederzugeben würde den Rahmen dieses Artikels sicherlich sprengen. Ich werde versuchen, nichts wesentliches zu vergessen, alles unwesentliche herauszulassen.

W: Einleitend läßt sich sagen, daß unter den Hochschullehrern, die diese Prüfungen durchführen sollten, zunächst eine gewisse Skepsis herrschte gegenüber dem Verfahren. Bei den meisten herrschte Zweifel darüber, ob man in einem punktuellen Gespräch ausreichend viele Informationen über einen Kandidaten bekommen könne, um beurteilen zu können, ob er nun gegenüber einem anderen Kandidaten günstigere Voraussetzungen für das Medizinstudium mitbringt als sein Mitbewerber. Es gab so ein wenig Furcht vor der anscheinend mangelnden Obj ekti vierbarkeit.

Man hat sich im Kollegenkreis um die Schaffung einer gewissen Gleichförmigkeit der Situation für die Kandidaten bemüht, und versucht, ein paar Fragen zu formulieren, die man inhaltlich an alle Kandidaten richten wollte. Es ging zunächst einmal um die allgemeine Biographie, um eine Schilderung des Lebenslaufes, um die Frage nach besonderen schulischen und außerschulischen Aktivitäten, um soziale Neigungen und Tätigkeiten und um naturwissenschaftliche Interessen.

Daß man nach naturwissenschaftlichen Interessen fragt, liegt natürlich bei diesem Studium auf der Hand. Menschen oder Bücher, die Einfluß auf die Interessen und Aktivitäten gehabt haben verraten auch einiges über einen Menschen. Dann kam natürlich noch die unausweichliche Frage nach den Gründen für den Wunsch Medizin zu studieren.

Man versuchte sich auch einen Eindruck zu verschaffen von der Fähigkeit des Kandidaten, sich mit Belastungssituationen auseinanderzusetzen, indem man ihn auf besondere Belastungssituationen 1 in der Schule oder im privaten/familiären Bereich ansprach.(…) (…) Wir alle sind uns darüber im klaren, daß man so nur einen Eindruck gewinnen kann, und daß dieser Eindruck subjektiv ist. Es gibt eben Leute, die sich sehr gut verkaufen können, und die auch sehr schnell ein Gespür dafür kriegen, wie wir bestimmte Fragen bewerten. Alles das geht natürlich mit ein und ist somit das nicht-objektive Moment eines solchen Auswahlgespräches. (…)

(…) Nun ist schonmal ganz gut, daß bei der Zusammensetzung dieser Zweiergruppen von Interviewern bedacht wurde, möglichst “Gegensatzpaare” zusammenzukoppeln. Man hat sich einen Physiologen gesucht und man hat sich einen Psychiater gesucht.

Man kann ja grob vereinfachend davon ausgehen, daß der Physiologe eher danach fragt, was denn in Physik, Chemie oder in Mathematik so gewesen ist, wohingegen zu vermuten ist, daß ein Psychiater dem Kandidaten eher im emotional-charakterlichen Bereich auf den Zahn fühlt.

So konnte man bei der Beurteilung schon ein breites Gesammtspektrum herstellen und gewisse Unbalanciertheiten ausgleichen.

Von Seiten der Hochschullehrer ist über diese ganze Sache ziemlich viel nachgedacht worden.

Wir haben das nicht auf die leichte Schulter genommen, weil wir uns darüber im Klaren sind, daß das Ganze für die Betroffenen eine schicksalsbestimmende Frage ist. (…)

(…) man darf auch nicht vergessen, daß uns diese Aufgabe quasi vom Gesetzgeber vorgegeben worden ist.

Ich bin ganz sicher, einige von denen, die diese Gespräche nachher geführt haben, hätten es “freiwillig” nicht getan, weil sie eben Bedenken haben, gezwungen zu sein, kein ausreichend begründetes Urteil fällen zu müssen.

Nach allen Gesprächen gingen wir die ganze Gruppe durch und diskutieren über die inhaltlichen Aussagen des einzelnen, über die wir uns während des Gespräches Notizen gemacht haben.(…)

(…) Es kann ja auch sein, daß ein Kandidat sagt “Es war mir nicht schon immer ein Anliegen, dem leidenden Menscehn zu helfen, aber…” und dann kommt etwas vernünftiges. Dann sagen wir auch, aha, der hat erstmal den Mut etwas zu sagen, das nicht auf der Straße liegt und dann kann er seinen Wunsch unter Auslassung dieser sozialen Geschichte sehr gut begründen. Solche Leute muß es auch geben. Auch sie sollten die Chance haben, Medizin zu studieren. Man darf nicht so ein einseitig fixiertes Bild haben weil das Berufsbild, daß ein Medizinstudium voraussetzt, ungeheuer groß ist.(…)

(…) Mir liegt wirklich daran, daß auch die Studenten wissen, daß die mit dieser Aufgabe betrauten sich weder nach dieser Aufgabe gedrängt haben, noch sie auf die leichte Schulter genommen haben
und daß wir uns der Problematik solcher punktuellen Situationen durchaus bewußt sind.(…)

Ingo: Halten Sie diese Gespräche für ein legitimes Mittel zur Vergabe der Studienplätze als den Test für mediziner Studiengänge oder den NC? Sollte man mehr Studienplätze über diese Methode vergeben?

W: (Pause) Das ist eine sehr schwere Frage. Ich halte von dem Test nichts. Das kann ich ruhig laut sagen. Die “ganz tollen Abiturfritzen”, diese Überflieger sollten schon wie bisher einen Studienplatz erhalten. Der Rest – den Test sollten sie begraben – sollte auf diese Weise zugelassen werden. (…)

(…)Ich halte ein ausgewogenes Verfahren der subjektiven Beurteilung, wenn mehrere voneinander unabhängige Personen einen Kandidaten ausreichend lange interviewen, für ein korrektes Verfahren.

Deswegen sollte man dieses Verfahren auf breitere Basis stellen. Der Kandidat müßte mehr als zwei Leuten gegenübergestellt werden. Ich würde sagen drei oder vier je nachdem, was sich personell schaffen ließe, wäre meiner Ansicht nach das Optimale, solange man nicht jeden der will zulassen kann.

Ein egozentrischer Aspekt von uns Hochschullehreren ist allerdings der, daß es eine immense Arbeit darstellt. Deswegen drängele ich mich gar nicht danach.

Ingo: Ich danke Ihnen für dieses ausführliche Gespräch.

Für mich persönlich war es sehr interessant, die Meinung desjenigen zu diesem Thema zu hören, bei dem ich damals mein Bewerbungsgespräch hatte.

Ich bin der Meinung, daß die jetzige Basis, das Gespräch mit nur zwei Professoren eine zu unausgewogene Sache ist, zumal man nicht voraussetzen kann, daß sich allenortens solche ausführlichen Gedanken dazu gemacht werden, wie es in o.g. Gespräch ja doch deutlich wurde. Ein Verfahren, wie es Professor Weiß im Schlußteil unseres Gespräches vorschlägt, halte ich durchaus für angemessen, da dieses Verfahren sicherlich mehr aussagt als ein bewiesenermaßen erlernbarer TMS oder ein doch seist durch nicht gerade sehr soziales schulisches Verhalten zustandegekommener NC von 1 komma irgendwas.

Ich fände es gut, wenn Ihr diesen Artikel als Anregung zur Diskussion verstehen würdet und wenn auch weitere Hochschullehrer und betroffene Studenten Ihre Erfahrungen schreiben würden. Vielleicht läßt sich dieser Artikel ja in einer der nächsten Ausgaben fortsetzen .

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